Historische Aufarbeitung:Völkischer Kolonialkünstler

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Der Dachauer Bildhauer Walter von Ruckteschell mit seinen kolonialen Skulpturen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Dachau tut sich schwer mit einer Neubewertung Walter von Ruckteschells

Von Helmut Zeller, Dachau

Andernorts in der Bundesrepublik wurden in diesem Jahr heftige Debatten über die kolonialistische Vergangenheit Deutschlands geführt. In Dachau hingegen: Fehlanzeige. Dabei hätte es doch einen guten Anlass dafür gegeben: den Bildhauer Walter von Ruckteschell (1882-1941). Eine Ausstellung der bildenden Künstlerin Anja Seelke aus Stade veränderte gründlich den Blick auf diese Legende der Dachauer Kunstgeschichte. Von Ruckteschell lebte in den 1920er Jahren in Dachau, schuf Skulpturen, die im öffentlichen Raum stehen, und gründete 1927 die Künstlervereinigung Dachau (KVD). Ruckteschell ist eine Ikone, mit der sich die "Stadt der Künstlerkolonie" von ihrer NS-Vergangenheit abgrenzt. Doch Seelke zeigte, dass sein Werk eben doch vom kolonialistischen Blick geprägt ist und dem völkisch-rassistischen Denken der Nazis näher steht, als man das bisher sehen wollte.

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Es war eine mutige Entscheidung des Oberbürgermeisters Florian Hartmann (SPD) und der Stadträte im Kulturausschuss, Seelkes Projekt zu befürworten und sie zur Ruckteschell-Stipendiatin (Dezember 2020 bis Mai dieses Jahres) zu wählen. Ihr Kunstprojekt markiert einen Wendepunkt im Umgang mit der Geschichte der Künstlerstadt - auch wenn Vertreter des Kulturbetriebs nur mit Schweigen reagierten. Kulturamtsleiter Tobias Schneider urteilte: "Man muss sich von dem falschen Bild, das man sich von Ruckteschell gemacht hat, verabschieden." Offenbar aber wollen sich Künstler und Museen nicht den lieb gewordenen Mythos zerstören lassen. Vielleicht gab es deshalb schon im Vorfeld abwehrende Reaktionen auf Seelkes Nachforschungen. Noch 1993 hatte der Zweckverband Dachauer Galerien und Museen mit einer Sonderausstellung Ruckteschell als einen Künstler dargestellt, der völlig frei vom kolonialistischen Herrenmenschenblick seiner Zeit gewesen sei. Oberbürgermeister Florian Hartmann fordert einen "weitaus kritischeren Umgang als bisher" mit Ruckteschell. Gerade Dachau in seinem geschichtlichen Kontext müsse sich mit der Zeit des Kolonialismus kritisch auseinandersetzen und einzelne Künstler hinterfragen. "Bisher ist in diese Richtung wenig geforscht worden. Aber es gibt bei dem einen oder anderen schon Vermutungen, denen man nachgehen muss."

"Kwahari Askari - Wiedersehen mit den Askari" heißt die Ausstellung in der Ruckteschell-Villa. Der Titel nimmt Bezug auf die sogenannte Lettow-Mappe von 1921, zehn Porträts von vier Männern, vier Frauen und zwei Kindern im Auftrag des Generals Paul von Lettow-Vorbeck, der in den Völkermord an den Herero und Nama verwickelt war. Ruckteschell hatte mit ihm in der Kolonie "Deutsch-Ostafrika" gekämpft.

Der Mythos Ruckteschell ist erschüttert, die Gestrigen werden eine kritische Aufarbeitung nicht aufhalten - Seelkes Ausstellung hat den Anfang gemacht.

© SZ vom 27.12.2021 / hz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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