Der Abend im Landratsamt:Sieg der Kleinen über die Großen

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Die Grünen sind verblüfft über den eigenen Erfolg. Auch die Freien Wähler haben Grund zur Freude. Die AfD bleibt unter dem Bayernergebnis. Die CSU verliert viele Prozentpunkte, die SPD auch ihren Abgeordneten Martin Güll.

Von Helmut Zeller, Viktoria Großmann, Thomas Hürner und Thomas Radlmaier, Dachau

"Wer will denn da anstoßen", sagt Landrat Stefan Löwl (CSU), als er weit vor 18 Uhr in das Sitzungszimmer des Landratsamtes kommt und auf einem Tisch die aufgereihten Sektkelche sieht. "Und so viele", sagt er verwundert. Anstoßen werden dann im Verlauf des Abends vor allem die Grünen mit ihrem Direktkandidaten, dem Dachauer Stadtrat Thomas Kreß, dem eigentlichen Sieger des Wahlsonntags im Landkreis. Der CSU ist nun wirklich nicht nach Feiern zumute. Wie auch. Jetzt, kurz nach 18 Uhr, rücken die Politiker der Landkreis-CSU eng zusammen. Bezirkstagspräsident Josef Mederer, Altlandrat Hansjörg Christmann, der Direktkandidat, Landtagsabgeordneter Bernhard Seidenath, und viele mehr kleben an den Bildschirmen, als die erste bayernweite Prognose ausgestrahlt wird. 35,9 Prozent. Seidenaths Gesicht färbt sich rot, einmal hält er die Hand vor den Mund.

Thomas Kreß fragt sich, ob er mit den Grünen in den Landtag einziehen kann. (Foto: Niels P. Joergensen)

Zwar wurde ein noch schlechteres Ergebnis befürchtet. Aber es reicht. Die CSUler schweigen und ziehen nachdenkliche Gesichter. Nur eine strahlt über das ganze Gesicht: Ministerin Ilse Aigner im TV-Interview. Auch als Ministerpräsident Markus Söder in München vor seine Partei tritt und Schadensbegrenzung betreibt, bleiben die Gesichter versteinert. "Es geht nicht so weiter", sagt Seidenath nach längerem Zögern. "Der CSU-Wähler mag keinen Streit, und davon hatten wir zu viel in den vergangenen Monaten." Damit ist vor allem Parteichef Horst Seehofer gemeint, seine Attacken auf die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und sein, wie es in der Partei bezeichnet wird, Rachefeldzug gegen Söder. Die Bundestagsabgeordnete Katrin Staffler ist noch klarer: "Da braucht es eine Erneuerung, auch bei Themen und Inhalten, und das wird schmerzhaft." Altlandrat Christmann sagt, die CSU müsse sich sofort den neuen Gegebenheiten anpassen - nur, "Köpfe sollen jetzt nicht rollen". Einer, der die Partei von Grund auf kennt, weiß schon, wo es hinführen wird. "Für eine Erneuerung ist das Ergebnis noch zu gut."

Aber da ist doch noch was. Wie haben die CSU und ihr Spitzenkandidat im Landkreis abgeschnitten - fast geht das im Bayernbeben unter. Aber dann ruft Wolfgang Reichelt, Pressesprecher im Landratsamt, zur Ordnung und kündigt die Ergebnisse aus den Gemeinden an.

Als das Ergebnis aus seinem Heimatort Hilgertshausen-Tandern um 19.37 Uhr über die Bildschirme flimmert und der rote Balken auf 19,4 Prozent steigt, erscheint Martin Güll im Sitzungssaal des Landratsamtes. Es ist der Auftritt des großen Verlierers dieses Abends. Der SPD-Politiker hat im Landkreis bei den Erststimmen knapp 13 Prozent erreicht und wird nach zehn Jahren sehr wahrscheinlich sein Mandat verlieren. Güll wirkt angesichts seiner persönlichen Niederlage, aber auch der seiner Partei relativ gefasst, fast so, als hätte er mit diesem Debakel gerechnet. Als erstes gratuliert er Bernhard Seidenath zum Wahlsieg im Stimmkreis, anschließend stellt er sich den Fragen der Journalisten, die ihn umzingeln. Für die SPD gibt es nichts mehr, das man schönreden könnte. Daher spricht Güll Klartext und ist doch sprachlos. Nacheinander fallen die Adjektive "tragisch, bitter, dramatisch, traurig". Güll erzählt, er habe bis zum Schluss Häuserwahlkampf gemacht und direkt mit den Leuten geredet. Er habe das Gefühl gehabt, dass es vielleicht doch hätte reichen können für ihn. Doch: "Stand heute, keine Chance." Er glaubt, der Trend aus Berlin habe den Genossen in Bayern geschadet. "Wir in Dachau haben es jedenfalls nicht verbockt." Er wisse nicht, wo die SPD-Wähler hingewandert seien. Aber warum konnte er selbst im Landkreis nicht mehr überzeugen? Güll sagt: "Ich weiß es nicht."

Frank Sommerfeld freut sich über den Erfolg der FDP. (Foto: Niels P. Joergensen)

Auch Thomas Kreß kann sich kaum erklären, was an diesem Abend passiert. Er schüttelt ungläubig den Kopf. Der Grüne liegt bei den Erststimmen vor Martin Güll von der SPD. Bei den Zweitstimmen ist der Erfolg der Grünen noch deutlicher zu sehen. "Da kommen vielleicht doch noch neue Herausforderungen auf mich zu", sagt Kreß und lacht. Die SPD tut ihm leid. "Ich hatte Martin Güll vor mir gesehen." Auch als er sieht, dass die Linke doch nicht in den Landtag einziehen wird, verzieht Kreß das Gesicht. Die Grünen sind für einen bunten Landtag. Ihren Erfolg scheinen sie noch nicht glauben zu können: "Wir jubeln innerlich", sagt die Kreisvorsitzende Jutta Krispenz. Sie befürwortet eine Regierungsbeteiligung. Kreisrätin Marese Hoffmann glaubt daran nicht. "Meine Hoffnung ist, dass wir als starke Fraktion mehr Gehör finden. Dass man unsere Anträge nicht mehr einfach abschmettert. Dass überhaupt mehr Bewegung in den Landtag kommt und nicht alles so betoniert ist."

Ganz zaghaft fällt auch die Freude bei der Freien-Wähler-Kandidatin Martina Purkhardt aus. Ihre Heimatgemeinde Schwabhausen meldet die Ergebnisse als eine der ersten. Stattliche 27 Prozent der Erststimmen hat sie dort gewonnen und liegt damit gleichauf mit dem CSU-Landtagsabgeordneten Bernhard Seidenath. Für Purkhardt, die zum zweiten Mal antritt, ist es ein sehr gutes Ergebnis, auch wenn es nicht zum Einzug in den Landtag reichen wird. Die 36-Jährige hofft auf eine Regierungsbeteiligung. "Die Freien Wähler sind unzuverlässig", knurrt Anton Kreitmair, der nicht erneut für den Landtag kandidiert hat, auf der anderen Tischseite. Zumindest im Landkreis sind sie auch zerstritten. Während die CSU eng zusammenrückt, verteilen sich die Freien Wähler auf verschiedene Ecken im Saal.

Freie Wählerin Martina Purkhardt bekommt in Schwabhausen 27 Prozent der Erststimmen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Christoph Steier bekommt von all dem nichts mit. Der AfD-Kandidat wird erst später im Landratsamt eintrudeln. Für ihn ist es ein Abend voller Ungewissheiten. Seine Partei liegt im Landkreis etwa einen Prozentpunkt unter dem bayernweiten Ergebnis. Und auch bei der Erststimme gelingt Steier kein herausragendes Resultat. Deshalb muss der Karlsfelder bangen um seinen Einzug ins Maximilianeum. Er liegt auf Listenplatz vier, doch es ist gut möglich, dass ihn andere überholen. "Es wird sicherlich sehr eng", sagt er. Als Grund nennt Steier, dass der Landkreis sehr städtisch geprägt sei. Doch er gibt sich alles in allem zufrieden mit dem Ergebnis der Rechtspopulisten. "Basst scho", sagt er.

Dass es den Freien Demokraten wohl gelingen wird, nach der Rückkehr in den Bundestag auch wieder im bayerischen Parlament vertreten zu sein, ist für den FDP-Landtagskandidaten Frank Sommerfeld "ein riesiger Erfolg". So etwas wie einen revolutionären Charakter haben die Wahlergebnisse für ihn jedoch nicht. "Die politische Großwetterlage in Bayern hat sich nicht verändert", sagt er, "lediglich die Verteilung der bürgerlich-konservativen Wähler ist jetzt anders." Für die FDP sieht er in Bayern aber noch viel Potenzial, vor allem bei einem progressiven Klientel, das sich am Sonntag noch größtenteils für die Grünen entschieden habe. "Diese können wir besser erreichen, wenn wir wieder präsenter sind", glaubt Sommerfeld. Das gelte auch für ihn, den Politikneuling, der bei seiner ersten Kandidatur gleich mal ein wenig besser abgeschnitten hat als die Landes-FDP. "Ich mache auf jeden Fall weiter, auch wenn es mit dem Einzug in den Landtag nichts wird", sagt Sommerfeld.

Auch Jonathan Westermeier will weiter aktiv bleiben, auch wenn er und seine Partei es nicht geschafft haben. Der Linken-Politiker verfolgt den Abend mit einem kühlen Bier. Sein Ziel für die kommenden Jahre: "Wir müssen künftig in der Landespolitik mehr wahrgenommen werden."

© SZ vom 15.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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