Gewerbegebiet Karlsfeld:Initiative plant neues Bürgerbegehren

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2010 scheiterte die Gemeinde mit Plänen für ein Gewerbegebiet im Grünzug am Widerstand der Bürger. Jetzt scheint alles von vorne loszugehen.

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Mit einem so klaren Votum hatte niemand gerechnet. Fast 64 Prozent der Karlsfelder sprachen sich gegen ein Gewerbegebiet, im Grünzug an der Schleißheimer Straße aus. Die Pläne der schwarz-roten Gemeinderatsmehrheit waren von einem Tag auf den anderen Makulatur. Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) sagte, das sei eine demokratische Entscheidung, die gelte es zu respektieren. Mit ihm als Bürgermeister werde es kein Gewerbegebiet an der Schleißheimer Straße geben. Die Naturschützer jubelten. Mechthild Hofner, Sprecherin der Bündnis-Fraktion sprach von einem "nachhaltigen Sieg für Karlsfeld". Das war am 19. Dezember 2010.

Fünf Jahre später: Wieder plant die Gemeinde ein Gewerbegebiet an der Schleißheimer Straße, das Bebauungsplanverfahren läuft auf Hochtouren. Und die Bürgerinitiative "Grünzug Karlsfeld und Dachau" schäumt. "Es wird so lange nachtarockt, bis es passt", schimpft Werner Stingl. Beim Treffen der Bürger macht sich Wut breit. Das Wunder von 2010 war hart erarbeitet mit Unterschriftensammeln, Plakatekleben, mit Infoständen bei Schnee und Regen. Jetzt sind die Bürger fünf Jahre älter. Die meisten Aktiven gehören der Generation 50 plus an, viele fragen sich, ob sie sich das noch mal antun wollen.

SZ-Grafik (Foto: N/A)

2010 war Bürgermeister Kolbe politisch unerfahren. Die donnernde Ablehnung war auch Ergebnis der miserablen Kampagne im Rathaus. "Die Gemeinde hat aus ihren Fehlern gelernt", sagt Adrian Heim, Bürger und Gemeinderatsmitglied vom Bündnis für Karlsfeld. "Man hat viele Kritikpunkte aufgenommen und in den neuen Planungen berücksichtigt." Das wichtigste ist die Größe. Statt um 7,5 Hektar Fläche geht es nun noch um etwa 4,2. Es gibt mehr Grün, sogar ein kleines Erholungsgebiet mit Biergarten könnte entstehen.

Jüngst hat die SPD neben dem geplanten Gewerbegebiet auch noch ein Landschaftsschutzgebiet beantragt, als Ausgleichsmaßnahme. In den Augen der BI ist das nichts weiter als ein taktisches Manöver. "Völlig unglaubwürdig", sagt der Dachauer Bruno Schachtner. "Das ist eine Farce." Genau wie der Bürgerworkshop, in dem die Gemeinde 15 Karlsfelder Standortvorschläge für Gewerbe ausarbeiten ließ. An zweiter Stelle stand eine reduzierte Variante der Pläne von 2010. Der Gemeinderat hat diesen Vorschlag abgesegnet, und angesichts der prekären Finanzlage der Kommune gilt nun die Lesart: Der Bürger hat es sich anders überlegt - nicht etwa der Bürgermeister und seine Unterstützer. Adrian Heim ärgert das. "Jetzt zu behaupten, das sei der Bürgerwille, ist doch sehr gewagt." 15 Karlsfelder seien nicht repräsentativ in einer Gemeinde mit knapp 20 000 Einwohnern. Aber in seinen Augen sind das sowieso nur politische Tricksereien. Das Misstrauen von 2010 ist wieder da.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Bruno Schachtner aus Dachau kritisiert das geplante Gewerbegebiet.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Die Gegner formieren sich: Zu ihnen zählt Mechthild Hofner aus Karlsfeld.

Bruno Schachtner hat mit sieben Mitstreitern eine Petition an den bayerischen Landtag geschickt gegen die Gewerbegebietsausweisung in Karlsfeld. Der Versuch einer Notbremsung von oben. Die Erfolgsaussichten sind mäßig. Alle wissen: Die einzige scharfe Waffe wäre ein Bürgerbegehren. "Das wird eine Riesenanstrengung", sagt Marco Brandstetter, aber die sei notwendig, um die Leute aufzurütteln. Mechthild Hofner, die auch Bündnis-Fraktionssprecherin ist, scheut nicht vor Pathos zurück: "Es ist unsere moralische Pflicht, die Umwelt für unsere Kinder und Kindeskinder zu erhalten." Gut gegen Böse.

Beschlossen wird an diesem Mittwochabend noch nichts, aber die Stimmungslage lässt keinen Zweifel zu. Die BI will kämpfen. Es ist ja nicht nur das Karlsfelder Gewerbegebiet, das die Bürger durch das schwindende Dachauer Moos bedroht sehen. Auf Dachauer Seite soll das Seeber-Gelände zum Gewerbegebiet werden, eventuell mit Fortsetzung nach Osten. Südlich der Siemens-Straße ist weiteres Gewerbe im Gespräch, dazu kommt die geplante Nordostumfahrung mitten durch FFH-Gebiet.

Aus Sicht der BI steht dahinter ein Masterplan Dachaus und Karlsfelds, den gesamten Grünzug scheibchenweise der Ansiedlung von Gewerbe zu opfern. Alle geplanten Maßnahmen zusammengerechnet, kommt Bernhard Lauth auf etwa 30 Hektar Moos, die in absehbarer Zeit unwiederbringlich verschwinden könnten. Die 4,2 Hektar in Karlsfeld nehmen sich da vergleichsweise läppisch aus.

"Das ist der Türöffner", glaubt Adrian Heim. Dann geht es wie im Domino: Ein Stein nach dem anderen fällt. "In der Summenwirkung werden die Flächen weitestgehend zerstört", warnt Bernhard Lauth. "Das bedeutet einen enormen Verlust von Wohnqualität in Dachau Ost und in Augustenfeld." Eigentlich müssten dann doch alle auf die Barrikaden gehen. Warum passiert das nicht? "Das Problem wird erst spürbar, wenn gebaut ist", sagt Marco Brandstetter. Dann, wenn es zu spät ist.

Um ein Bürgerbegehren zu initiieren, muss die BI die Unterschriften von neun Prozent der Karlsfelder Wahlberechtigten sammeln, also von 1500 bis 1700. Das ist eine hohe Hürde. Ob sie sich den Sprung wirklich traut, will sie am 5. Oktober entscheiden. Genug Wut wäre vorhanden.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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