Konzert:Gefühlsausbrüche in der Schlosskapelle

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Das festliche Ambiente der Schlosskapelle mit ihrem exquisiten Rokoko-Dekor mag den Chor "Stimmbruch" zusätzlich beflügelt haben. (Foto: Privat)

Der Haimhausener Chor "Stimmbruch" führt Paul McCartneys "Liverpool Oratorio" auf, neu arrangiert und souverän gesungen

Von Dorothea Friedrich, Haimhausen

Er hat den angeblich meistgespielten Popsong aller Zeiten komponiert, "Yesterday". Er war und ist der softe Liebling der mit ihm gereiften Damenwelt, die ihm auch nach dem Ende der Beatles vor bald 50 Jahren die Treue hält. Dass der von der Queen zum Sir geadelte James Paul McCartney zudem traumsicher auf den schlüpfrigen Pfaden klassischer Musik tänzeln kann, wissen längst nicht alle seine Fans. Seit dem vergangenen Sonntag kennen allerdings einige mehr das 1991 entstandene Liverpool Oratorio. Das ist dem Haimhausener Chor "Stimmbruch" zu danken. Er hat das gefühlvolle Werk wohl erstmals überhaupt im Landkreis aufgeführt - und sich dafür die Schlosskapelle ausgesucht. Ein passendes Ambiente für einen Chor, den man selten so gut vorbereitet und von solcher Strahlkraft erlebt hat.

Mag sein, dass die normalerweise nicht zugängliche Schlosskapelle, dieses vollendete Beispiel exquisiter Baukunst des Spät-Rokokos den Chor zusätzlich beflügelt hat. Den größten Anteil an dieser beispielhaften Aufführung hat jedoch Chorleiterin und Sopranistin Marja-Leena Varpio. "Wir haben auch sehr lange geübt", sagt sie nach dem Konzert. Nicht nur das macht den Erfolg des Liverpool Oratorio in der Haimhausener Version aus. Varpio hat gemeinsam mit den Geigerinnen Almut Botzky und Laura Eickhoff, dem Cellisten Frank Eickhoff sowie dem Pianisten Martin Wolfrum das ursprünglich zum Jubiläum des Royal Liverpool Philharmonic Orchestra entstandene Werk passgenau neu arrangiert. Das Ergebnis: ein stimmiges, harmonisches Gesamtkunstwerk mit vielen solistischen Höhepunkten - und mit Gudrun Kolbe als Erzählerin.

Denn das Liverpool Oratorio ist kein Oratorium im gängigen Sinn. Es erzählt die Lebensgeschichte des Jungen Shanty und seiner großen Liebe Mary Dee. Der Text stammt ebenfalls von McCartney. Daher enthalten die insgesamt acht Sätze viel Autobiographisches. Shanty wird 1942 mitten in die Schrecken des Zweiten Weltkriegs hineingeboren. Er besucht das Liverpool Institute, heckt Jungenstreiche mit seinen Freunden aus, träumt von seiner künftigen großen Liebe Mary Dee, in der sich unschwer Linda erkennen lässt, die erste Ehefrau des Ex-Beatles. Shanty begegnet Mary Dee im wirklichen Leben und heiratet sie. Mary Dee geht ganz in ihrem Job auf, obwohl der sie ziemlich stresst. Shanty dagegen macht mit seinen Arbeitskollegen auf Macho und blafft die Gattin an. Die verlässt wütend das Haus, wird von einem Auto angefahren und schwebt mitsamt dem ungeborenen Kind in Lebensgefahr. Shanty gelobt Besserung und wandelt sich zum treu sorgenden Vater, der mit Frau und Kind die Vorzüge des Familienlebens preist. Klingt ziemlich kitschig, ist es vom Text her auch. Doch McCartney's Musik reißt alles raus und ist eine Steilvorlage für "Stimmbruch" und Solisten.

Varpio singt die Mary Dee, wendet dabei dem Chor halb den Rücken zu und dirigiert ihn dennoch präzise mit einer Hand. Ihre Mary Dee ist kein Lämmchen, sondern eine selbstbewusste Frau, die die Höhen und Tiefen des Lebens mit fabelhaften Gefühlsausbrüchen meistert. Für die Sopranistin ist diese Rolle auch mit persönlichen Erinnerungen verknüpft. Sie habe die Mary Dee bereits vor etlichen Jahren mit großer Besetzung in ihrer finnischen Heimat gesungen, sagt sie der SZ Dachau. "Jetzt bin ich sehr glücklich, dass wir das Liverpool Oratorio in Haimhausen aufführen können."

Tenor Christian Bauer ist ein lümmeliger Shanty, ein Kraftmeier, auch stimmlich bietet er einiges an Energie auf. Wäre dem nicht so, hätte er die Anforderungen seiner Rolle - vom pubertierenden Jüngling über den bewegten bis zum gezähmten Mann - nicht so souverän meistern können. Und Stimmbruch? Der Chor zeigt, was er kann. Und wie gut er das kann, sei es als agiler Haufen singender Schüler, als jubilierende Hochzeitsgäste, als Stimme gewordener Bürolärm ganz im Stil des berühmten "Typewriter"-Songs, als flehende gute Geister oder als Heile-Familienwelt-Botschafter. Das ist ganz großes Kino, zumal im gelungenen Zusammenspiel mit dem kleinen, aber umso feineren Instrumentalensemble. So wird - nicht zuletzt durch das klug zusammengestellte Programm mit geistlicher Musik - das Liverpool Oratorio zu einem rundum schönen Konzerterlebnis.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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