Aufnahme von Geflüchteten:"Mit einem Austauschschüler hätte das genauso passieren können"

Aufnahme von Geflüchteten: Miriam Pauler mit ihren beiden Söhnen Lukas und Simon.

Miriam Pauler mit ihren beiden Söhnen Lukas und Simon.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Als Familie Pauler ukrainische Geflüchtete aufnimmt, ist die Euphorie groß, doch im Alltag kommt es immer wieder zu Problemen. Die Ukrainerin ist mit ihren zwei Kindern mittlerweile in eine staatliche Unterkunft gezogen. Warum Miriam Pauler aber immer wieder helfen würde.

Von Anna Schwarz, Heberthausen

Als sie die schrecklichen Kriegsbilder aus der Ukraine im Fernsehen sieht, ist für die vierfache Mutter Miriam Pauler klar, dass sie helfen möchte, aber nicht mit dem "hundertsten Kleidungssack". Stattdessen entscheiden sie und ihr Mann im Februar, dass sie eine ukrainische Flüchtlingsfamilie aufnehmen wollen, Platz haben sie in ihrem Haus mit Garten in Unterweilbach. Nur wenige Tage später, Anfang März, kommen die drei Personen aus der Ukraine bei den Paulers an, eine Mutter, ihre 16-jährige Tochter und ihr elfjähriger Sohn. Doch in den nächsten Wochen kommt es immer wieder zu "Alltagssituationen, wo es kollidiert ist", sagt Miriam Pauler.

Nach rund zwei Monaten entscheiden die Paulers deshalb, ihre Aufgabe als Herbergsfamilie wieder abzugeben: "Aber wir sind nicht im Bösen auseinander gegangen, wir haben immer noch Kontakt, treffen uns auf einen Kaffee oder ich nehme sie zum Einkaufen mit." Mittlerweile wohnt die ukrainische Familie in einer Sammelunterkunft in Hebertshausen.

Miriam Pauler sitzt unter der Terrassenmarkise, um sie herum wuseln ihre Kinder, der fünfjährige Lukas und der siebenjährige Simon hüpfen auf dem Rasen herum. Der 16-jährige Marcel Pauler sitzt neben seiner Mutter im Gartenstuhl. Wenn man ihn nach der Zeit mit den ukrainischen Geflüchteten fragt, erzählt er: "Das Nervigste war eigentlich, dass sie um zehn Uhr abends noch via Lautsprecher telefoniert und spät abends gekocht haben." Wie wohl in vielen Wohngemeinschaften komme es beim geteilten Wohnraum eben zu Problemen, die Küche zum Beispiel sei oft belegt gewesen, erzählt Pauler.

Zum Teil habe die ukrainische Mutter zu jeder Mahlzeit drei verschiedene Gerichte gekocht, denn der Sohn esse sehr fleischlastig, die Tochter gerne vegetarisch. Auch gegen 21 Uhr kochte die ukrainische Mutter laut Pauler noch ein Abendessen, denn ihre 16-jährige Tochter hatte eine Stelle als Zahnarzthelferin in München gefunden und kam erst spät zurück. Gastgeberin Miriam Pauler sagt: "Ich verstehe natürlich, dass die Tochter Hunger hat, wenn sie heimkommt", gleichzeitig war es eben zu einer Uhrzeit, zu der die Paulers eher zur Ruhe kommen wollten. Irgendwann habe sie angesprochen, dass die Küche zu oft belegt ist: "Dann hat die Mutter auch mal ein Schnitzel für uns mitgebraten." Getrennt aßen die beiden Familien da schon länger.

"Als Gastgeber will man ja auch nicht alles verbieten"

Mit Kritik hielt sich Miriam Pauler, wie sie sagt, eher zurück: "Als Gastgeber will man ja auch nicht alles verbieten" - deshalb sprach sie die Geflüchteten auch nicht darauf an, dass sie via Handylautsprecher spätabends mit der Heimat telefonierten: "Ich habe mir gedacht, sie haben viel mitgemacht, und man will ja nicht alles schlechtreden als Gastfamilie." Gerne hätte man erfahren, wie die ukrainische Familie die Zeit bei den Paulers erlebt hat, doch auf Nachfrage will diese sich nicht dazu äußern.

Als weiteres Problem sah Pauler, dass der elfjährige Ukrainer etwa "verwöhnt" gewesen sei: Er saß mit dem Handy am Esstisch, aß lediglich Fleisch, weder Gemüse noch Salat: "Wir haben dann irgendwann getrennt gegessen, weil meine Kinder mich immer gefragt haben, warum er das jetzt alles darf und sie nicht". Miriam Pauler habe ihren Kindern nur geantwortet: "Ich bin nicht seine Mutter, ich kann es ihm nicht verbieten."

Außerdem wurde die Energienutzung zum Problem: "In der Ukraine kostet der Strom wohl nicht so viel wie bei uns", mutmaßt die vierfache Mutter Pauler. Vor allem der Elfjährige habe das Licht in den Zimmern oft angelassen, auch wenn die Sonne noch schien. Sie sei ihm dann nachgelaufen und habe die Lichter immer wieder ausgemacht - auch auf Englisch habe sie mehrmals darauf hingewiesen: "Aber irgendwann will man es auch nicht zum 300. Mal sagen." Ihren Ärger darüber hätten die übrigen ukrainischen Gäste wohl bemerkt. Sie seien irgendwann nur noch mit Handytaschenlampen durchs Haus, um das aufzufangen, was der Sohn angerichtet hat.

Einiges hätte sie von Anfang an anders gemacht

Wenn die Unterweilbacherin zurückschaut, hätte sie trotzdem wieder eine Gastfamilie aufgenommen - auch wenn alles anders lief, als sie es sich vorgestellt hat: "Ich wäre auch froh, wenn mir jemand in dieser Situation geholfen hätte." Einiges hätte sie von Anfang an anders gemacht, hätte klare Regeln gesetzt, zum Beispiel, wann gegessen wird. Und sie hätte klar vermittelt: "Gegessen wird, was auf dem Tisch kommt." Außerdem würde sie Dinge sofort ansprechen, "bevor etwas hochkocht", etwa warum es Sinn macht, das Licht tagsüber auszuschalten.

Einen Streit als Auslöser für den Auszug der Geflüchteten gab es laut Pauler nicht - beide Seiten waren mit der Situation wohl nicht mehr zufrieden: "Die Familie hat selbst schon nach einer Wohnung geschaut", erzählt Miriam Pauler. Als sie dann in der Whatsapp-Gruppe für Hebertshausener Asylhelferinnen und -helfer las, dass das Boarding House in der Ortsmitte bezugsfertig ist, erzählte sie ihren ukrainischen Mitbewohnern davon: "Die meinten dann, das ist das Richtige für uns."

Kontakt zu den ehemaligen Mitbewohnern besteht weiterhin. Immer wieder hätten sie sich dankbar gezeigt, dass sie bei den Paulers wohnen durften, erinnert sich der siebenjährige Simon: "Sie haben beim Spülmaschine-Ausräumen geholfen, beim Tisch-Aufdecken und Abräumen und sie haben mir Seifenblasen geschenkt", sagt er lächelnd. Problematisch sei das Zusammenleben wohl vor allem mit dem Elfjährigen in der vorpubertären Phase gewesen, erzählt Miriam Pauler: "Aber das hätte uns mit einem Austauschschüler aus England oder Hamburg genauso passieren können." In ihrem Fall hätte auch mehr Unterstützung vom Landratsamt nichts gebracht: "Da ging es einfach ums Zwischenmenschliche. Da sollte man keinen Dritten einbeziehen, sondern gleich alles ansprechen."

"Als Herbergsfamilie sollte man sagen, was man erwartet"

Helfen macht glücklich, kann aber auch herausfordernd sein. Das zumindest ist die Erfahrung von Silke Dütz vom Helferkreis Hebertshausen: "Kritisch wird es meistens, wenn Wohnraum geteilt wird." Ähnlich wie in einer WG gebe es manchmal ungleiche Vorstellungen, zum Beispiel beim Thema Putzen, deshalb rät sie: "Als Herbergsfamilie sollte man sagen, was man erwartet."

Der Hebertshauser Helferkreis versucht, die örtlichen Gastgeberfamilien so gut es geht zu unterstützen: "Am Anfang ging es darum, dass die Geflüchteten trocken und sicher untergebracht werden, jetzt geht es um die Integration", deshalb organisieren Helferkreis und Nachbarschaftshilfe in Hebertshausen zum Beispiel Ausflüge, Fahrdienste oder Nachmittage zum Deutschlernen - um auch die Gastgeber vor Ermüdungserscheinungen zu bewahren.

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