Erinnerungsbericht von 1938:Stille Nacht im KZ

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1938 verbietet der damalige Lagerführer Alexander Piorkowski jede Form von Weihnachtsfeier in den Baracken. Der Häftling Alfred Berchtold, ein Priester, erteilt anderen Gefangenen dennoch heimlich den heiligen Segen. (Foto: Björn Mensing/oh)

Wie die Häftlinge vor 82 Jahren Weihnachten erlebten

An Weihnachten wollen auch die SS-Leute im KZ Dachau zu ihren Familien. Deshalb halten sie den Nachmittagsappell schon früh am 24. Dezember 1938 ab und schicken die Häftlinge zu ihren Baracken. Unter ihnen ist der Priester Alfred Berchtold. Anfang Oktober 1938 war er aus dem Gefängnis Salzburg ins KZ Dachau verlegt worden, in die Strafkompanie. Die Nationalsozialisten hatten ihn Ende März 1938 in der Steiermark verhaftet. Wegen seiner Tätigkeit in der katholischen Arbeiterbewegung stand der Kaplan der Gleichschaltung Österreichs im Weg.

Der 34-jährige Priester erlebt sein erstes Weihnachtsfest im KZ Dachau: "Auf der kurzen, schmalen Blockstraße stehen viele Gruppen beisammen. Jeder hat seine Freunde aufgesucht, um ein wenig zu plaudern. Die sieben von der Wiener katholischen Jugend sind zu mir gekommen und haben mich um einige Worte zum Weihnachtsfest gebeten. In der hintersten Ecke der Blockstraße stehen wir beisammen, immer vorsichtig spähend, ob nicht einer der gefürchteten Spitzel sich heranschleicht. Religiöse Gespräche sind gefährlich, sie gelten als 'politisieren' und werden mit 25 Hieben und 42 Tagen Bunker bestraft."

Björn Mensing, Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau, hat die Geschichte des KZ-Überlebenden und Priesters Alfred Berchtold recherchiert. Es ist eine Erinnerung, die zeigt, wie die Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau Weihnachten erlebten. Dies ist die Geschichte einer "stillen Nacht", wie Mensing berichtet. Die Zitate des Priesters hat er aus dessen undatierten Erinnerungsbericht "Weihnachten 1938" zusammengetragen, veröffentlicht im Sammelband von Eugen Weiler: "Die Geistlichen in Dachau sowie in anderen Konzentrationslagern und in Gefängnissen."

Der Kaplan Berchtold findet damals auf der Blockstraße die passenden Worte für seine Kameraden: "Nicht Befreiung dürfen wir vom Friedenskönig der Weihnacht erwarten. Wir werden uns weiter dahinschleppen unter dem Kreuz des geschundenen, gequälten Häftlingslebens, vielleicht Jahre noch. Aber in unserer Brust will er ein stilles Flämmchen des Glücks entzünden." Heimlich gibt Berchtold den anderen den heiligen Segen. "Nach der Beichte erteilt der Priester jedem einzelnen die Absolution", so Mensing.

Der damalige Lagerführer Alexander Piorkowski verbietet jede Form von Weihnachtsfeier in den Baracken. Manche Häftlinge essen am Abend den gesamten Inhalt ihres Weihnachtspaketes von daheim auf, es ist oft viel zuviel für den ausgehungerten Magen. Alfred Berchtold und sein Freund Hans ziehen sich in den "hintersten Winkel der Baracke" zurück. Hans habe ein Tannenzweiglein hervorgeholt und ein kleines Kerzlein dazu, heißt es in Berchtolds Erinnerungsbericht. "Der kontrollierende SS-Mann muss es übersehen haben. Und ganz heimlich zündet er das Kerzlein an. Eine stille Freude rieselt von diesem Kerzenschein in unsere Herzen. Und ganz von selbst summen ganz leise unsere Lippen das uralte, trauliche Weihnachtslied: Stille Nacht, heilige Nacht."

Alfred Berchtold überlebt die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald. Er wird Ende April 1945 befreit und baut im oberbayerischen Kloster Reisach eine Bildungsstätte für Arbeitnehmer auf. Er stirbt Anfang 1985 in Bad Reichenhall, unweit seines Geburtsortes Bayerisch Gmain, im Alter von 80 Jahren.

© SZ vom 24.12.2020 / thra - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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