Konzert:Hochgenuss mit Gänseton

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Ein Virtuose an der Oboe: Ramon Ortega Quero beeindruckt im Schloss Dachau durch seine Lockerheit. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ein Abend mit Ramon Ortega Quero und Prague Philharmonia

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Ein Abend mit Barockmusik - Vivaldi, Telemann, Bach - für Streichorchester, das ist heutzutage eine fragwürdige Angelegenheit. Wer musiziert, mit welcher "historischen Aufführungspraxis" wird man konfrontiert? Zwischen Ärgernis, Langeweile, halbwegs Erfreulichem und Hochgenuss muss man mit allem rechnen. Zum ersten barocken Dachauer Schlosskonzert im April - am 30. April folgt das zweite - kamen das mit rund zwanzig Musikern ziemlich stark besetzte Streichorchester "PKF - Prague Philharmonia" und der in München als Solo-Oboist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bereits bekannte und geschätzte Oboist Ramon Ortega Quero. Er blies das Violinkonzert a-Moll von Johann Sebastian Bach auf der Oboe, dann ein virtuoses Oboenkonzert von Giuseppe Sammartini. Aber wie!

Der schwäbische Publizist, Haydn- und Mozart-Zeitgenosse Christian Friedrich Daniel Schubart beschrieb die Oboe recht lustig: "Der Ton der reinen Oboe nähert sich in der Höhe sehr der Menschenstimme, in der Tiefe aber hat sie noch viel Gänsemäßiges, daher man ihr durch Sordinen den Gänseton zu nehmen gesucht hat. Am besten aber ist es, wenn der Meister seinen Hauch so in der Gewalt hat, dass er den tiefen Tönen dadurch ihre Unannehmlichkeit abringt." Dazu wäre Ramon Ortega Quero der richtige Mann gewesen, sein "Hauch", mit dem er fast beängstigend lange Phrasen bewältigte, war bewundernswert. Noch mehr begeisterte er durch seine Lockerheit und schier unbegrenzte Virtuosität. Bei Bachs Violinkonzert a-Moll fragte sich wohl mancher Zuhörer: "Muss denn das statt auf der Violine auf einer Oboe gespielt werden?" Es muss nicht, doch es kann - aber nur von einem Oboisten der Extraklasse. Da man den ganzen Abend lang dichten und farbigen Streicherklang im Ohr hatte, war ein Bläser als Solist auch bei Bachs Violinkonzert sehr angenehm. Sammartinis ungemein virtuoses, dabei aber musikalisch ansprechendes Oboenkonzert war mit Ramon Ortega Quero ohnehin ein Hochgenuss. Damit ist die eingangs gestellte Frage beantwortet. Hochgenuss waren nicht nur die beiden Konzerte mit Oboe, der ganze Abend war es.

Das Orchester spielte zwei Konzerte für Streicher und Basso continuo, dazu als drittes Werk das Concerto grosso für zwei Violinen, obligates Violoncello, Streicher und Basso continuo in d-Moll op. 3 Nr. 11 von Antonio Vivaldi. Dreimal Vivaldi, dreimal hinreißend virtuos und spannend gespielt, dreimal keine Spur von Eintönigkeit - das konnten doch nur "I Musici di Roma" in ihrer Glanzzeit! Die Prager könnten das genauso, das zeigte ihr trotz des auf Barockmusik begrenzten Programms faszinierender Abend. Er enthielt freilich auch die ganz besonders auf Farbigkeit und musikalische Abwechslung ausgerichtete Suite "Les Nations" von Telemann. Darin folgen auf eine groß angelegte Ouvertüre sowie Menuett I/II Sätze wie "Les Turc - Les Suisse - Les Moscovites - Les Portugais". Die Türken waren durch scharf akzentuiertes Spielen gekennzeichnet, bei den Moskowitern glaubte man im dreitönigen Basso ostinato, der das Stück ununterbrochen begleitete, Glocken von Moskau oder der russischen Ostern zu hören. Da alles in der damals allumfassenden Sprache der Barockmusik eingebunden ist, lassen sich nationale Eigenheiten nicht so eindeutig heraushören wie etwa in späterer Zeit. Einen echt türkischen Marsch konnte erst Mozart schreiben.

Ihren Dachauer Abend beendete die Prague Philharmonia mit einer betont virtuosen Sinfonia von Carl Philipp Emanual Bach. Damit begab man sich auf den Weg zu Neuem. Die Tür zur Klassik aufzuschlagen, gelang dem wohl bedeutendsten Bach-Sohn nicht, das war Joseph Haydn vorbehalten. Und welche historische Aufführungspraxis hat das Prager Orchester für sein Barockkonzert gewählt? Gar keine! Prague Philharmonia kümmert es wenig, wie man Vivaldi, Telemann und Bach zu ihrer Zeit gespielt haben könnte, das Orchester macht Musik für ein Publikum des 21. Jahrhunderts. Es frönt keiner historischen Aufführungspraxis, das Metier ihres musikalisch und spieltechnisch perfekten, hinreißenden Musizierens ist die musikalische Aufführungspraxis.

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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