Insektensterben im Landkreis:"Wir dokumentieren nur noch das Aussterben der Insekten"

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Einsames Insekt: Man sieht sie kaum, aber über dem städtischen Biotop beim Steinkirchner Windrad fliegt eine Biene (Bildmitte). (Foto: Niels P. Jørgensen)

Experten vermuten, dass die Insektenpopulation im Landkreis dramatisch geschwunden ist. Die Folgen sind unvorhersehbar.

Von Christiane Bracht, Dachau

Naturschützer sind alarmiert: "Es schaut düster aus mit der Insektenwelt", sagt Johannes Hiller vom Vorstand des Landesbunds für Vogelschutz (LBV), Kreisgruppe Dachau. "Heuer ist wieder ein starker Einbruch im Bestand zu beobachten." Schon seit seiner Jugend beobachtet er Falter, Schmetterlinge, Raupen, Käfer, Bienen und anderes fliegendes Getier. Seit 20 Jahren gehe die Population zurück, beklagt der Dachauer Baumschulmeister. Doch in diesem Jahre sei der Schwund besonders auffallend: Lässt man abends das Licht an und das Fenster auf, müsse man nicht mal fürchten, dass Mücken oder Falter hereinkommen. Auch im Biergarten belästigen kaum noch Wespen die Gäste. "Alles ist clean, und das ist bedrohlich", sagt Hiller. "Denn ein Großteil der Tierwelt hängt von den Insekten ab: Singvögel, Fledermäuse, Spinnen und auch die Forellen steigen nicht mehr. Es ist dringender Handlungsbedarf."

Seit 1945 ist etwa die Hälfte der Tagfalter für immer verschwunden, sagt der LBV-Vorstand, der zugleich auch stellvertretender Vorsitzender vom Landschaftspflegeverband im Landkreis Dachau ist. Früher gab es 88 verschiedene Arten, heute seien es nur noch 44 und davon sind 15 akut vom Aussterben bedroht. "Wenn wir uns nicht richtig ins Zeug legen, wird dieser Trend anhalten", prophezeit Hiller. Insektenforscher Markus Bräu bestätigt dies. Er sagt: "Wir dokumentieren nur noch das Aussterben der Insekten."

Ursachenforschung

Doch woran liegt es, dass gerade in diesem Jahr so viele verschwunden sind? Man weiß es nicht genau, sagt Hiller. Man müsste Feldforschung betreiben. Dazu wären jedoch Forschungsgelder nötig. "Doch die Politik ist zu sehr auf wirtschaftliche Erfolge ausgerichtet. Gewinnmaximierung steht im Vordergrund", klagt der Dachauer Naturschützer.

Es gibt aber Erklärungsversuche für das plötzliche Fehlen von Insekten: So könnte das Wetter Auswirkungen auf die Populationen haben, hatten wir in diesem Sommer doch einige extrem heiße Tage. Das hat, ebenso wie der Feinstaub in der Luft, Einfluss auf die Feuchtigkeitsverhältnisse der Vegetation und damit auf die Tiere.

Johannes Hiller vom LBV ist alarmiert. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mitverantwortlich könnten auch Neonicotinoide sein, die Landwirte gerne auf ihren Feldern einsetzen. "Diese bauen sich nur langsam ab und sind gefährlich. Sie wirken meist nicht sofort, aber dafür nachhaltig über das Nervensystem. Insekten können dadurch orientierungslos werden und finden dann nicht mehr zur Brut zurück", sagt Hiller.

Eine andere Ursache könnte die Zerstörung des Lebensraums der Insekten sein. Die intensive Landwirtschaft lasse der Natur zu wenig Raum, klagt der Gärtner und Hobbybiologe. Insekten bräuchten Wildkräuter, Brache und Pfützen, um ausreichend Nahrung zu finden und sich fortpflanzen zu können. "Blühstreifen sind ein Anfang, aber noch lange keine Rettung für unsere Insekten", sagt Hiller. Denn jeder Käfer und jeder Schmetterling braucht Ruhe, um sich entwickeln zu können - je nach Art ein oder zwei Jahre. Es müsste viel mehr Flecken geben, auf denen die Natur sich selbst überlassen wird und diese müssten enger beieinander liegen. Denn Wildbienen haben laut Hiller nur einen Aktionsradius von 300 Metern. Doch der LBV-Vorstand ist froh, dass sich seit dem Volksbegehren so viele Menschen für Artenschutz interessieren und auch ihre Stimme erheben. Das Bewusstsein sei seither enorm gewachsen und damit übe die Bevölkerung auch Druck auf die Politik aus.

Insektenzählung

Der LBV, der in diesem Jahr wieder bundesweit Insekten beobachtet hat, schreibt, dass die meisten Wildbienen, Schmetterlinge und anderes summendes Getier in den Gärten gesehen wurden. Es seien die wichtigsten Lebensräume der Insekten. Dort finden sie noch genügend Nahrungsquellen. Umso wichtiger sei es, dass Gartenbesitzer heimische Stauden und Kräuter anpflanzten.

Vom 31. Mai bis zum 9. Juni und vom 2. bis 11. August hat der Verband Insekten beobachtet und gezählt. 16 300 Insektenfans nahmen deutschlandweit an diesen Aktionen teil. Insgesamt bemerkten sie 6300 Tierchen, 700 davon in Bayern. Im vergangenen Jahr zählten sie bundesweit noch 1000 fliegende und krabbelnde Tierchen mehr, in Bayern waren es damals noch 950. Diese Zahlen bestätigen Hillers Wahrnehmung. Allerdings zählten damals noch 1700 Menschen mehr. Für den Landkreis Dachau gibt es keine eigenen Statistiken. Der Grund: Für Laien ist es schwierig, die Insekten zu bestimmen. "Es gibt allein 650 verschiedene Arten von Bienen", erklärt Experte Hiller. "Dazu braucht man Fachleute."

Am häufigsten beobachteten die Insektenfreunde zwei Wanderfalter: den Admiral und den Distelfalter. Letzterer kommt laut Hiller von Afrika. "Wir haben in den vergangenen Jahren einen unwahrscheinlichen Einflug erlebt", weiß er. Die heimischen Arten gehen indes deutlich zurück. Der Distelfalter ist genügsam und vermehrt sich an Disteln. Wenn er im Winter erfriert, kommt im Frühjahr wieder ein neuer Einflug aus Afrika.

Dank der milden Winter der vergangenen Jahre hat sich auch der Admiral, der aus Südeuropa kommt, hierzulande angesiedelt. Er ist schwarz und hat auf den Unterflügeln eine rote Zeichnung. Meist überwintert er in Gebäuden, sagt Hiller. "Er ist ein Indiz für den Klimawandel." Auch der Kleine Kohlweißling wurde Anfang August sehr häufig gesichtet. "Aber davon sind auch nur noch halb so viele unterwegs wie im vergangenen Jahr", hat Hiller beobachtet.

Früher wuchs die Acker-Witwenblume auf Feldern, heute muss sie angesät werden. Weil sie Bienen und Schmetterlinge mit Nektar nährt, ist sie praktisch in jeder Wiesenblumenmischung. (Foto: Niels P. Jørgensen)

In Bayern haben die LBV-Experten die Steinhummel und die Honigbiene in diesem Sommer am häufigsten beobachtet. Nach Angaben des Landesverbands breitet sich die Blaue Holzbiene in Deutschland aus. "Ihr kommt die trockenwarme Witterung zugute. Auch Erdhummeln und Steinhummeln haben gegenüber 2018 deutlich zugelegt", heißt es in einer Pressemitteilung.

Was soll sich ändern?

In Dachau machen Hiller und der LBV-Kreisvorsitzende Cyrus Mahmoudi gerade eine Bestandsaufnahme. Anfang Oktober haben sie einen Vortrag zu diesem Thema geplant. Sie wollen wachrütteln und vor allen Dingen verändern. Die Politik soll mehr Wert auf den Naturschutz legen, ihn nicht nur nebenbei abhandeln. Deshalb fordern sie mehr Stellen im Landratsamt in der Unteren Naturschutzbehörde. Damit würde der Landkreis auf jeden Fall Farbe bekennen, findet Hiller.

Außerdem will der LBV darauf hinwirken, dass man ihn in die großen Planungen der nächsten Jahre involviert, ihn anhört und seine Position ernst nimmt. Die Umgehungsstraße soll in Dachau ausgebaut werden, außerdem sollen Neubaugebiete entstehen. Dabei gehe es immer nur um wirtschaftliche Belange. Doch Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit seien wichtig, betont Hiller. "Ziel muss es sein, dass Menschen und Tiere ein gutes Auskommen auf Dauer haben." Den Naturschützern gehe es aber keinesfalls um Blockade, wie manch einer vielleicht argwöhnen würde, versichert der stellvertretende Vorsitzende des Landschaftspflegeverbands. Es gehe vielmehr um den Artenschutz. Politik und Bevölkerung müssten insoweit an einem Strang ziehen und gemeinsam etwas ändern.

Für die Biotoppflege will der LBV Paten gewinnen, die sich um die Flächen kümmern, sie beobachten und darüber berichten. Außerdem wollen Mahmoudi und Hiller darauf hinwirken, dass die verschiedenen Naturschutzverbände sich vernetzen und ihr Wissen zusammenführen. Dann habe man gute Chancen die Natur zu regenerieren. Noch gibt es Rettung, davon ist Hiller überzeugt.

© SZ vom 27.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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