Dachau:Schwingen wie Vögel

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Sonja Kienast, die einst zusammen mit dem früh verstorbenen Münchner Tanzstar Heinz Bosl übte, betreibt seit 40 Jahren ihre Ballettschule in der Dachauer Altstadt.

Daniela Gorgs

Tendue und Port de bras an der Stange vor dem Spiegel: Ballettpädagogin Sonja Kienast leitet in ihrem Studio in der Altstadt die großen Schüler an. "Die können schon richtig was", verrät sie stolz. (Foto: Toni Heigl)

- In der Umkleide wird gekichert. Die Mama drängt, schnell hinein in Trikot und Schuhe, die Haare hochgesteckt. Dann nichts wie ab in den Ballettsaal. Vor den Spiegel, der wandbreit bis zur Decke ragt. Ein fünfjähriges Mädchen springt vor Freude. Und plumpst laut auf den Parkettboden. Sofort ertönt eine strenge Stimme: "Weiche Landung! Benjamin Blümchen lassen wir in der Umkleide!" Mit der Ballettlehrerin Sonja Kienast ist nicht zu spaßen. Als sie bemerkt, dass die Fünfjährige noch einen Kaugummi kaut, wird diese erneut zurechtgewiesen: "Dort drüben steht der Papierkorb." Doch als das Mädchen später das beste Klappmesser macht und alle neben ihr stöhnend zusammenbrechen, erwärmt sich die Stimme der Ballettlehrerin. Sie lächelt und lobt ihre jüngste Schülerin.

Seit 40 Jahren führt Sonja Kienast, 64, die gleichnamige Ballettschule in der Altstadt Dachau. Sie hat sich ihren Kindheitstraum erfüllt. Sonja Kienast wusste mit zehn Jahren, dass sie Tänzerin werden will und eine eigene Ballettschule haben möchte. Angefangen hat alles mit einer kleinen Anzeige in der Zeitung: "Kinderballett sucht Nachwuchs" hatte ihre Mutter gelesen. Dann fuhr sie mit der achtjährigen Sonja zur Aufnahmeprüfung in die Bayerische Staatsoper München. Sonja Kienast kann sich noch erinnern, wie sie zwischen 75 Kindern saß, von denen 30 gleich wieder heimgeschickt wurden, weil sie auf den ersten Blick nicht gelenkig genug erschienen. Nach ein paar Jahren blieben fünf Schüler übrig und wurden als Eleven ins Opernballett übernommen. Sonja Kienast hat dort eine der besten Ausbildungen im klassischen Ballett genossen. Freilich, auch Strenge und Disziplin erfahren. Und doch sagt sie heute: "Ich möchte keine Minute missen, die ich am Theater war."

Mit zehn Jahren stand sie erstmals auf der Bühne, in der Weihnachtsvorstellung im Cuvilliés-Theater stellte sie einen Tannenbaum dar. Drei Mal in der Woche fuhr sie ins Kinderballett, zusammen mit Heinz Bosl, dem späteren Star des Münchner Nationaltheaters, der bereits mit 28 Jahren starb. In ihrer Zeit als Elevin im Opernballett tanzte Sonja Kienast manchmal rund um die Uhr. Privatleben? Null. Das Ballett war ihr Leben. Ist es heute noch. Nach der Ausbildung in Theatertanz an der staatlichen Hochschule für Musik in München ging sie ans "Theater an der Wien" und studierte dort Ballettpädagogik.

Zur Eröffnung ihrer Schule 1972 in Dachau schenkte Heinz Bosl seiner Weggefährtin ein Bild von sich. Es hängt in Sonja Kienasts Ballettsaal, über dem Schränkchen mit der Musik. Die Lehrerin legt eine CD ein. Die Kinder sitzen mit ausgestreckten Beinen am Boden. Füße hoch und strecken, hoch und strecken, lautet das Kommando. Jede Woche beginnt die Stunde mit der gleichen Übung. Dann weiter im Stehen. Knie beugen, plié, und strecken. "Beine strecken", ruft Sonja Kienast, "da kann ich ja einen Fußball durchschießen." Armübungen folgen. Port de bras. Die Mädchen stehen vor dem Spiegel und schwingen die Arme wie Vögel durch alle fünf Positionen. Sonja Kienast lobt ihre Kinder, die erst seit September Ballett tanzen. Und alle werden an der Weihnachtsaufführung teilnehmen, egal, ob sie fünf oder 25 Jahre alt sind. Die erfahrene Lehrerin weiß genau, wie sie ihre Eleven motiviert. Und sie kennt die Grenzen. Auf rosa Spitzenschuhen tanzen ihre Schüler frühestens mit zehn Jahren. Dann, wenn die Füße ausgereift und die Beine trainiert sind, um das Gleichgewicht auf den schmalen Kappen zu halten.

60 Schüler werden im Ballettstudio in der Altstadt unterrichtet, sie sind zwischen fünf und 25 Jahre alt. "Dann hören die meisten auf und kommen erst mit 35 Jahren wieder", sagt Sonja Kienast und berichtet stolz von ihrer "Damengruppe". Die "großen Mädchen" erinnern sich, wie toll es war, als sie nach den Ballettstunden jeden Muskel spürten und wohlig erschöpft nach Hause gingen. Und kommen wieder. Es geht ja auch nicht immer streng zu. Nach schweren Übungen lässt Sonja Kienast ihre Schüler im Polka-Schritt quer durch den Saal springen. "Das entspannt das Gehirn", sagt sie und schmunzelt.

© SZ vom 14.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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