Dachau:Ein Reisepass für Monika

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Chihuahua-Hündin Monika, die einen Maulkorb trägt, wird von Tierärztin Katharina Kirschner abgetastet. Ihr Frauchen Eleonora Riznyk hält sie fest. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Karlsfelder Tierärztin Katharina Kirschner impft und chippt geflüchtete Haustiere aus der Ukraine, damit sie den EU-Heimtierausweis erhalten. Die Kosten, die für Besitzer entstehen, übernimmt eine Tierschutzorganisation. Ein Praxisbesuch.

Von Sofia Woditschka, Karlsfeld

In der Praxis von Katharina Kirschner in Karlsfeld geht es an diesem Nachmittag für einen kurzen Moment ruhig zu, nur von außen dringt Vogelgezwitscher durch die offenen Fenster herein. Kirschners letzter Patient ist gerade gegangen, jetzt wartet sie auf den nächsten, einen Hund, der mit seinen Besitzern aus der Ukraine geflüchtet ist. Heute soll er seinen EU-Heimtierausweis erhalten, dafür muss er gegen Tollwut geimpft und mit einem Mikrochip gekennzeichnet werden. "Der Ausweis ist wie ein Reisepass", erklärt Kirschner. "Die Impfungen, die das Tier erhält, werden dort eingetragen, damit es innerhalb der EU über die Grenzen kann."

Angekündigt wird der neue Patient mit tiefem Gebell von Kirschners Berner Sennenhund namens Schorsch. Er hat die Ankömmlinge, eine junge Frau und ein Mädchen, das eine kleine Transportbox trägt, als Erster entdeckt und kriegt postwendend ein Kläffen aus der Box als Antwort. Darin hockt Chihuahua-Hündin Monika, die vor drei Monaten mit ihrer Familie aus Charkiw nach Dachau geflohen ist. Kirschner begrüßt Monikas Besitzerin Eleonora Riznyk, die mit ihrer Tochter zu dem Termin gekommen ist, und aus der Transportbox knurrt es, Monika weiß anscheinend, was ihr bevorsteht und ist wenig begeistert hier zu sein.

Etwa 250 ukrainische Tiere hat die Karlsfelder Tierärztin schon behandelt

Etwa 250 ukrainische Haustiere, wie Monika, hat Kirschner seit März behandelt, anfangs habe es auch reine "Ukraine-Tage" gegeben, berichtet sie. Diese Tage seien anstrengend gewesen, besonders die Sprachbarriere habe die Behandlung der Tiere schwierig und zäh gestaltet. "Viele Besitzer haben Verwandte angerufen, die Deutsch konnten, aber medizinische Begriffe zu übersetzen, ist nicht gerade einfach", erzählt sie. Einige Tiere habe sie auch stationär aufnehmen müssen, weil sie durch die Strapazen der Flucht völlig entkräftet oder verletzt waren. Viele Tiere seien mit Magen-Darm-Beschwerden gekommen, aufgrund von falscher oder nicht ausreichender Ernährung. "Die Besitzer haben oft das verfüttert, was gerade da war, damit die Tiere überleben, sie hatten ja kein Tierfutter dabei", gibt Kirschner zu bedenken.

Alle Behandlungen der ukrainischen Haustiere in Kirschners Praxis sind für ihre Besitzer kostenlos. Getragen werden die Kosten von der Tierschutzorganisation Mobile Tierrettung, für ihre eigene Leistung nimmt Kirschner nichts, wie die meisten ihrer Kollegen. Doch nicht nur die Tierärzte in der Region helfen den tierischen Neuankömmlingen und ihren Besitzern, auch die Einwohner des Landkreises zeigen ihre Unterstützung. Die hohe Spendenbereitschaft der Karlsfelder sei wirklich rührend gewesen, erzählt Kirschner. Es sei alles Erdenkliche gespendet worden, von Futter über Tierbetten, Spielzeug und Pflegezubehör bis hin zu Leinen und Katzenstreu. "Zeitweise waren die Keller der Praxis und der Tierschutzorganisation so voll, dass man kaum noch Raum zum Stehen hatte", so Kirschner. "Seit Mai ist es nicht mehr so viel, aber es sind auch weniger Neuanmeldungen, jetzt kommen die Tiere meistens nur noch zu Nachbehandlungen."

"Jetzt ist Monika ein deutscher Hund"

Für Chihuahua-Hündin Monika ist es heute der erste Termin. Kaum im Behandlungsraum angekommen und aus der Box entlassen versucht sie, sich aus Riznyks Händen zu winden und gebärdet sich wie wild, als Kirschner ihre Lunge abhört und die Hündin abtastet. Dabei knurrt sie ununterbrochen und fletscht ihre Zähne dermaßen, dass Kirschner sich gezwungen sieht, ihr einen Maulkorb aufzusetzen, um Riznyk und sich selbst vor Bissverletzungen zu schützen. Das passt der kleinen Hündin so gar nicht, und mehr als einmal schafft sie es, sich mit den Vorderpfoten von dem lästigen Maulkorb zu befreien, wenn Kirschner und Riznyk gerade nicht hinschauen.

Chihuahua-Hündin Monika kommt aus der Box und weiß noch nicht, was sie erwartet... (Foto: Niels P. Jørgensen)
...dann fletscht sie ihre Zähne dermaßen, dass die Tierärztin sich gezwungen sieht, ihr einen Maulkorb aufzusetzen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Doch es hilft nichts - um die Impfung und den Chip kommt sie nicht herum. Riznyk drückt Monika fest an ihre Brust, als Kirschner sich mit den Spritzen nähert. Entgegen ihres bisherigen Temperaments, zuckt Monika nicht einmal, als sie gepikst wird, aber Riznyk hat die Augen fest zusammengekniffen, den Kopf abgewendet. "Das war's schon", sagt Kirschner, als sowohl Impfung und Chip verabreicht wurden. "Jetzt müssen wir nur noch schauen, ob der Chip erkennbar ist." Dafür holt sie ein kleines Gerät und hält es an Monikas Hals. Das Gerät piepst und Kirschner sieht zufrieden aus, ebenso wie Monika, die, nun vom Maulkorb befreit, scheinbar verstanden hat, dass die Prozedur vorbei ist und brav in Riznyks Armen liegt.

Nach dieser plötzlichen Beruhigung ihres Gemüts, darf Monika auch noch ein paar Schritte auf dem Behandlungstisch gehen, und schnuppert mal hier, mal dort, bevor es zurück in die Transportbox geht. Eleonora Riznyk sieht erleichterter aus als ihre Hündin. "Jetzt ist Monika ein deutscher Hund", witzelt sie auf Englisch und ihre Tochter, die im Eingangsbereich auf das Ende der Behandlung gewartet hat, nimmt die Hündin samt Box freudestrahlend entgegen. Riznyk wird mit Monika noch einmal zu einer Nachbehandlung in Kirschners Praxis kommen müssen, doch zum Glück weiß die Hündin das noch nicht.

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