Kultur in Dachau:Symphonische Einheit

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Das Karlsfelder Sinfonieorchester tritt unter der Leitung von Bernhard Koch auf. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ganze fünf Mal musste das Karlsfelder Sinfonieorchester ein Auftritt pandemiebedingt absagen. Doch das Warten hat sich gelohnt: Der Abend ist eine Sternstunde für die Musiker.

Von Adolf Karl Gottwald, Karlsfeld

Hier geht es nicht um festlichen Glanz, hier geht es um mehr. Das zeichnete sich bereits bei den ersten Takten des Sinfoniekonzerts ab, das vom Karlsfelder Sinfonieorchester unter der Leitung von Bernhard Koch nach fünf (!) pandemiebedingten Absagen im Bürgerhaus Karlsfeld veranstaltet werden konnte. Die Karlsfelder haben die Wiederkehr "ihres" Sinfonieorchesters offenbar mit Freude begrüßt, der Saal war so gut besetzt wie noch selten zuvor bei einem vergleichbaren Konzert. Bernhard Koch dirigierte als Auftakt die Ouvertüre der Oper "La clemenza di Tito" von Mozart. Dabei unterstrich er die Milde des römischen Kaisers Titus, die dieser Oper, die 1791 zur Krönung des Kaisers Leopold II. in Prag uraufgeführt wurde, ihren Titel gab, durch weiches, ausgesprochen mildes Musizieren in gemäßigtem Tempo.

Diese Ouvertüre sollte gewissermaßen auf das vierte Klavierkonzert von Beethoven einstimmen, dem im Gegensatz zu den meisten seiner anderen Werke jegliche heroische, für Beethoven eigentlich typische Komponente fehlt. Wohl deshalb wird Beethovens Klavierkonzert in G-dur, das etwa gleichzeitig mit seiner 4. Sinfonie entstanden ist, als sein schönstes und besonders beglückendes Klavierkonzert angesehen. Unendlich schön ist bereits der Anfang: Das Konzert beginnt ohne Orchestereinleitung mit einem piano und dolce zu spielenden Klaviersolo von nur fünf Takten in G-dur, worauf das Orchester in H-Dur - wie aus der Ferne - antwortet. Was folgt ist eben nicht ein Konzert für Klavier mit Begleitung des Orchesters, sondern eine symphonische Einheit von Klavier und Orchester, wobei dem Solopart freilich der von ihm erwartete Vorrang an Virtuosität und Brillanz zugestanden ist.

Der Saal im Karlsfelder Bürgerhaus ist so gut besetzt wie noch selten zuvor bei einem vergleichbaren Konzert. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Solistin war die musikalisch außerordentlich feinfühlige Münchner und zugleich russische Konzertpianistin Anna Heller, die eher für ihr Eintreten für zeitgenössische Klaviermusik und deren phantasievolle Interpretationen bekannt geworden ist. Das Beethoven-Klavierkonzert war für sie eine große Herausforderung, die sie aber vollendet meisterte, wobei sie die der Solistin zustehende Freiheit der musikalischen Gestaltung durchaus wahrnahm. Das macht das Zusammenspiel für das Orchester ungemein schwer. Das Karlsfelder Sinfonieorchester entwickelte dabei eine Geschmeidigkeit des Musizierens, eine Elastizität, die man einem Laienorchester nie zugetraut hätte.

Besonders schön ist der Dialog zwischen Klavier und Orchester

Besonders schön ist und war in dieser Aufführung der Dialog zwischen Klavier und Orchester im zweiten Satz. Man hat bei diesem Satz an die antike Erzählung von Orpheus in der Unterwelt gedacht. Auch das Karlsfelder Programmheftchen greift diesen Gedanken auf. Der große Münchner Musikologe Walter Riezler aber sagt in seinem bekannten Beethoven-Buch dazu: "Ein poetisches Bild, das wohl zum Anfang stimmt, aber dem weiteren Verlauf nicht mehr gerecht wird, das daher einer unbefangenen Auffassung des musikalischen Gehalts nur im Wege steht." Bei der Karlsfelder Aufführung unter der Leitung von Bernhard Koch und Anna Heller am Klavier kam die Musik in ihrer großen Innigkeit und ausgeprägten Charakteristik in jeder Hinsicht "zum Sprechen".

Das gilt nicht nur für die Interpretation des Beethoven-Klavierkonzerts, in mindestens ebenso besonderem Maße auch für die Aufführung der Symphonie H-Moll, der sogenannten "Unvollendeten" von Franz Schubert. Jeder kennt die unvergleichlich eindrucksvollen, sprechenden Melodien dieser Symphonie und könnte sie mitsummen, aber bei dieser ungemein innigen, tief ergreifenden Aufführung unter Bernhard Koch war wohl niemand zum oberflächlichen Mitsummen verführt. Auch hier sollen nicht Worte einzelne Aspekte beleuchten und den Gesamteindruck schwächen. Dieser Abend war eine Sternstunde des Karlsfelder Sinfonieorchesters, für die Zuhörer zugleich eine Weihestunde der Musik, die überdies der heute so bitter nötigen Völkerverständigung gewidmet war.

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