Flüchtlingshilfe in Hebertshausen:"Vorurteile sind das Schlimmste"

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Bürgermeister Richard Reischl mit Bauhof-Mitarbeiter Mischak Oneyake. Die Gemeinde Hebertshausen zahlt den Flüchtlingen keinen Billig-, sondern den Tariflohn. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Richard Reischl ist Bürgermeister der kleinen Gemeinde Hebertshausen - der CSU-Politiker findet die Flüchtlingspolitik seiner Partei befremdlich.

Von Gregor Schiegl

Schon wieder ein anonymer Brief. Der oder die Urheberin beklagt, was sich am Hauptbahnhof abspielt. "Viele Schwarze schauen mich an wie Freiwild." Richard Reischl sitzt an seinem Schreibtisch im Rathaus und schüttelt den Kopf. "Wie soll ich auf so etwas reagieren?" Der 38-Jährige ist nicht zuständig für den Münchner Hauptbahnhof, Reischl ist Bürgermeister der Gemeinde Hebertshausen, ein Dorf am Rande des Dachauer Mooses. Hier gibt es nur eine S-Bahnstation, 5000 Einwohner leben hier und 61 Flüchtlinge.

Die Flüchtlinge im Ort kennt Reischl persönlich. "Das sind alles nette Menschen". Als 2013 der Helferkreis gegründet wurde, war er mit dabei. Reischl ist einer, der überall mit anpackt, bei der Feuerwehr, in mehr als zwei Dutzend Vereinen. Seit einem Jahr ist er Bürgermeister in Hebertshausen, die CSU hat die absolute Mehrheit, auch Reischl gehört der Partei an. Der Gemeinderat hat beschlossen, ein Grundstück mitten im Dorf anzubieten, wo der Landkreis noch einmal 70 unbegleitete Flüchtlinge unterbringen kann. Dafür gab es viel Lob. "Ich will, dass man stolz sein kann auf Hebertshausen."

Alle Menschen ernst nehmen

Während vielerorts Kommunalpolitiker sagen, nun sei es aber langsam genug mit den Flüchtlingen, oder gar nichts sagen, betätigt sich Reischl als unermüdlicher Aufklärer. "Ein Großteil der Bürger hat eine verständliche Angst und nimmt eine zurückhaltende Position ein", sagt er. Verständlich deshalb, weil sie nicht so genau wissen, was da auf sie zukommt. Reischl erklärt es ihnen. "Ich versuche, die Leute ernst zu nehmen."

Deswegen ärgert ihn das anonyme Schreiben auch so. Da ist niemand, dem man zurückschreiben könnte. Reischl weiß nicht mal, was der Verfasser will. Weniger Flüchtlinge in München? Weniger in Hebertshausen? Gar keine Flüchtlinge? Manchmal haben die Leute ja auch abenteuerliche Vorstellungen.

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Es kursieren wilde Geschichten, wie üppig die Flüchtlinge angeblich alimentiert werden - bis hin zum bezahlten Bordellbesuch. In den sozialen Netzwerken verbreitet sich der Unsinn rasend schnell, viele nehmen ihn für bare Münze. Aus dem Landratsamt Dachau hat Reischl sich eine Liste besorgt, was Asylbewerber an staatlichen Leistungen erhalten - und was nicht. "Es kann nicht sein, dass man falsche Behauptungen so stehen lässt", sagt Reischl.

Fakten gegen abstruse Behauptungen

Seine Gemeinde ist überschaubar, trotzdem nutzt er Facebook intensiv, um mit den Bürgern zu kommunizieren. Auf seiner Seite bezieht er Position, stellt Fakten gegen Behauptungen, postet Fotos der Flüchtlingsunterkunft. Man sieht grünen Rasen: alles sauber und ordentlich. "Danke an unsere Asylbewerber und dem Helferkreis", schreibt Reischl. Er kennt die Bilder im Netz: Berge von Müll, die angebliche "Asylbetrüger" dem deutschen Steuerzahler hinterlassen. Reischl hat einen Beitrag verlinkt: "So einfach bastelst du dir einen Hetz-Post gegen Asylbewerber."

Als er mitbekommt, dass ein 16-Jähriger aus seiner Gemeinde fremdenfeindliche Beiträge auf Facebook mit "Gefällt mir" markiert, schreibt er ihm eine persönliche Nachricht. Die beiden kommen ins Gespräch. Der ehrenamtliche Bürgermeister und Elektromeister, der immer noch vier Tage in der Woche als Lehrer an der Meisterschule arbeitet, stellt dem Jugendlichen seine Sicht der Dinge dar und gibt ihm ein paar Fakten zum Nachdenken.

Sieben Tage später treffen sie beim Waldfest in der Gemeinde aufeinander. Der junge Bursche geht auf Reischl zu und sagt: "Ritschi, du hattest recht." Im Ort nennen ihn alle Ritschi, das war schon immer so. Deswegen fände er es auch komisch, wenn sie jetzt "Herr Bürgermeister" sagen.

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1992 bauten seine Eltern ein Haus in Hebertshausen. Der junge Richard war damals 16. Eines Tages fand er einen Obdachlosen im Haus. "Der hat sich ein trockenes Plätzchen gesucht", erzählt er. Der junge Reischl wollte den Obdachlosen hochkant rausschmeißen. Dann kam sein Vater dazu und es gab ein richtiges Donnerwetter. Und zwar für den Buben, was er sich anmaße, jemand zu vertreiben, der in Not war und das vermutlich nicht mal aus eigenem Verschulden. Das hat Richard Reischl sich gemerkt. "Vorurteile sind das Schlimmste", sagt er.

Nicht umsonst fördert er den Ausbau der zwei Außenklassen des Behindertenwerks Schönbrunn an der Schule Hebertshausen. "Die Leute sollen sehen: Es gibt auch Menschen, die anders sind." Seitdem er Vater geworden ist - vor einigen Tagen kam sein zweites Kind auf die Welt - gehen ihm die Schicksale der Flüchtenden besonders nah. "Man entwickelt Ängste und Gefühle, die man davor nicht hatte."

Nach der Rückkehr aus seinem Sommerurlaub postete er das Bild des im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi: "Wie wollt Ihr noch länger mit Euren Ängsten argumentieren in Anbetracht dieses Bildes? Was habt Ihr? Was hat dieser Vater noch?"

Das heißt nicht, dass Reischl blind für Probleme wäre oder Konflikte verleugnete: Anfangs gab es Beschwerden, dass Schwarzafrikaner die Frauen mit "Ficki-Ficki" ansprechen. Im Helferkreis hat man den Flüchtlingen erklärt, dass sie Kontakt zu Frauen aufnehmen könnten, kein Problem, aber nicht in dieser Form. Das haben sie beherzigt. Und sie haben die Chance wahrgenommen, die Reischl ihnen gab, sich selbst in die Dorfgemeinschaft miteinzubringen wollen. Beim Bau eines Spielplatzes halfen viele fleißig mit.

Andere Bürgermeister fühlen sich unter Druck gesetzt

Inzwischen arbeiten auch drei Schwarzafrikaner im Bauhof der Gemeinde, das gibt es auch in anderen Kommunen. Aber in Hebertshausen werkeln sie nicht als Billigarbeitskräfte für 1,05 Euro, sondern nach dem neunmal höhere Tariflohn. Das kommt nicht bei allen Bürgermeisterkollegen gut an. Man fühlte sich unter Zugzwang gesetzt. Reischl ist das egal, er macht ja keinem Vorschriften. "Das ist unser Weg", sagt er. "Die anderen müssen selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen."

Und so einer ist in der CSU? In einer Partei, in der die Dachauer Bundestagsabgeordnete Gerda Hasselfeldt von der Landtagsfraktion abgewatscht wird, weil sie bei den Attacken auf den flüchtlingsfreundlichen Kurs der Kanzlerin nicht mitmachen will? In seiner CSU fühlt sich Reischl dieser Tage fremd. Der schrille Ton stört ihn, vor allem von Finanzminister Markus Söder. "Das Geschwafel mit dem Zaun fand ich unmöglich." Überhaupt steht er in der Flüchtlingspolitik eher auf Seiten der Kanzlerin.

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In der CSU ist Reischl teils aus Überzeugung, teils aus Zufall. Sein Feuerwehrkommandant hatte ihn gefragt, ob er nicht auf der CSU-Liste kandidieren wolle. Reischl war einverstanden, er war ja nur Zählkandidat, ganz weiten hinten. Aber dann bekam er die meisten Stimmen. Die Leute mögen ihren Ritschi. Ein Rebell ist er gewiss nicht, aber ein Parteisoldat ist er auch nicht und wird er wohl nie werden.

Ein untypisches CSU-Mitglied

Der Tag, an dem er sich einem Fraktionszwang unterwerfen müsste, wäre der letzte in seinem Leben als Politiker. Reischls Kinder sind nicht getauft, kirchlich geheiratet hat er auch nie. In seine Mannschaft holte er sich viele Parteilose. "Ich wollte die besten", sagt er. "Das sind nicht unbedingt die mit Parteibuch." Zum Entsetzen seiner CSU diente er seinen Stellvertreterposten den Freien Wählern an. Er teilt die Macht und die Verantwortung. Damit ist er bislang gut gefahren. "Die größte Opposition habe ich hier in meiner eigenen Fraktion."

Doch am Ende finden immer alle zusammen. Die Entscheidung, die Fläche für unbegleitete Flüchtlinge anzubieten, fiel im Gemeinderat übrigens einstimmig. Für eines der Kinder will Reischl die Vormundschaft übernehmen.

Es wäre dann sein drittes Kind.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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