Kultur in Dachau:"Ein nichtsnutziger Paragraf"

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Kulturschaffende aus Dachau kritisieren die Ergänzung der städtischen Kulturförderrichtlinien. Vor allem die Umstände des Beschlusses frustrieren sie.

Von Julia Putzger, Dachau

Der neue Paragraf ist beschlossene Sache, doch die Meinungen darüber scheiden sich: Während die einen die neuen Kulturförderrichtlinien der Stadt Dachau, die infolge einer Diskussion im Stadtrat über die Bezuschussung eines Punk-Konzerts beschlossen wurden, als keine große Veränderung abtun, sehen andere durchaus Probleme und kritisieren die Einschränkung der künstlerischen Freiheit. Was die Betroffenen jedoch eint, ist der Frust über die Umstände des Beschlusses.

Wer in Zukunft einen Zuschuss im Rahmen der städtischen Kulturförderung bekommen möchte, muss sicherstellen, "dass keine verfassungsfeindlichen und strafrechtlich relevanten, insbesondere sexistischen, homophoben, rassistischen, antisemitischen und alle anderen Arten von diskriminierenden Äußerungen oder Darstellungen durch die aktiv an der geförderten Veranstaltung Beteiligten im Kontext der Veranstaltung erfolgen". Das besagen die neuen Kulturförderrichtlinien der Stadt. "Es ist ein nichtsnutziger Paragraf entstanden", kritisiert Fabian Handfest die Neuerung. Er ist einer der Sprecher des Freiraum Dachau - jenem selbstverwalteten Jugend- und Kulturzentrum, durch dessen Veranstaltung die ganze Debatte über die Kulturförderrichtlinien überhaupt erst losgetreten wurde. Als der Kulturausschuss im Juli beschloss, ein Konzert der Punkband Sabot Noir mit 750 Euro zu fördern, wurden kritische Stimmen laut. CSU, AfD, Freie Wähler/BfD und ÜB/FDP störten sich an Songtexten der Band; in einer Liedzeile heißt es etwa "Fuck Cops".

Ob die neue Richtlinie in eben diesem Fall überhaupt gegriffen hätte, ist für Freiraum-Sprecher Handfest Ansichtssache: "Aus unserer Sicht wird da nichts dergleichen, was in der neuen Richtlinie steht, transportiert. Für andere ist das aber vielleicht der Inbegriff dieses Paragrafen." Er könne deshalb noch nicht sicher einschätzen, wie sich die neue Regelung tatsächlich auf das Programm des Freiraums auswirke. Dass es Opfer geben werde, das wolle er nicht ausschließen. Schlussendlich werde die Entscheidung über eine Kulturförderung aber immer noch von den Stadträten getroffen, und der Paragraf gebe eben nur eine Richtung vor.

Von Einzelfallentscheidungen, in denen der Paragraf - wenn überhaupt - relevant wäre, spricht auch Johannes Karl, Vorsitzender der KVD. Für die Künstlervereinigung ändere sich durch die Neuerungen vermutlich nichts, da es ohnehin "selbstverständlich" sei, diese Prinzipien einzuhalten. "Da wurde einfach parteipolitisch mit den Säbeln gerasselt", stellt der Vorsitzende fest. Diesbezügliche Probleme habe es in der KVD - abgesehen von ganz anderen politischen Zeiten in der Vergangenheit - überhaupt nicht gegeben. Karl sieht die Ergänzung der Richtlinien deshalb kritisch, glaubt aber auch, dass es "vielleicht ein kluger Schachzug" der Stadt war, explizit zu formulieren, was eigentlich klar sein sollte.

Auch das erst zu Jahresbeginn gegründete Künstlerkollektiv Schere Stein Papier, das sich selbst als "gesellschaftskritisch" positionieren will, kann laut eigener Aussage gut mit dem neuen Passus leben, da die ergänzten Richtlinien dem Selbstverständnis der Mitglieder entsprechen. In einem schriftlichen Statement kritisiert Mitglied Michael Kottermeier im Namen des Vereins jedoch, dass die Anpassung unter einer falschen Voraussetzung initiiert wurde. Denn der Kulturausschuss dürfe nicht entscheiden, was gute und schlechte Kunst ist: "Kunst darf nicht beschränkt werden. Das wäre nicht im Sinne eines emanzipatorischen Ansatzes. Kunst kann provozieren und kontrovers sein. Kunst kann Diskurse eröffnen und verschieben. Kunst und Kultur durch einen Ausschuss zu beschränken, wäre ein schlechtes Signal und das darf niemals das Ziel der Richtlinien sein", so Kottermeier.

Dem kann sich Freiraum-Sprecher Handfest nur anschließen: "Dass und wie das alles passiert ist, das ist wirklich unter aller Sau", ist er empört. "Das hätte so einfach nicht passieren dürfen, denn Kunst und Kultur haben frei zu sein." Denn selbst wenn sich durch die neue Richtlinie effektiv möglicherweise nichts ändere und man noch die Entscheidungen über künftige Anträge abwarten müsse, dann sei die Entscheidung des Kulturausschusses doch jedenfalls ein symbolischer Einschnitt in die künstlerische Meinungsfreiheit, findet Handfest.

© SZ vom 26.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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