Jazzkonzert in Dachau:Im Dienste des Infernos

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Für einen infernalischen Bläsersatz braucht es nicht immer die Trompeten von Jericho: "Kuhn Fu" mit Sofia Salvo (Bariton-Saxofon), Ziv Taubenfeld (Bassklarinette), John Dikeman (Tenorsaxofon), Christian Achim Kühn (Gitarre), George Hadow (Schlagzeug) und Esat Ekincioğlu (Bass). (Foto: Toni Heigl)

"Kuhn Fu" macht seinem martialischen Namen alle Ehre. Das multikulturelle Jazz-Ensemble bringt eine enorme Lautstärke und Energie auf die Bühne und ist zugleich eine Demonstration des wunderbaren Miteinanders in der Musik.

Von Andreas Pernpeintner, Dachau

Welch ein Auftakt des diesjährigen Jazzherbstes in der Kulturschranne ist dieses Konzert der Formation Kuhn Fu um den Berliner Gitarristen Christian Achim Kühn. Es ist mehr ein Aufschlag als ein Auftakt. Einer mit 140 Meilen pro Stunde. Dazu gleich mehr. Axel Blanz, Programmkoordinator des Jazz e.V., versäumt nicht, eingangs die besondere Zusammensetzung der Band zu beschreiben: Neben Kühn besteht sie aus Ziv Taubenfeld aus Israel an der Bassklarinette, John Dikeman aus den USA am Tenorsaxofon, Sofia Salvo aus Argentinien am Baritonsaxofon, Esat Ekincioğlu aus der Türkei am Bass und George Hadow aus den Niederlanden am Schlagzeug.

Es ist wirklich wundervoll, wie hier Musikprofis aus aller Welt zusammenzukommen, um an diesem Abend im Lernort Dachau zusammen zu musizieren. Würden alle Menschen zu Instrumenten greifen anstatt zu Gewehren und Raketen, gäbe es mehr Musik und weniger Krieg in der Welt, sagt Blanz. Das mag ein etwas simpler und frommer Wunsch sein. Aber ein schöner.

Damit haben die Adjektive "fromm" und "schön" für diesen Abend aber auch ausgedient. Sie machen Platz für eine hinreißende, friedliche Form von "infernalisch". Im Grunde dient alles, was Kühn und seine Band fortan vollbringen, dazu, dem musikalischen Inferno das Terrain zu bereiten, es anzukündigen, zu kontrastieren, zu kontextualisieren. Selbst dann, wenn die Band mal leise spielt, steht auch das im Dienst des Infernos.

Mit der Wucht seines E-Basses kann Ekincioğlu das Meer teilen

Leise Momente gibt es. Bassist Ekincioğlu zum Beispiel, der mit der akustisch allmächtigen Wucht seines E-Basses das Meer teilen kann, greift irgendwann zum Kontrabass, mit dem er das ebenfalls kann, mit dem er aber auch ein melodisches Solo spielt. Mit dem Bogen gestrichen sogar. Mit Vibrato sogar. Geradezu lyrisch - nein, das wäre zu viel behauptet. Lyrik ist an diesem Abend keine Kategorie.

Dabei versucht sich Kühn an Dichtung: Die zweite Konzerthälfte besteht aus einer Art riesiger, balladesker Melodramtondichtungsparabel mit Gesangseinlage über "Vom Fischer und seiner Frau", der in Kühns Version in Dachau aus der Isar (ja, aus der Isar) steigt und dort einen Swimmingpool baut, sich einen blauen Porsche Targa wünscht, aber einen grauen Volvo bekommt und am Ende auf dem Oktoberfest tanzt. Oder so ähnlich.

In vielen Momenten will Kühn mit seinen Texten erkennbar lustig sein. In wenigen ist er das auch. In den anderen ist er immerhin skurril. Dabei muss man diesem Werkkonzept lassen, dass es ausgesprochen kurzweilig ist und durch das Erzählgerüst der musikalischen Abrissparty einen Sinnzusammenhang ergibt.

So laut wie diesmal war es im Dachauer Jazzclub seit dem Panzerballett nicht mehr. Manche Treuen aus dem Publikum, die schon zu Café-Teufelhart-Zeiten vorne saßen, fliehen nach hinten an die Bar. Die Getränkebestellung erleichtert das nicht. Man bestellt schreiend oder noch besser stumm auf der Karte zeigend, was man will. Ob das Schrannenpersonal in der Küche, das schon manches Musikstück akustisch hintertrieben hat, diesmal die Würde der Kunst empfindet, ist nicht bekannt.

Die Gitarre verzerrt, die Blasinstrumente überblasen

Aber was sind nun die Komponenten des Infernos? Wenn Schlagzeuger Hadow und Bassist Ekincioğlu ihren Motor anwerfen, ist das wie ein hochgezüchteter Big Block mit Nachbrenner. Und der hält ein ganzes Langstreckenrennen. Darauf toben sich Kühn und die Bläser aus. Die Gitarre verzerrt, die Blasinstrumente überblasen - und selbst wenn sie nicht überblasen werden, formen Tenorsaxofon, Bassklarinette und Baritonsaxofon einen machtvollen Bläsersatz. So fräst man rhythmisch präzise mit seltenen Akkordwechseln durch Gitarrenriffs, Bläserriffs, Bassriffs und Soli. Das ist brachial. Das ist einfach herrlich.

Dennoch muss dieser Text leise schließen. Denn in all dieser Lust am organisierten Exzess bleibt einmal für einige Momente Dikemans Tenorsaxofon allein zurück. Und Dikeman spielt es in diesen Augenblicken mit einer derart grandiosen Klangkontrolle, dass sich zur kreischenden hohen Schwingung eine klar hörbare untere Melodielinie gesellt. Konrad Bauer vom Zentralquartett vollbrachte mit seiner Posaune auf der Dachauer Jazzbühne einst eine ähnliche Zweistimmigkeit. Das war zauberhaft. Und das ist es auch heute.

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