Apotheker:"Wir stehen vor denselben Problemen wie im letzten Jahr"

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Wolfgang Reiter ist Apotheker und gesundheitspolitische Sprecher der ÖDP in Bayern. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Im nächsten Winter wird es bei Arzneimitteln wieder zu Engpässen kommen. Das jedenfalls prophezeit Apotheker Wolfgang Reiter bei einer Wahlkampfveranstaltung der ÖDP in Dachau.

Von Andreas Förster, Dachau

"Die gute Nachricht zuerst", sagt Wolfgang Reiter zu Beginn seines Vortrags im Adolf-Hölzel-Saal am Ernst-Reuter-Platz am Mittwochabend: "Zurzeit ist die Situation bei den Kinderarzneimitteln entspannt." Das liege daran, dass diese im Sommer viel weniger nachgefragt werden. "Wenn im Herbst und Winter die Erkältungs- und Fiebersaison losgeht, stehen wir vor denselben Problemen wie im letzten Jahr", prophezeit der Betreiber der Schloss-Apotheke in Markt-Schwaben und gesundheitspolitische Sprecher der ÖDP in Bayern. Bei seinem rund neunzigminütigen Vortrag zeigt Reiter mittels etlicher Folien, darunter auch Screenshots aus dem digitalen Bestell-System seiner eigenen Apotheke, was aus seiner Sicht schief läuft im deutschen Arzneimittelwesen.

Rückblick: Mai 2022. Mehrere Pharma-Hersteller wie Stada, Hexal und Ratiopharm kündigten an, die Produktion von Ibuprofen- und Paracetamol-Säften einzustellen. In der Folge warnte der Verband der Kinderärzte vor einem Engpass im Winter.

Im Dezember 2022 gingen dann - wenig überraschend - die Kinderarzneimittel aus. Das betraf nicht nur die Fiebersäfte, sondern - von der Wirkung her noch weiterreichender, da bisweilen überlebensnotwendig - die Antibiotika für Kinder. Auch in diesem Jahr droht erneut ein Engpass. "Auf meinen Bestellzetteln ist überall ein roter Punkt zu sehen, das heißt nicht verfügbar", berichtet Reiter und meint damit neben den Arzneimitteln für Kinder, darunter auch Hustensäfte und Fieberzäpfchen, auch die für Erwachsene: Penicillin, Fiebersenker, Blutdruck- und Magenmittel, Mittel gegen Schwindel... Die Liste sei endlos, sagt Reiter.

Die Preise bestimmen den Arzneimittelmarkt

Er versucht zu erklären, warum das so ist: "Man hat 2010 die Rabattverträge eingeführt, damit im freien Markt die Preise für Medikamente fallen." Über diese nicht öffentlichen Verträge handeln die Krankenkassen mit den Arzneimittelherstellern die Preise aus und verpflichten die Apotheken, das günstigste Medikament zu bestellen. Folgerichtig seien die Preise gesunken, allerdings hätten viele mittelständische Hersteller in Deutschland die unrentable Produktion eingestellt oder sie wurden aufgekauft wie im Fall von Hexal, 1A Pharma, Ratiopharm oder Zentiva, die nun Schweizer oder französischen Großkonzernen wie Novartis oder Sanofi-Aventis gehören.

Diese seien Wirtschaftsunternehmen und verkauften dorthin, wo die Preise rentabel seien: Also nicht nach Deutschland, resümiert Reiter. Dasselbe gelte für die großen Wirkstoffhersteller, die mittlerweile in China und Indien säßen. Ein Teufelskreis, den - da wird der ÖDP-Sprecher deutlich - die Politik verursacht und seitdem ausgesessen hat. "Noch bis vor Kurzem hieß es aus dem Bundesgesundheitsministerium, es gebe vereinzelte Lieferverzögerungen, aber keine Engpässe", sagt Reiter. "Dadurch durften wir Apotheker auch keine Arzneien im Ausland bestellen." Viele, darunter auch er, hätten es trotzdem gemacht, um wenigstens eine annähernde Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

"Wir haben in Bayern das größte Apothekensterben aller Bundesländer"

Im Juli habe die Bundesregierung endlich ein Gesetz gegen Lieferengpässe verabschiedet. Es mache Vorräte für vielgenutzte Arzneimittel zur Pflicht, Preisregeln sollen gelockert werden, damit sich Lieferungen nach Deutschland für Hersteller mehr lohnen. Doch das werde in den nächsten ein bis zwei Jahren sicher noch keine positiven Auswirkungen haben, ist sich Reiter sicher. "Die Produktion wird nicht zurück nach Deutschland und leider auch nicht nach Bayern kommen", meint er. Dafür sei es zu spät. Das habe man ihm seitens der Staatsregierung versichert, man könne nur versuchen, europäische Standorte zu etablieren.

Auch für die Apotheken werde es immer schwieriger, rentabel zu arbeiten, sagt Reiter. "Wir haben in Bayern das größte Apothekensterben aller Bundesländer", bedauert er, das bestätigten aktuelle Zahlen der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände. Für viele Apotheker auf dem Land lohne sich das Geschäft nicht mehr, auch wegen des Fachkräftemangels und der ständig wachsenden Bürokratie. "Es gibt mittlerweile 39 000 Rabattverträge", so Reiter. Tendenz: weiter steigend.

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