Konzert:Schmiss und köstlicher Krawall

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Normalerweise findet die Sinfonische Sommernacht in Schönbrunn unter freiem Himmel statt. Wegen des Wetters wurde sie in die Kirche verlegt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die "Italienische Sinfonische Sommernacht" mit der "Wilden Gungl"

Von Dorothea Friedrich, Röhrmoos

Michele Carulli ist ein Naturereignis. Er ist Generalissimus und Nanny, Dompteur und Entfesselungskünstler in Personalunion. Vor allem aber ist er ein begnadeter Dirigent - und das im Wortsinne mit Leib und Seele. Seit 2015 leitet er das Sinfonieorchester Wilde Gungl. Dieses nennt sich seit 150 Jahren bescheiden "Liebhaberorchester", kann aber locker mit Profis des Fachs mithalten. Das zeigte sich am Sonntagabend wieder einmal aufs Schönste bei der "Italienischen Sinfonischen Sommernacht" in Schönbrunn. Die Auftritte der Wilden Gungl sind gewissermaßen ein Pfeiler der alljährlichen Sommerkonzerte des Kulturkreises Röhrmoos, seit ihr früherer Dirigent, der 2016 verstorbene Jaroslav Opěla, dieses Kulturhighlight im Landkreis mitbegründet hat.

Nun ist bereits die 13. Sommernacht angesagt. Kulturkreisvorsitzender Michael Wockenfuß und sein Team haben sich vorausschauend schon auf eine Regennacht vorbereitet. Also kein Italien-Feeling auf dem Schönbrunner Marienplatz, sondern in der benachbarten lichten Klosterkirche Sankt Joseph. Die Scheebrunner Jungbläser, respektive deren Eltern, haben ihr Stände im Trockenen aufgebaut. Sie garantieren für den kontinuierlichen Nachschub der belegten Brote und Getränke.

Die etwa 80 Musikerinnen und Musiker füllen locker den Altarraum, Dirigent Carulli - im feuerroten Hemd - macht sein kleines Podium zur großen Bühne. Arnim Rosenbach zeigt, dass er nicht nur ein wunderbarer Geiger und Konzertmeister ist, sondern auch ein charmanter, kenntnisreicher Moderator. Und die Wilde Gungl? Beweist schon mit dem ersten Stück, dass sie gewissermaßen "born to be wild" ist: Sie lässt es mit der Ouvertüre zu Gioachino Rossinis (1792-1868) Oper "Tancredi" richtig krachen, bringt mit gloriosem Tschingderassabum Schlachtenlärm ins Gotteshaus. Sehnsüchtige Geigen und Flöten lassen die tragische Liebe von Tancredi und Amenaìde lebendig werden. Das ist Adrenalin pur für die Zuhörer und der gloriose Auftakt eines Konzerts der Gegensätze. Denn Aufatmen, Einatmen, Ausatmen, Durchatmen ist bei Alessandro Marcellos (1673-1747 Oboenkonzert in d-moll angesagt. Susann Král, Solooboistin der Bad Reichenhaller Philharmonie, kostet jeden Ton dieser Mutter aller Oboenkonzerte förmlich aus - und spielt ein zum Niederknien schönes Adagio. Als Oper ohne Worte entfaltet sich das zweite Oboenkonzert dieses Abends, Domenico Cimarosas (1749-1801) Oboenkonzert in C-Dur. Die Wilde Gungl und ihr Dirigent schicken das Publikum auf eine Achterbahn der Gefühle - spielen mit Wucht und Leidenschaft und zeigen im zweiten Satz erneut, dass sie zugleich Meister der leisen Töne sind.

Kann man Belcanto mit Instrumenten "singen"? Die Wilde Gungl kann's ebenso gut wie eine Operndiva das berühmte "Casta Diva" aus Vincenzo Bellinis (1801 -1835) Oper "Norma" in Spitzentönen herbei fleht. Das Orchester macht aus der Ouvertüre zu dieser Oper ein echtes Seelendrama - ganz im Sinne Bellinis. Was darauf folgt, ist Bella Italia im Reinformat, komponiert von einem Russen: Peter Tschaikowskis (1840-1893) Capriccio Italien. Die Wilde Gungl stürzt sich in diese musikalische Collage italienischer Volksmusik, die Instrumente tanzen ausgelassen, Dirigent Carulli dirigiert mit Händen und Füßen und hat jeden Musiker fest im Blick. Scheinwerfer zaubern ein rot-weiß-grünes Farbenspiel auf die Kirchenwände, es ist die pure Lebenslust. Das Publikum tobt, Standing Ovations und das Versprechen Carullis "Wir kommen wieder" beweisen, dass die Mischung aus "Brio, Schmiss und köstlicher Krawall", wie Moderator Rosenbach sagte, der ideale Sommercocktail ist. Immer vorausgesetzt, er wird so meisterlich serviert wie es die Wilde Gungl kann. Diese hat als Zugabe noch wahrhaft himmlische Töne im Gepäck: das Intermezzo aus Cavalleria Rusticana von Pietro Mascagni (1863-1945). Schöner hätte ein traumhafter Abend nicht enden können.

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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