Dachau:Riskante Parallelen

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Ein Terrain, das sie nicht ausreichend beherrscht: Ursula Nauderer verstrickt sich in der Ausstellung "Jugend" des Bezirksmuseums in historische Vergleiche von Nationalsozialismus und Nachkriegszeit.

Wolfgang Eitler

Vielleicht versteht Ursula K. Nauderer, Leiterin des kommunalen Bezirksmuseums von Stadt und Landkreis, ihren Satz selbst nicht oder erkennt zumindest die Problematik nicht, wenn sie eine Parallele zwischen der Jugendpolitik der Nationalsozialisten und der zahlreichen und unterschiedlichen Jugendkulturen in der Bundesrepublik Deutschland und vor allem der Nachkriegszeit zieht und sagt: "Durch die Betonung der Jugendkultur im Nationalsozialismus gibt es eine Verfestigung der Jugendphase auch nach dem Zweiten Weltkrieg."

Das Bezirksmuseum dokumentiert in der Ausstellung "Jugend - gestern und heute" Objekte aus der Zeit des Nationalsozialismus. (Foto: joergensen.com)

Das war schon die Zweitversion. In ihrer Erstfassung während einer Presseführung durch die Ausstellung, die am Donnerstagabend eröffnet wird, sprach sie davon, dass "die Jugendkultur der Nationalsozialisten sich in der Nachkriegszeit mit anderen Inhalten gefüllt hat". Dazu zitierte sie den ersten Deutschen Bundespräsidenten, Theodor Heuss, der sich in seinen Reden "immer auch an die Jugend gewandt hat".

Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte, will diese Äußerungen nicht kommentieren, zumal da sie ihr nicht sehr verständlich erscheinen. Aber sie weist auf den Umstand hin, dass die Jugendpolitik während der Zeit des Nationalsozialismus der Militarisierung der jungen Menschen, mithin der Kriegsvorbereitung diente. Dagegen waren die Bewegungen der Jugendkultur im Nachkriegsdeutschland frei von staatlichen Vorgaben, sie opponierten geradezu dagegen. Man könnte sie als antistaatlich bezeichnen.

Nauderer, das ist eindeutig, will einen roten Faden stricken, der sich vom Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Schulpflicht im damaligen Königreich Bayern eingeführt wurde, über die lebensreformerischen Jugendbewegungen, den politischen Ausreißern in der Nazizeit hin zur Gegenwart zieht. Demnach verfügt die Jugend über einen "Freiraum", sie sagt auch "relativ eigenständige Lebensphase". Nur, was will sie mit dieser formalisierten Sichtweise, die von den jeweiligen Inhalten absieht, mitteilen?

Die Ausstellung eröffnet ein Jugendzimmer, das fünf junge Leute, Alexander (17 Jahre), Iska (15 Jahre), Johannes (17), Magdalena (17) und Michaela (20) gestalten durften, einschließlich zahlreich herumliegender Kleidung, den obligatorischen Postern, den Harry-Potter-Büchern und auch eines Laptops. Will sagen: Die Jugend heute darf schlampig sein, sie hat ihre eigenen Fluchten, die Erwachsene nicht betreten dürfen. Dazu wird Sokrates zitiert, wonach die jeweilige Jugend halt immer (ironisch gemeint) die denkbar schlechteste ist.

Dann folgt ein Ausstellungsraum mit Dokumenten, wie es früher an Schulen zuging. Fotografien aus der Zeit, als im Kloster Weichs noch Lehrerinnen ausgebildet wurden, lassen erahnen, wie wenig Intimität diesen jungen Frauen in riesigen Schlafsälen gegönnt war. Es folgen übergangslos Relikte der Burschenschaften und schließlich das "Kristallthema" (Nauderer) der Jugendbewegungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Keines der Exponate kann aus Dachau oder seiner Region selbst stammen, weil diese lebensreformerischen Ideen mit all ihren Ausuferungen nur in großen Städten Anklang finden konnten. Wo sonst hätten die Wünsche nach einem naturnahen Leben, nackt, frei mit viel Musik, entstehen können. Im ländlich-bäuerlichen Dachau, wo Kinder und Jugendliche eh barfuß liefen? Aber Nauderer zielt nicht auf die historischen Dachauer Lebensumstände ab, in Anlehnung oder Abgrenzung zu modischen Tendenzen und Zeitströmungen. Und so kommt es eben, dass die Uniformen der Hitlerjugend direkt gegenüber einem Elvis-Presley-Konterfei hängen oder den für die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts typischen bonbonfarbenen Plüschkleidern.

Aber wie haben die damals jungen Dachauer den Bruch ihre Biographien,die Zeit nach dem Krieg erlebt? Wie die Umbrüche in den späten sechziger Jahren oder die siebziger Jahre. Das Bezirksmuseum könnte eine Art modernes Heimatmuseum sein, das die Chance ergreift, wichtige geschichtliche Aspekte auf die Region und die Erfahrungen der Menschen zu beziehen. Nauderer sucht dagegen das Gegenteil, den allgemeinen Überblick und wagt sich auf das Terrain der Verbindung von Zeitgeschichte, Soziologie und Ethnologie, das sie in dieser Ausstellung nicht ausreichend beherrscht.

Claus J. Tully vom Deutschen Jugendinstitut in München hat sich mit der Geschichte der Jugend und den Jugendbewegungen eingehend befasst. Demnach ist eine eigenständige Jugendkultur nicht nur in Deutschland ein modernes Phänomen. Er sagt: "Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich Grundlegendes geändert." Erst seitdem könne überhaupt von einer Jugendkultur gesprochen werden, also von denjenigen Freiräumen und eigenständigen Lebensphasen, auf die Nauderer in ihrer Ausstellung als maßgebliches und kontinuierliches Bindeglied über die Jahrhunderte hinweg abhebt.

© SZ vom 29.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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