Flüchtlinge an Hochschulen:Studieren ohne Zeugnis

Flüchtlinge an Hochschulen: Filmon Debru hat in Eritrea Informatik studiert, dann hackten ihm Räuber die Hände ab. In München möchte er nun gerne weiterstudieren.

Filmon Debru hat in Eritrea Informatik studiert, dann hackten ihm Räuber die Hände ab. In München möchte er nun gerne weiterstudieren.

(Foto: Catherina Hess)

Vier Jahre lang war Filmon Debru auf der Flucht. Jetzt möchte er Informatik studieren. Doch ohne Zeugnisse nahm ihn keine Hochschule. Das soll sich jetzt ändern.

Von Eva Casper

Eigentlich ist das Leben in Deutschland für ihn wie im Himmel, sagt Filmon Debru. Aber manchmal wünscht er sich doch, er wäre in den USA. Wegen der Sache mit den Zeugnissen. Ein Freund von ihm ist auch aus der Heimat in Ostafrika geflohen, ohne Zeugnisse natürlich. Wenn das Leben in Gefahr ist, gibt es Wichtigeres. Dieser Freund wollte in den USA weiter studieren, er musste an der Uni dort nur einen Aufnahmetest bestehen - und war drin. Filmon Debru würde auch gern wieder zur Uni. Seit einem Jahr lebt der 30-Jährige aus Eritrea in Pasing, sein Asylantrag ist anerkannt, ausreichende Deutschkenntnisse hat er nachgewiesen. Aber weiter Informatik studieren darf er in München bisher nicht. "Hier fragt jeder nach den Vorleistungen in der Uni." Debru hat keine Zeugnisse. "Ich komme aus einem Land, wo sie dich ins Gefängnis werfen, wenn du nach Zeugnissen fragst." Zu gern würde er einen Aufnahmetest machen: "Wenn meine Kenntnisse dann nicht reichen, das würde ich verstehen", sagt Debru. Aber so weit kam es bisher nicht.

Flüchtlinge und der Zugang an die Hochschulen, das ist ein Thema, das deutschlandweit diskutiert wird. Es ist klar, dass ein Studium die Lebenschancen auch für Flüchtlinge erheblich verbessert. Und die Wirtschaft fordert ständig, dass man es den Zugezogenen leichter machen müsse zu arbeiten. Im ganzen Land arbeiten Unis an speziellen Angeboten für Flüchtlinge. Was also tun die Münchner Hochschulen? Und wo sind die Grenzen?

TU und LMU starten dieses Semester spezielle Programme für Flüchtlinge

Die Technische Universität (TU) hat gerade ihr neues Mentorenprogramm präsentiert. Die teilnehmenden Flüchtlinge können kostenfrei Lehrveranstaltungen besuchen und Serviceeinrichtungen der TU nutzen. Speziell ausgebildete Studenten beraten Flüchtlinge und integrieren sie in das Campusleben, zum Beispiel mit gemeinsamen Ausflügen. Geplant ist, dass sich jeweils ein Mentor um einen Neuling kümmern soll. "Wie das Buddy-Prinzip beim Tauchen. Da geht man ja auch nicht alleine runter", erklärt TU-Sprecher Ulrich Marsch. "Unser Ziel ist es, die Flüchtlinge auf ein reguläres Studium vorzubereiten." Bis auf die zulassungsbeschränkten Fächer Medizin und Ernährungswissenschaften seien alle Studiengänge offen. Die Zahl der Plätze ist flexibel: "Wir nehmen die Personen, die ausreichende Kenntnisse in Deutsch oder Englisch haben." Ein Zeugnis brauchen sie nicht. Derzeit hätten sich 100 Flüchtlinge beworben, so Marsch.

Die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) bietet seit September ein Programm an, bei dem Flüchtlinge den gleichen Status wie Austauschstudenten bekommen. Das heißt, sie können Prüfungen ablegen und Credits sammeln. Allerdings nur in Studiengängen ohne Zulassungsbeschränkung. Zusätzlich gibt es Deutschunterricht für maximal ein Jahr. Flüchtlinge, die kein Zeugnis vorzeigen können, müssen einen Aufnahmetest absolvieren. "Wir wollen, dass sie anschließend in der Lage sind, ein reguläres Studium zu beginnen", so LMU-Sprecherin Luise Dirscherl. Eine Obergrenze an Plätzen gibt es nicht. Für dieses Wintersemester haben sich bisher 29 Flüchtlinge beworben.

Debru hat sich auf normalem Weg für dieses Wintersemester an der TU und der LMU beworben, die neuen Programme gab es da noch nicht. Wenigstens sein Abiturzeugnis hat er besorgen können. Doch das reichte nicht. LMU und TU lehnten ihn ab. Sein Abitur erfülle nicht deutsche Standards, haben sie ihm gesagt.

Seine Universität in Eritrea steckte ihn ins Gefängnis

Dreieinhalb Jahre hat Debru am Eritrea Institute of Technology in der Hauptstadt Asmara Informatik studiert. Wer dort seine Meinung frei äußerte, lebte gefährlich. Wie viele seiner Freunde wurde auch Debru einmal eingesperrt. Er hatte sich für Studenten eingesetzt, die auf einem Fest eine Choreografie vorführen sollten, obwohl ihre Religion ihnen das Tanzen verbot. Zwei Wochen saß er im Gefängnis. Als er wieder frei war, wollte Debru nicht zurück an diese Uni. Er ging in sein Geburtsland, den Sudan. "Dort hätte ich von meiner Ausbildung gut leben können." Doch dann kam der "Unfall", wie Debru es nennt. Er wurde von einer Räuberbande entführt. Sie verschleppten ihn auf die Sinai-Halbinsel und verlangten Lösegeld. Sie folterten ihn monatelang. Familie und Freunde sammelten das Lösegeld. Schließlich kam Debru nach Tel Aviv, seine Hände waren schwer verstümmelt.

Vier Jahre lang war Debru Flüchtling, über Belgien kam er in die EU. Eine Familie aus Pasing erfuhr von seiner Geschichte. Sie holten ihn nach München, damit seine Hände rekonstruiert werden können. Zumindest soweit das möglich ist. Seine Gastfamilie bezahlte alle drei Operationen und die Physiotherapie. "Das Schönste war, als ich wieder einen Stift halten konnte", sagt Debru. Er lebt noch bei der Familie, aber er möchte sich ein eigenes Leben aufbauen.

Die LMU schickte ihn nach der Ablehnung weiter zum Studienkolleg. Dort können ausländische Studenten, deren Schulabschluss hier nicht anerkannt wird, Fachwissen nachholen. Doch dort, erzählt Debru, habe er mit Bewerbern konkurriert, die sich lange auf ein Studium in Deutschland vorbereitet hatten und aus stabilen Verhältnissen stammten. Er schaffte den Aufnahmetest nicht, wenn auch nur knapp. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat vor Kurzem angekündigt, deutschlandweit 2400 zusätzliche Plätze an den 30 Studienkollegs anzubieten, um auf die spezielle Flüchtlingssituation einzugehen. Immerhin. Aber richtige Studienplätze sind das eben nicht.

Jetzt tippt er seine Bewerbungen mit zwei Fingern

Auch die Hochschule München (HM) hat das Thema Flüchtlinge im Blick. Vizepräsidentin Gabriele Vierzigmann sieht Sofortprogramme aber kritisch: "Wir wollen langfristige Projekte und keine Alibi-Veranstaltung." Auch Aufnahmetests als Ersatz für ein Zeugnis sieht sie skeptisch. Hier müsse ein einheitliches und praktikables System erarbeitet werden, sagt sie. In diesem Wintersemester beginnt an der HM ein berufsbegleitendes Bachelor-Programm in internationalem Projektmanagement. Er soll auf der Arbeitserfahrung der Flüchtlinge aufbauen und Managerkompetenzen vermitteln. Ein ausreichendes Zeugnis ist für die Bewerbung aber Voraussetzung.

Und wie geht es weiter mit Filmon Debru? Einen Job zu bekommen ist schwierig für ihn. "Ich kann mit meinen Händen ja schlecht Pizza ausliefern oder so." Er übt regelmäßig am Computer. Vor seinem Unfall schaffte er es mühelos, 70 Wörter pro Minute zu tippen, erzählt er. "Jetzt tippe ich mit der Zwei-Finger-Methode." Nur hat sich sein Gehirn noch nicht daran gewöhnt. Im Kopf ist er oft schneller als auf der Tastatur. Aber er will weiter üben: das Tippen, die Sprache. Und er will sich weiter bewerben, für ein duales Studium und ein Fernstudium. "Das Motto eines Flüchtlings ist: Was immer du tun willst, tu es jetzt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: