Chorkonzert:Die große Trösterin Musik

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Beim großen Elias-Oratorium von Felix Mendelssohn-Bartholdy musizierten die Chorgemeinschaft Dachau, vocal ampArt und das Seraphin-Ensemble unter der Leitung von Emanuel Schmidt gemeinsam in der Dachauer Pfarrkirche Heilig Kreuz. (Foto: Toni Heigl)

Die Aufführung des Elias-Oratorium gelingt der Chorgemeinschaft und Liedertafel fabelhaft. Unter der Leitung von Emanuel Schmidt brillieren auch das Seraphin-Ensemble und Solisten bei diesem Großereignis.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Ist ein Oratorium aus dem Jahr 1846, in diesem Fall Felix Mendelssohn Bartholdys "Elias" reiner Kunstgenuss oder ist es - jenseits des religiösen Kontextes - aktueller denn je? Die Antwort gab es am Sonntagabend in Heilig Kreuz mit einer großartigen Aufführung des Meisterwerks. Und sie lautet: Dieser Elias war ein musikalisches Großereignis, das mit seiner erschütternden Symbolkraft noch lange im Gedächtnis nachhallen wird.

Die Chorgemeinschaft Dachau und vocalampArt, der Konzertchor der Liedertafel, das Seraphin-Ensemble München, die Solistinnen und Solisten Florian Dengler (Bass) als Elias, Elif Aytekin (Sopran), Theresa Holzhauser (Alt), Rudolf Haslauer (Tenor) sowie die beiden Chormitglieder Franziska Zwink als Knabe und Almut Cech als Engel zeigten sich unter der Leitung von Emanuel Schmidt als fein aufeinander abgestimmtes Ensemble, in dem zugleich jede und jeder in der jeweiligen Rolle völlig aufging.

Altistin Theresa Holzhauer vollbringt Glanzleistungen in ihren Rollenwechseln als Volksverhetzerin und als Engel. (Foto: Toni Heigl)
Für die beiden Chöre, die sich ganz nach Mendelssohns Intention für diese Aufführung wieder zu einem "recht dicken, starken, großen Chor" zusammengefunden haben, müssen die Proben eine Riesenherausforderung gewesen sein. (Foto: Toni Heigl)
Emanuel Schmidt leitet ein fein aufeinander abgestimmtes Ensemble, in dem zugleich jede und jeder in der jeweiligen Rolle völlig aufgeht. (Foto: Toni Heigl)

Dazu sollte man die auf Texten des Alten Testaments beruhende Geschichte des Propheten Elias kurz Revue passieren lassen: Im Reich König Ahabs herrscht Vielgötterei. Elias droht mit Hunger und Dürre, wenn Herrscher und Volk nicht vom Götzen Baal ablassen und zum einen Gott Jahwe zurückkehren. Die Drohung wird wahr. Doch zwei wundersame Ereignisse bringen das Volk zur Besinnung: Elias rettet ein Kind, und die Dürre endet dank Gottes Erbarmen. Die intrigante Königin Isebel hetzt jedoch gegen Elias, das Volk nimmt ihre Fake News als bare Münze, will Elias' Tod. Dieser flüchtet verzweifelt in die Wüste, will endgültig aufgeben. Doch wieder erscheinen tröstende Engel und schließlich trifft Elias auf den unsichtbaren Gott Jahwe. Spektakulär fährt der Unbeugsame in einem Feuerwagen in den Himmel, während die Menschen auf der Erde auf das Kommen des Messias warten.

Bassist Dengler gibt diesem zerrissenen Mann mit seiner ausdrucksstarken Stimme so überzeugend Gestalt und Gesicht, dass man sich mitten in einer hochdramatischen Oper fühlt. Denglers Elias ist kein in Sack und Asche daher kommender Wanderprediger, sondern ein starker Mensch, der einen wahren Gefühlskosmos auslebt: Er fließt förmlich vor Mitgefühl über, als er den todkranken Sohn einer Witwe heilt. Er ist ein Fels in der Brandung der Gottlosigkeit. Er ist ein gnadenloser Berserker, der sich am Blut der Baal-Anhänger berauscht. Vor allem aber ist er (fast) unbeirrbar in seinem Glauben an die Allmacht Gottes. "Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Israels, laßt heut kund werden, daß du Gott bist und ich dein Knecht" fleht Elias. Dengler macht daraus mit sanfter Stimme einen der berührendsten Momente der Aufführung, nur um kurz darauf wutschnaubend den Tod der Baal-Anhänger zu bejubeln.

Das Solistenquartett singt traumhaft schön und völlig kitschbefreit

Solche Glanzleistungen bringen auch Sopranistin Elif Aytekin, beispielsweise als verzweifelte Witwe mit stahlharter Stimme und dann wieder als tröstender Engel oder Altistin Theresa Holzhauer als Volksverhetzerin und ebenfalls als Engel. Tenor Rudolph Haslauer kann ebenso der tröstende, helfende Freund des Elias sein wie der verderbte König Ahab. Gemeinsam sind sie immer wieder überwältigend. "Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen" singt das Solistenquartett traumhaft schön und völlig kitschbefreit. Das Terzett der drei Engel (in diesem Fall mit den beiden Chorsängerinnen fünf) ist einfach überirdisch schön und grausam zugleich.

Dirigent Schmidt, das tolle Seraphin-Ensemble und alle Mitwirkenden verzichten klug auf Filmmusik-Effekte und halten es ähnlich wie der Dirigent Alan Gilbert: "Wenn wir Mendelssohn interpretieren, müssen wir sozusagen einen Fuß in der Barockmusik haben und mit dem anderen müssen wir diesem romantischen Gestus gerecht werden, dass Dinge intensiv erlebt werden wollen." Für die beiden Chöre, die sich ganz nach Mendelssohns Intention für diese Aufführung wieder zu einem "recht dicken, starken, großen Chor" zusammengefunden haben, müssen die Proben daher eine Riesenherausforderung gewesen sein. Barocken Wohlklang mit romantischen Tongebilden in Einklang zu bringen, ist schon für Profis nicht immer einfach. Doch Chorgemeinschaft und Liedertafel haben die Herausforderung fabelhaft gemeistert und den Elias zu einem Höhepunkt in ihrer langen Geschichte gemacht. Dabei haben Sängerinnen und Sänger tragende Rollen zu bewältigen. Sie sind verängstigtes Volk, das vergebens auf Regen wartet, hochmütige Baal-Anhänger, eine aufgehetzte Meute, die "er muss sterben" schreit. Diese Wandlungsfähigkeit nur mit der Stimme auszudrücken, den gebannt Zuhörenden Schauer über den Rücken zu jagen, das ist eine echte Meisterleistung.

Es ist genau diese Ausdrucksstärke, die den Elias so aktuell macht: Wer denkt bei diesem Konzertereignis nicht immer wieder an die furchtbaren Ereignisse im Gaza-Krieg oder im Krieg gegen die Ukraine? Wem läuft es nicht kalt den Rücken runter, wenn Hetze, Verfolgung, Ausgrenzung von Minderheiten, Fremdenhass und Antisemitismus immer wieder in dieser alttestamentarischen Geschichte auftauchen? Gut nur, dass die große Trösterin Musik in dieser wunderbar stimmigen Aufführung die Hauptrolle gespielt hat.

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