Drobs Dachau:Nicht mehr wegzudenken

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Vor 20 Jahren gründete Sylvia Neumeier als Einzelkämpferin die Suchthilfeeinrichtung Drobs in Dachau. Heute werden 450 Abhängige von fünf hauptamtlichen Kräften betreut.

Von Benjamin Emonts

Rund um die Uhr ist die Notrufnummer des Drobs e.V. erreichbar. Sie wurde eingerichtet, als einst ein Drogenabhängiger an einer Überdosis starb und seine Freunde nicht wussten, wo sie Hilfe finden könnten. (Foto: Robert Haas)

Als Sylvia Neumeier eines Tages im Juli 1993 an ihr Telefon geht, meldet sich ein Freund. Er weint. Dann sagt der Mann: "Ich gehe meinem Sohn jetzt Spritzen kaufen." Der Sohn ist abhängig: süchtig nach Heroin. "Kannst du mir irgendwie helfen?", fragt der Vater. Die Magisterpädagogin Neumeier, die sich damals eigentlich nur mit straffälligen Jugendlichen beschäftigt, hilft - und zwar nicht nur ihm.

In den folgenden zwei Wochen kommen 20 Jugendliche aus dem Bekanntenkreis des Jungen auf Neumeier zu, nach zwei Monaten sind es etwa 50. Sie alle kommen und brauchen Hilfe. Hilfe, um dem Heroin zu entkommen. "Diese Leute brauchen einen Ort, wo ihnen geholfen wird", denkt sich Neumeier damals. Und nur ein halbes Jahr später, am 17. Februar 1994, gründet sie mit acht weiteren "sozial eingestellten" Personen und Angehörigen von Betroffenen Drobs e.V. Dachau. An diesem Freitag feiert der eingetragene Verein sein 20-jähriges Bestehen. Und wenn man so will, gab jener Anruf vom Juli 1993 die Initialzündung.

Die Geschichte - sofern dieses Wort dem bedrückenden Thema gerecht wird - ist eine Erfolgsgeschichte. Denn während Drobs-Geschäftsführerin Neumeier am Anfang ganz alleine mit den Abhängigen war, sind es heute fünf hauptamtliche Mitarbeiter, die sich um etwa 450 Abhängige und deren Angehörige kümmern - tagtäglich. Die bürokratischen Hürden, die Neumeier anfangs nehmen musste, waren hoch: Bei Gesundheitsamt, Caritas und Klientenzentrierter Problemberatung (KPB) hatten beispielsweise Heroinabhängige zu Beginn der Neunzigerjahre keine Lobby - die Einrichtungen konzentrierten sich auf Alkohol- und Medikamentensüchtige. Neumeier erkannte das Problem - und gründete die erste Drogenberatungsstelle im und für den Landkreis.

In den Gründungsjahren drohte der Einrichtung dann mehrmals das finanzielle Aus: Sowohl Landkreis als auch Bezirk agierten doch recht zögerlich, was die finanzielle Förderung der Beratungsstelle anging. In Behördenkreisen sei sogar immer wieder gemauschelt worden: "Drogen gibt es im Landkreis erst, seitdem es Drobs gibt." Folglich, erinnert sich Neumeier, "habe ich das erste Jahr rein auf ehrenamtlicher Basis gearbeitet". Für die Treffen der Angehörigen von Drogenabhängigen stellte sie sogar ihre eigene Wohnung zur Verfügung, und das, obwohl auch die Polizei sich seinerzeit laut Neumeier "nachdrücklich für eine Beratungsstelle eingesetzt hat".

Nach längerem Hin- und Her war die Finanzierung von Drobs durch Landkreis und Bezirk schließlich gesichert. Im Februar 1995 bezieht die Beratungsstelle ein Büro am Fuße des Altstadtbergs in der Augsburger Straße 43. Etwa zur selben Zeit ereignet sich in Dachau ein dramatischer Vorfall: Drei Abhängige, die zusammen Heroin konsumiert hatten, legten einen der Beteiligten mit einer Überdosis auf die Straße. "Sie hatten Angst, mit der Polizei in Berührung zu kommen", erinnert sich Neumeier. Der Mann erfror. Und die Drobs reagierte auf die zu dieser Zeit hohe Mortalitätsrate, indem sie den Krisennotruf einrichtete: Über die ehrenamtlich betriebene Hotline (Telefon: 0172/847 45 55) können sich Abhängige und Angehörige in Notfallsituationen bis heute zu jeder Tages- und Nachtzeit melden.

Doch nicht nur deshalb, auch wegen ihrer Präventionsarbeit ist die Drobs aus der Dachauer Soziallandschaft nicht mehr wegzudenken. Schon 1997, als Drobs ihre Präventionsarbeit aufnahm, formulierte Neumeier das Ziel, kein Jugendlicher solle die Schule verlassen, ohne über das Thema Drogen und sämtliche Substanzen aufgeklärt zu sein. "Heute ist das Ziel so gut wie erreicht", sagt Neumeier stolz. Bis auf die Erdweger Hauptschule nimmt im Landkreis jede Schule an dem Programm teil. Die Drobs-Mitarbeiter gehen dabei an die Schulen und klären in den Klassen über Spielsucht, Online-Sucht und Drogenabhängigkeit auf. Dass die Klienten der Drobs Dachau im Durchschnitt die jüngsten in ganz Oberbayern sind, wertet Neumeier als Erfolg der Präventionsarbeit. Sie sagt: "Die jungen Menschen lernen unsere Mitarbeiter persönlich kennen. So werden Schwellen abgebaut und Vertrauen aufgebaut." Denn wonach die "sehr sensiblen und emotionalen" Drogenabhängigen suchen, ist eine familiäre, vertrauensvolle und wertschätzende Umgebung. "Die können wir bieten", sagt Neumeier, aus den vergangenen 20 Jahren sei ihr kein Fall bekannt, in dem ein Mitarbeiter seine Schweigepflicht verletzt hätte.

An der Notwendigkeit der Drogenberatungsstelle, da ist sich Neumeier sicher, bestehe kein Zweifel. Besonders die Zahl der Cannabissüchtigen sei in den vergangenen zehn Jahren angestiegen. Eine Entwicklung, die umso bedenklicher stimmt, weil das "Marihuana dreißig Mal potenter ist als noch in den Siebzigerjahren". Neumeier habe immer öfter mit Jugendlichen zu tun, die durch das Kiffen Psychosen erleiden. Zumal ihre Klienten oft so jung mit dem extensiven Konsum beginnen, dass sie Langzeitschäden wie Antriebslosigkeit oder eine geminderte Konzentrationsfähigkeit davontragen. Die Zahlen der Abhängigen von Opiaten, Amphetamin oder Alkohol bewegten sich indes auf "gleichbleibend hohem Niveau", wobei die meisten Drobs-Klienten ohnehin Mischkonsum betrieben.

Erfreulich sei, dass die Mortalitätsraten auch dank Initiativen wie dem Krisennotruf gesunken sind. Trotzdem müssen Sylvia Neumeier und ihre Kollegen immer wieder Todesfälle hinnehmen. Der erste Tote, den Neumeier beklagte, war ein junger Mann, der heroinabhängig war. Sein Vater hatte wenige Jahre zuvor, im Juli 1993, bei Neumeier angerufen und um Hilfe gebeten.

© SZ vom 14.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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