Ausstellung:Tempelruinen des fossilen Zeitalters

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Getreidespeicher in Buffalo als Ölgemälde von Peter Schaller als "Kathedrale der Moderne". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Feldafinger Künstler Peter Schaller zeigt in der KVD-Galerie "Industrial" für die Augen: düstere monumentale Landschaften von Kraftwerken und Kohlebunkern als Gemälde, aber auch filigrane Drucke und luftige Zeichnungen zu technischen Relikten.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Dem Architekten Sir Giles Gilbert Scott verdankt das Vereinigte Königreich nicht nur das Design seiner roten Telefonzellen mit Kuppeldach, sondern auch die 1933 in Betrieb genommene Battersea Power Station. Bis zu ihrer Stilllegung im Jahr 1983 wurden in den Öfen jedes Jahr eine Million Tonnen Steinkohle verfeuert. Berühmt wurde das Kraftwerk am Ufer der Themse hierzulande vor allem durch das Cover des Pink-Floyd-Albums "Animals" , bei dem - warum auch immer - ein Schwein zwischen den schneeweißen Schloten schwebt.

In der Galerie der Künstlervereinigung Dachau ist die Londoner Powerstation, seinerzeit drittgrößtes Kraftwerk des Landes, in einem großformatigen Ölgemälde verewigt, ein finsteres Monument, umrahmt von Schattengerippen einer Straßenlaterne und einem Baukran. Schweine wird man auf dem Bild vergeblich suchen, Menschen ebenso. "Die Menschen lasse ich bewusst weg", sagt Peter Schaller, "das wäre mir zu erzählerisch." Was nicht heißt, dass seine Bilder nicht eine ganze Menge zu erzählen hätten.

Zentrales Thema seiner neuen Ausstellung sind Industriebauten, vornehmlich des schwerindustriellen Zeitalters. Kohlebunker, Kraftwerke, Zechen, Hochöfen, alles, was groß ist, dampft, raucht, lärmt und stinkt. Für den 53-Jährigen sind diese Funktionsbauten "riesige Skulpturen" von faszinierender Ästhetik. "Sie haben so etwas Urtümliches."

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Ausgangspunkt von Peter Schaller sind stets Fotografien, die er auf seinen Reisen rund um die Welt macht, wobei er sich durchaus die künstlerische Freiheit erlaubt, von der Vorlage etwas abzuweichen und auf Details zu verzichten zugunsten der Klarheit des großen Ganzen. Die Ästhetik steht im Vordergrund: Flächen, Räume, Formen, alles wird stark reduziert, die Farben, die er in seinen Ölgemälden einsetzt, sind eingedampft auf Titan- und Zinkweiß und ein alles verschluckendes Schwarz.

Das ist düster, wuchtig, brachial und der Titel "Industrial" ist gewiss nicht ohne Hintersinn gewählt. Industrial ist auch eine Musikrichtung, die sich zugleich durch radikale Reduktion und ein brutal rohes und deswegen ziemlich kraftvolles Sound-Design auszeichnet. Bei Peter Schaller gibt es Industrial für die Augen, da ist nichts lieblich, süß und bonbonfarben.

Manche alten Industrieanlagen wirken heute wie Kultstätten

Die Grain Elevators von Buffalo, Getreidesilos im Mittleren Westen, bringt Peter Schaller als schwarze Festungen auf die Leinwand, die den Himmel verdunkeln. Der strenge Funktionalismus, das vertikale Himmelstrebende wirkt gleichzeitig unheimlich und sakral.

Das ist auch etwas, das Schaller reizt: dass diese alten Industrieanlagen, gerade wenn sie ihrer ursprünglichen Funktion beraubt sind, als urtümliche, rätselhaft Ruinen in der Landschaft stehen "fast wie Kultstätten". Oder, um es in den Worten des Bauhaus-Gründers Walter Gropius zu sagen, wie "Kathedralen der Moderne".

Schon die schiere Größe macht die Bauwerke zu überwältigenden Monumenten, oft schmelzen die schwarzen Blöcke zusammen zu riesigen dunklen Flächen, Schattenrisse voller Rohre, Kabelstränge, blinde Fenster, Mysterien aus Beton und Stahl, man sieht keine Überlebenden. Viele der einst dampfenden, rauchenden und lärmenden Kolosse sind inzwischen stillgelegt und dämmern ihrem Abriss entgegen. Es sind "archaische Dinge, die langsam verschwinden".

In Dachau hätte Peter Schaller bis vor einiger Zeit auch spannende Motive finden können, die in diese Sparte passen, etwa auf dem Gelände der ehemaligen MD-Papierfabrik, der gewaltige Kraftwerksblock mit seinen Kaminen, die wie antike Säulen in den oberbayerischen Himmel ragten. Schaller wurmt das selbst ein bisschen. Von den Graffiti an den Fassaden zur Freisinger Straße habe er noch Fotos gemacht. Jetzt ist es zu spät. Die Bagger haben längst alles weggeräumt, was nicht unter Denkmalschutz steht.

Obwohl er seit 1993 in Feldafing lebt und arbeitet, kennt Schaller die Große Kreisstadt an der Amper recht gut. Sein Bruder lebt hier, ausgestellt hat er hier auch schon. Schaller war mit einer Arbeit bei der Schlossausstellung der KVD im Jahr 2017 vertreten. Den Vorsitzenden der Künstlervereinigung, Johannes Karl, kennt er von der Berufsfachschule für Kommunikationsdesign in München, beide lehren dort als Dozenten.

Die "Battersea Power Station" in London als Holzschnitt. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Ein Rasenmähermotor bringt in Peter Schallers Zeichnung die Linien zum Schwingen. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Düster, archaisch und auch ein wenig unheimlich sind die monumentalen Industriegebäude in der malerischen Umsetzung. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Doch zurück in die KVD-Galerie, die Ölbilder machen ja nur etwa ein Drittel der "Industrial"-Ausstellung aus. Es gibt noch die Druckgrafiken und die Zeichnungen, ästhetisch, aber auch inhaltlich setzen sie andere Akzente als seine düsteren Gemälde.

Die Holzschnitte sind filigraner und auch ein wenig gefälliger: Ein Stahlturm der Maxhütte steht wie ein fein ziselierter Scherenschnitt vorm leeren Himmel. Wer sich hier an die Schwarzweiß-Industriefotografien von Bernd und Hilla Becher erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch. Schaller kennt die ikonischen Arbeiten der Bechers, er hat selber einige Fotobände von ihnen daheim.

Den dritten Teil der Ausstellung bilden Zeichnungen von technischen Fundstücken, Eisenteilen, Relikten der Zivilisation. Hier liegt sozusagen der Ausgangspunkt von Peter Schallers künstlerischem Schaffen. Der Zerfall, die Transformation, das habe ihn schon immer beschäftigt, sagt der Künstler. Schon seine Zulassungsarbeit für die Akademie der Bildenden Künste in München habe sich um Eisen und Rost gedreht, erzählt er. Man sieht, der Mann ist im Thema - und das schon ziemlich lange.

Als Kunstschüler habe er zwei Wochen lang auf einem Schrottplatz bei Regensburg gearbeitet, erzählt er. Das hat ihn geprägt. Kein Wunder also, dass Schaller schon ein ausgebauter Rasenmähermotor als Motiv genügt, um seine Kreativität auf Hochtouren zu bringen.

Von den eisernen Rippen in der Mitte des Blatts entwickelt er mit dynamischen Strichen formverwandte Strukturen, die bis zu den Rändern wachsen. Es sind eher räumliche Erweiterungen, abstrakte Landschaften im vibrierenden Rhythmus eines Zweitakter-Motors. Bald wird auch er nur noch Artefakt einer vergangenen Epoche sein.

"Industrial". Ausstellung von Peter Schaller in der KVD-Galerie. Die Vernissage findet am Donnerstag, 19. Oktober, um 19.30 Uhr statt. Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag 16 bis 19 Uhr, Sonntag 14 bis 18 Uhr. Die Ausstellung geht bis Sonntag, 12. November.

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