SZ-Adventskalender:Universum im Wohnzimmer

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Seine Songs seien "alle persönlich, alle auf Deutsch, alle echt", sagt Sascha Seelemann. Hier im Bild mit Gitarrist Michael Wagner. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sascha Seelemann, seine Band "The Grizzlies" und weitere Musiker bringen ein ebenso besinnliches wie rockiges SZ-Benefizkonzert auf die Thoma-Haus-Bühne. Über eine stille Nacht der lauteren Sorte.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Die einen sind am Donnerstagabend gekommen, weil sie "hier jedes Jahr gute Freunde treffen", wie Grafiker Bruno Schachtner sagt. Die anderen, weil sie selbst erlebt haben, was Familiendramen, Krankheit, Not, Elend und Gefahr mit einem Menschen machen können. Wieder andere freuen sich auf ein Wiedersehen und Wiederhören mit Sascha Seelemann, seiner Band, The Grizzlies, mit Ilona Seufert und ihrem Chor und Seelemanns "special guests". Dazu später mehr.

Etliche Besucher, aber auch Seelemann und seine Musiker sind beim diesjährigen Benefizkonzert der SZ Dachau zugunsten des Adventskalenders für gute Werke der Süddeutschen Zeitung gewissermaßen Wiederholungstäter. Bereits im vergangenen Jahr hat der Moderator und Singer-Songwriter das Ludwig-Thoma-Haus gerockt - und statt "Stille Nacht" gab es zum guten Schluss ausgelassene Tanzerei. Und heuer? Seelemann hatte in einem Interview gesagt, das Konzert solle "besinnlicher werden". Doch bevor das Publikum, darunter die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki, Oberbürgermeister Florian Hartmann (beide SPD), Bürgermeister Kai Kühnel (Bündnis), CSU-Fraktionschef Florian Schiller, die Oberbürgermeisterkandidaten Peter Strauch (CSU) und Wolfgang Moll (Wir), einige Stadt- und Kreisräte und etliche Kulturschaffende, die (Hör-)Probe aufs Exempel machen, geht Redaktionsleiter Helmut Zeller auf den eigentlichen Anlass des Benefizkonzertes ein: Direkte Hilfe für Menschen, die in Not geraten sind sowie für Initiativen und Organisationen, die diese Menschen unterstützen.

Die Band The Grizzlies bringen das Publikum im Ludwig-Thoma-Haus wie schon im vergangenen Jahr zum Tanzen, darunter auch Oberbürgermeister Florian Hartmann. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Im Landkreis Dachau sind das heuer "Menschen stärken Menschen", der "Förderverein Kinderschutz" und das Franziskuswerk Schönbrunn mit "Pfiff" sowie viele besonders notleidende Menschen in Zusammenarbeit mit der Caritas Dachau. "Menschen für Menschen" kümmert sich im Mehrgenerationenhaus um junge Geflüchtete, die Deutsch lernen, eine Ausbildung machen oder studieren. Eine Herausforderung für Teilnehmer und Tutoren, diese individuelle Bildungsbegleitung findet regelmäßig am Abend statt nach einem anstrengenden Arbeits- oder Berufsschultag. Doch die jungen Asylsuchenden und Migranten sind hoch motiviert. Sie wollen sich eine sichere Zukunft aufbauen. Das Projekt sei "konkrete Integration", sagt Zeller. Was fehlt, ist fachspezifisches Lern- und Übungsmaterial, damit der Traum vom sicheren Leben Wahrheit wird.

Schon kleine Kinder müssen ihre Erfahrungen mit Trennung, Krankheit oder Gewalt machen, alles Gründe, warum Familien zerbrechen und Kinder "ins Nichts entlassen werden", sagt Zeller. In den therapeutischen Wohngruppen vom "Verein Kinderschutz" finden sie ein neues Zuhause und dringend benötigte Hilfe - immer mit dem Ziel, eines Tages wieder in ihre Familie zurückkehren zu können. Der SZ-Adventskalender unterstützt die unverzichtbare Arbeit des Vereins Kinderschutz, damit das Zuhause auf Zeit ein echtes Daheim wird.

Thomas Höbel (rechts) und Karl-Heinz Hempel, Volksbank Raiffeisenbank Dachau, fördern jedes Jahr die Auftritte der Musikerinnen und Musiker. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Gelebte Inklusion. Das ist "Pfiff" mit seinen Angeboten für Familienunterstützung, Fachberatung und Freizeit. Träger ist das Franziskuswerk Schönbrunn. Ob Tanzabend, Museumsbesuch oder gemeinsames Kochen, ob Assistenz für Menschen mit Handicap oder Elternberatung: Inklusion zu leben, ist eine Herausforderung und kostet Geld. Hier hilft der SZ-Adventskalender ebenso, wie er Familien unterstützt, die von der Notunterkunft endlich wieder in eine eigene Wohnung ziehen möchten und nicht einmal einen Stuhl haben oder Menschen, die psychisch erkrankt sind und jeden Kontakt zu ihrer Umwelt verloren haben oder...Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, doch Sascha Seelemann wartet auf seinen Auftritt. Vielleicht ein Grund, warum Karin Kampwerth, stellvertretende Ressortleiterin der SZ für München Region und Bayern, es kurz macht: "Not und Leid im Speckgürtel rund um München werden immer größer", sagt sie. Und dass 7,2 Millionen Euro Spenden an den SZ-Adventskalender im vergangenen Jahr dazu beitragen konnten, viele Schicksale zum Besseren zu wenden.

Sängerin Conny Miller. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Eine rockiges "Halleluja" ist der passende Kommentar Seelemanns und seiner Grizzlys dazu. Der Mann an der Technik dreht voll auf - der berühmte Funke springt sofort über, der Saal glüht in heißen Soul- und Blues-Rhythmen. Im "größten Wohnzimmerkonzert Dachaus", wie Seelemann sagt, werden selbst hundemüde Christmas-Shopper hellwach. Da ist erst einmal nichts mit der versprochenen Besinnlichkeit. Doch Seelemann hat vorgesorgt. Es tritt auf: der junge Popchor München Süd. Die Gruppe singt "Es wird scho glei dumpa". Wer im Saal gerade noch seine Stimme lautstark strapaziert hat, wird plötzlich ganz adventlich leise und dreht wieder voll auf beim eigens getexteten Weihnachtsmix zur "Oh-Tannenbaum"-Melodie. Diese hübsche Idee stammt von Chorleiterin Ilona Seufert, die ebenso wie ihre Sängerschar den Auftritt vor großem Publikum sichtlich und hörbar genießt. Da muss nicht jeder Ton sitzen, da heißt es einfach: "Lasst uns froh und munter sein und uns der Lieder heut erfreu'n." Das wäre im Falle Benefizkonzert der SZ Dachau allerdings ohne die generöse Unterstützung der Volksbank Raiffeisenbank Dachau unmöglich. Die Genossenschaftsbank trägt seit vielen Jahren dazu bei, dass dieses Benefizkonzert überhaupt über die Bühne gehen kann und der Erlös bis auf den letzten Cent dem SZ-Adventskalender zugutekommt. Vorstandssprecher Thomas Höbel und seine Kollegen gehören dementsprechend zu den Stammgästen dieser Veranstaltung.

Es bleibt besinnlich-nachdenklich, allerdings auf eine erfrischende Art und Weise, in der Weihnachtskitsch keinen Platz hat. Schlagzeuger Ben Davidson hat seine Sänger-Premiere, erzählt in seinen Songs sehr Persönliches, wie etwa "von der Dame, mit der ich eine Beziehung hatte, die aber dann zum Studieren weggezogen ist". Die leisen Töne kommen beim Publikum gut an, ebenso wie die schöne Geschichte, die Bens Vater erzählt, den Seelemann als "Herr Meier erzählt" ankündigt. Und dieser ist ein echter Erzählkünstler, lässt vor den Augen seiner Zuhörer Dachauer Altstadt, Münchner Straße und Weihnachtsmarkt im Lichterglanz erstehen - ganz ohne Dauerstau und Gedränge. Seine Geschichte vom unglücklichen Engel, der sich mit Frustkäufen über seine gefühlt miserable Situation hinwegzutrösten versuch, hat das adventlich-erwartbare Happy End: Schon die kleinen Dinge, wie ein heller Sonnenstrahl, können glücklich machen und für innere Wärme sorgen.

Ilona Seufert wird mit ihrem jungen Chor aus Taufkirchen am Solidaritätskonzert teilnehmen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Für diese sorgt am Donnerstagabend auch Seelemann mit verbalen Umarmungen seiner Familie und mit seinen Songs, "alle persönlich, alle auf Deutsch, alle echt". Er setzt sich an den Flügel und singt von seinem Vater, der alles repariert, von seiner Kindheit in "meinem Universum Dachau", von den kleinen und manchmal auch großen Dingen im Leben. Das hat tatsächlich was von einem Wohnzimmerkonzert voller Emotionen. Zeit spielt keine Rolle mehr, Gitarrist Michael Wagner schlendert auf die Bühne und fragt locker, ob er vielleicht schon dran sei, verlangt nach "mehr Hall", Bassist Ludwig Klöckner und Percussionist Ben Davidson kommen dazu. "Don't stop the music" heißt es nun - und endlich darf getanzt werden.

Für etliche Besucher das Highlight eines an Höhepunkten nicht gerade armen Abends. Denn bereits in der Pause sind wahre Lobgesänge auf dieses Programm zu hören gewesen. "Tolle Stimmung", "Davidson ist ein Ausnahmekünstler", "grandios", "sehr persönlich, sehr einfühlsam", hieß es bei Häppchen und Bier oder Sekt übereinstimmend. Was Hendrik Munsberg, Wirtschaftsredakteur und stellvertretender Vorsitzender des Adventskalenders für gute Werke der Süddeutschen Zeitung, gegen 23 Uhr zum guten Schluss auf den Punkt bringt: "Nächstes Jahr wieder Seelemann." Doch bis dahin benötigt der SZ-Adventskalender noch viele Spenden, damit er viele gute Werke unterstützen kann.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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