Dachau:Die Hölle in der Seniorinnen-WG

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Nach zwei Jahren ist das Leben für Doris Bayer in einer Wohngemeinschaft in Dachau zur Hölle geworden. Der Mietvertrag wurde ihr gekündigt, eine barrierefreie Wohnung aber findet die Rentnerin nicht. Der SZ-Adventskalender will helfen.

Von Anna Schwarz, Dachau

Eigentlich war die Seniorinnen-WG mit so viel Gutem verbunden. Die beiden Freundinnen aus Dachau kennen sich seit mehr als 30 Jahren und hatten schon länger darüber geredet, dass sie zusammenziehen wollen. Vor rund zwei Jahren kündigte die 71-jährige alleinstehende Dachauerin Doris Bayer ( Name geändert) dann ihre Mietwohnung und zog zu ihrer Freundin, deren Eigentumswohnung in Dachau mit über 80 Quadratmetern genug Platz für zwei bietet. Doch inzwischen sei das Zusammenleben zur Hölle geworden, erzählt Doris Bayer, die aufgrund des Zerwürfnisses anonym bleiben will.

Ihre Mitbewohnerin habe ihr im Dezember den Mietvertrag schriftlich gekündigt und möchte, dass sie so schnell wie möglich auszieht: "Ich würde ja sofort ausziehen - lieber heute als morgen", erzählt die Rentnerin. Das Problem: Doris Bayer, die Grundsicherung bekommt, einen Schwerbehindertenausweis und zwei künstliche Knie hat sowie vor Kurzem die Diagnose Brustkrebs bekam, findet einfach keine Wohnung im Landkreis Dachau - von einer barrierefreien ganz zu schweigen.

Instant-Suppen muss sie mit der Kaffeemaschine zubereiten

In der WG sei es mittlerweile "nicht mehr auszuhalten", erzählt die Rentnerin den Tränen nahe und senkt ihren Blick auf den Tisch der Caritas-Beratungsstelle, wo sie sich Hilfe gesucht hat und die vom Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung unterstützt wird. Im Mietvertrag sei zwar geregelt, dass Bayer ein 17 Quadratmeter großes Zimmer mietet sowie Bad und Küche nutzen darf. Aber in der Küche sei sie schon lange nicht mehr willkommen, im Mai habe ihr die Mitbewohnerin sogar die Tür versperrt: "Sie hat gesagt, dass das ihre Küche ist und ich nicht mehr reinkommen darf, wenn sie da ist." Außerdem habe die Vermieterin elektronische Geräte, wie Toaster oder Kaffeemaschine, aus der Küche entfernt, so dass Bayer nun meist in ihrem Zimmer behelfsmäßig kochen muss. Dafür hat sie sich eine Kaffeemaschine gekauft, mit der sie Instant-Suppen zubereitet.

Entwickelt hat sich die miese Stimmung in der Seniorinnen-WG, nachdem Bayer Gicht bekam und ihre Finger angeschwollen sind. Ihre Mitbewohnerin habe ihr deshalb mal ein Brot gestrichen. Doch irgendwann wurde es ihr offenbar zu viel: "Sie hat dann gesagt, dass ich ein Pflegefall bin und, dass sie keinen Pflegefall mehr in ihrer Wohnung haben möchte", nachdem ihr Ehemann jahrelang gepflegt werden musste. Im August 2021 sagte die Vermieterin, dass Bayer ausziehen solle. Damals hatte sich Bayer schon umgehört und Bekannte gefragt, ob sie jemanden kennen, der eine Einzimmerwohnung vermietet. Doch dann musste sie ins Krankenhaus, wegen ihrer künstlichen Knie hatte sie starke Schmerzen, bekam Corona und Anfang Dezember noch die Diagnose Brustkrebs, eine Brust musste entfernt werden.

Um eine Wohnung zu finden, hat die Rentnerin schon einiges versucht

Und obendrauf bekam sie Ende Dezember noch die schriftliche Kündigung ihres Mietvertrags. Eigentlich hätte die Rentnerin bis Ende Juni schon ausziehen müssen. Doch bisher waren ihre vielen Bemühungen, eine Wohnung zu finden vergebens. Zwei Makler habe sie schon kontaktiert: "Einer hat gemeint, dass es sehr schwer ist, eine Einzimmerwohnung im Landkreis zu finden, einfacher wären zwei Zimmer." Doch dafür reiche ihr Einkommen nicht. Weniger als 1500 Euro stehen ihr im Monat zur Verfügung: Sie bekommt 886 Euro Rente, 286 Euro Grundsicherung und 316 Euro Pflegegeld. Davon muss sie auch die Krankenkasse bezahlen, ab Oktober rund 440 Euro. Bis vor rund einem Jahr hatte sie noch ein eigenes Geschäft, doch während der Pandemie brachen die Umsätze ein, ihre Rücklagen sind aufgebraucht.

Für die Warmmiete könnte die Rentnerin rund 600 Euro bezahlen. Wichtig wäre, dass die Wohnung im Erdgeschoss liegt oder es einen Lift gibt. Ein paar Treppenstufen könne sie zwar schaffen, aber schon jetzt geht die Rentnerin mit Krücke und bekommt demnächst einen Rollator.

Um eine Wohnung zu finden, habe sie schon Zettel im Supermarkt ausgehängt, Briefe an die Gemeinden im Landkreis Dachau und in der Region geschrieben: "Aber die haben entweder geantwortet, dass sie nichts haben oder erst in ein paar Jahren", erzählt die Dachauerin. Auch bei der Stadt Dachau habe sie im Januar einen Antrag für eine Sozialwohnung gestellt: "Aber da wurde mir gesagt, dass die Leute meist jahrelang auf eine Wohnung warten." Sie könnte sich auch vorstellen, in eine Landkreisgemeinde zu ziehen, aber eine Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel sei wichtig. Denn ihre Ärzte seien hier in Dachau. Alle vier bis sechs Wochen müsse sie hier etwa zur Brustkrebs-Vorsorge. Auch ihre Freundinnen leben im Landkreis, ihre Tochter in Berlin.

Doch auch wenn eine Wohnung gefunden ist, sind noch nicht alle Probleme gelöst. Dann muss Doris Bayer die Umzugskosten und eine Erstausstattung finanzieren, unter anderem eine Waschmaschine. All das zu finanzieren, dabei will ihr der SZ-Adventskalender helfen.

"Wohnen wird zum Armutsrisiko."

Die Caritas Dachau schreibt zu dem Fall, dass Wohnraumsuche und steigende Mietpreise bereits seit vielen Jahren ein Thema im Landkreis Dachau seien, aber: "Aktuell kommen so viele Anfragen nach Wohnraum wie noch nie in den verschiedenen Fachbereichen der Caritas-Zentren im Landkreis Dachau an." Viele Menschen könnten sich die Mietpreise nicht mehr leisten, vor allem Personen mit niedrigem Einkommen, Familien und Personen im Sozialleistungsbezug. Durch die Ukraine-Krise und die vielen Hilfesuchenden habe sich die Situation am Wohnungsmarkt erneut verschärft. Noch schwieriger werde die Wohnraumsuche, wenn die Personen eine barrierefreie Wohnung brauchen, so wie Doris Bayer.

Auch die steigenden Energiekosten belasten die Mieterinnen und Mieter: "Für eine immer größere Gruppe von Menschen wird Wohnen unerschwinglich und zum Armutsrisiko", schreibt die Caritas Dachau. Deshalb sucht Aylin Beqiraj, Beraterin im Caritas-Zentrum Dachau "dringend Vermieter/innen mit Herz, die ihre Wohnungen an Menschen vermieten, mit denen es das Leben gerade nicht ganz so gut meint". Damit Menschen wie Doris Bayer ein Zuhause finden, das diesen Namen verdient.

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