Kommunalpolitiker im Netz:Wenn der Stadtrat bloggt

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Die Kirche im Dorf, das Rathaus im Netz: Wie die Politiker Kai Kühnel (Bündnis für Dachau), Christian Stangl (CSU) und Claus Weber (Freie Wähler) online die Dachauer Kommunalpolitik begleiten.

M. Staudinger

Kai Kühnel will Wahlkampf machen, und zwar sechs Jahre lang. Das zumindest hat der Fraktionschef des Bündnisses für Dachau schon vor der Kommunalwahl 2008 angekündigt. Seitdem publiziert er fleißig in seinem Blog. Beinahe täglich schreibt Kühnel seine Gedanken in diesem öffentlichen Tagebuch im Internet nieder. Mitlesen kann jeder, der will. Anmelden muss man sich nicht. Kühnel kommentiert die Kohlestrom-Debatte in Dachau, verfolgt die neuesten Entwicklungen im Landesbank-Skandal und informiert über Entscheidungen des Stadtrats.

Er war der Erste: Stadtrat Kai Kühnel (Bündnis für Dachau) bloggt selbst und beobachtet auch die Kollegen im Internet. (Foto: region.dah)

Objektiv sind seine Einträge keineswegs - und das sollen sie auch gar nicht sein. "Ich schreibe bewusst provokant, um Diskussionen auszulösen", sagt Kühnel. Der Bündnis-Chef ist nicht der einzige Blogger aus dem Stadtrat, aber er war der erste. CSU-Chef Christian Stangl hat es ihm nachgemacht, und Dachaus Zweiter Bürgermeister Claus Weber (Freie Wähler) auch.

Wie viele Blogs es im deutschsprachigen Raum gibt, weiß niemand genau. Es könnten bis zu 600.000 sein - täglich kommen einige hinzu, viele verschwinden auch wieder oder werden nicht mehr gepflegt. In Dachau hingegen ist die Blogosphäre noch überschaubar: Die Kommunalpolitiker wollen sich damit ein Forum schaffen, in dem sie ihre Meinung einer möglichst breiten Öffentlichkeit kundtun können.

Ob das Erfolg hat, bezweifeln Experten. Einer deutschlandweiten Umfrage der Initiative D21 zufolge verwenden 35 Prozent der Bevölkerung das Internet kaum oder gar nicht. Lediglich 26 Prozent der Deutschen tummeln sich immer wieder im Web 2.0, dem Mitmach-Internet. Nach einer Studie von ARD und ZDF aus dem Jahr 2007 lesen jedoch nur elf Prozent der Internetnutzer auch regelmäßig Blogs.

Kühnel startete seinen Internetauftritt www.dubistdachau.de im Dezember 2007 - als Vorbereitung auf die Stadtratswahl im darauffolgenden März. Das ist heute noch in seinem Archiv zu lesen - Nachrichten, die einmal im Internat geschrieben worden sind, lassen sich so leicht auch nicht mehr entfernen, selbst wenn deren Urheber es will. Mehr als 18.800 Besucher hat der Blog inzwischen. Die meisten Einträge gibt es zu den Stadtwerken Dachau und "Freie Weber", eine Anspielung auf Claus Weber, der nach der Kommunalwahl 2008 von der ÜB zu den Freien Wählern gewechselt ist und sich zum OB-Stellvertreter wählen ließ.

Wie sich Meinungen ändern

Wer den Blog seit seinen Anfängen durchliest, merkt, dass sich Meinungen ändern können. So schrieb Kühnel am 15. Dezember 2007: "Wir wollen eine dezentrale Energieversorgung und da haben die SWD (Stadtwerke Dachau, Anm. d. Red.) viel dafür getan: Blockheizkraftwerke, Solarstromanlagen, und der Betrieb der beiden Wasserkraftwerke." Knapp zweieinhalb Jahre später hört sich das ein wenig anders an.

Zwar setzt sich Kühnel noch immer für eine lokale Energieversorgung ein, lobende Worte für die Stadtwerke aber finden sich in seinem Blog schon lange nicht mehr. Vielmehr verweist er auf die aus seiner Sicht falschen Investitionen in die Kohlekraftwerke in Lünen sowie Krefeld und die angebliche Arroganz der Werkleitung. Ebenso gerne kritisiert Kühnel den Zweckverband Dachauer Galerien und Museen. Er provoziert - groß diskutiert werden seine Stellungnahmen zumindest im Internet aber nicht. Wenn ein Beitrag drei Kommentare hat, ist das viel.

Stangl und Weber verfolgen eine andere Strategie. Sie setzen auf Sachlichkeit statt Emotionen, wie sie beide erklären. "Ich will im Blog Informationen über die Stadtratsarbeit der CSU bereitstellen", sagt Stangl. Seit April 2009 macht er das mehr oder weniger regelmäßig unter csustadtrat.blogspot.com. Stangl schreibt über die Pläne für die Schranne, das neue Buskonzept und Kohlestrom. Dass der Blog nicht immer tagesaktuell ist, stört den CSU-Fraktionssprecher weniger: "Ich bin kein Nachrichtensender und keine Zeitung. Einen Anspruch auf Vollständigkeit habe ich nicht." Vielmehr setze er Schlaglichter, die er von Zeit zu Zeit mit Grafiken, Videos oder Links zu anderen Seiten illustriert.

Den neuesten Politik-Blog in Dachau betreibt Claus Weber unter fw-dachau.blogspot.com - er ist drei Monate alt und mit 15 Einträgen noch übersichtlich. "Natürlich muss sich das noch weiter füllen", sagt der FW-Stadtrat. Auch ihm ist es wichtig, Informationen bereitzustellen. Am Internet schätzt Weber, dass Berichte und Kommentare schnell und einfach transportiert würden.

Das kann zum Problem werden. Fernsehmoderatorin Anja Reschke nennt auf sueddeutsche.de als Beispiel die überregionale Berichterstattung zum Amoklauf in Winnenden vor einem Jahr. Ein Unbekannter, der sich im Internet "tontaube" nennt, meldete den Vorfall über das Portal "Twitter". Der Name des Täters, Tim K., verbreitete sich schnell, und ebenso schnell präsentierten die Medien ein Foto - das aber stellte nicht den Amokläufer dar, sondern einen Namensvetter aus Bremen.

Weber und Stangl glauben nicht, dass sie mit ihren Internetauftritten ein allzu großes Publikum oder gar politisch uninteressierte Menschen ansprechen können. "Die werden den Blog wahrscheinlich nicht einmal finden", sagt Stangl. Kai Kühnel hingegen ist da offensichtlich anderer Meinung. Zwar erhalte er über das soziale Netzwerk Facebook mehr Reaktionen, seinen Blog hat er deswegen aber nicht aufgegeben. "Die Zeit ist vielleicht jetzt noch nicht reif, das kommt aber noch", sagt der Bündnis-Chef.

Er sieht sich bestätigt, wenn er auf die Statistik seines Blogs blickt: Die Besucherzahl steigt stetig, der Radius der Erreichten weitet sich aus. Zwar stammen mehr als 96 Prozent der Aufrufer aus Deutschland, aber Kühnel hat auch Leser in Indien, Kolumbien, Malaysia, Russland und den Vereinigten Staaten. "Zu unseren treuesten Kunden zählt Trianel in Aachen", sagt Kühnel. Dieses Unternehmen baut bekanntlich die beiden Kohlekraftwerke, gegen die der Bündnis-Chef so vehement kämpft.

© SZ vom 22.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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