Dachau: Konzeptstudie für einstige Papierfabrik:Ein Stadtpark bis zur Amper

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Jenseits der denkmalgeschützten Gebäude haben die Bagger alle Gebäude der der alten MD-Papierfabrik abgetragen. Platz zum Bauen wäre jetzt da. (Foto: Toni Heigl)

Kurz vor der entscheidenden Sitzung des Dachauer Stadtrats legt das Architekturforum eine Konzeptstudie zum MD-Gelände vor, die Wohnen und Arbeiten im Grünen verspricht. Wird jetzt noch einmal alles aufgeschnürt?

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die Vergangenheit ist abgeräumt, nur die denkmalgeschützten Hallen der ehemaligen MD-Fabrik am Fuße der Dachauer Altstadt stehen noch, dahinter erstreckt sich eine Wüste aus Kies. 17 Hektar in bester Lage bieten viel Raum für große Zukunftspläne: In einigen Jahren könnte hier ein neues urbanes Viertel entstehen, mit Gewerbe, Erholungsflächen und Wohnhäusern für 2000 Menschen; der Mühlbach soll auf dem Gelände wieder freigelegt werden mit einer Surfwelle als Attraktion. Es wäre ein ganz neuer Stadtteil, der aber anders als andere Neubaugebiete in Dachau der Stadt einen dauerhaft prägenden Stempel aufsetzen wird. Es ist, man kann das ohne Übertreibung so sagen, ein Jahrhundertprojekt. Aber auch Jahrhundertprojekte müssen ordentlich geplant und beraten werden: Im Stadtrat steht am kommenden Dienstag der Bebauungs- und Grünordnungsplan des MD-Geländes auf der Tagesordnung - und die Frage, wie es konzeptionell weitergehen soll.

Wenige Tage vor dieser wichtigen Weichenstellung fordert das Architekturforum Dachau nun, die laufenden Planungen für das Großprojekt noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und das nicht nur im Detail. "Wir müssen spätestens jetzt nachdenken, wie sich unsere Stadt künftig ändern muss", fordert der Vorsitzende, Christian Stadler. Man dürfe nicht davor zurückschrecken, "Grundlegendes zu ändern oder neu zu konzipieren".

"Wir wollen nicht alles infrage stellen"

Es ist nicht das erste Mal, das sich das Architekturforum in die städtebauliche Entwicklung Dachaus einschaltet. Erst im vergangenen Herbst saßen sie mit den Planern der Wohnbaugesellschaft Isaria, die das MD-Gelände entwickelt, und Vertretern der Stadt in einem Workshop zusammen am Tisch. Dass der von Architekten und Künstlern getragene Verein an den Planungen erheblichen Nachbesserungsbedarf sieht, hat wenig mit der Qualität der bisherigen Entwürfe zu tun, aber sehr viel mit den Katastrophen der jüngsten Zeit: die Corona-Pandemie und der Klimawandel.

Wie viel Stress beengte Wohnverhältnisse erzeugen, wurde in den Phasen des Lockdowns an vielen Orten offensichtlich. Und die Flutkatastrophen des vergangenen Jahres haben dramatisch vor Augen geführt, dass es keine triviale Frage ist, wo und wie man baut. Eine neue Konzeptstudie des Architekturforums trägt diesen Überlegungen nun mit einem großen, zusammenhängenden Stadtpark in zentraler Lage Rechnung. Er soll sich vom Mühlbach bis ans Ufer der Amper erstrecken und - das ist der Clou - bei gleicher Geschossflächenzahl wie in der alten Planung. Davon wird später noch die Rede sein.

Ausgearbeitet hat die Konzeptstudie der Architekt und Stadtplaner Emil Kath, der für die Stadt Dachau auch den Bau der neuen Schule in Mitterndorf plant. Es wird wahrscheinlich sein letztes Projekt sein, bevor er in den Ruhestand geht. Gerade kann bei ihm von Ruhe allerdings keine Rede sein, Kath klappert reihum die Stadtratsfraktionen ab, um seine Ideen vorzustellen und zu erklären, warum man ausgerechnet jetzt, nach fast 15 Jahren alles wieder über den Haufen werfen sollte. Aber das ist gar nicht Kaths Ansinnen: "Wir wollen nicht alles infrage stellen", betont er. Die am Projekt beteiligten Architekten hätten unter den jeweiligen Prämissen alle "ausgezeichnete Arbeit" geleistet.

Emil Kath vom Architekturforum sieht bei den Planungen zum MD-Gelände immer noch großen Nachbesserungsbedarf. (Foto: Toni Heigl)

Die Sache ist nur: Aus Kaths Sicht müsste man den heutigen Planungen ganz andere Prämissen zugrunde legen als 2007. Damals machte Trojan & Trojan das Rennen im Wettbewerb um die Überplanung des MD-Geländes. Das Konzept wurde seitdem immer wieder verändert und angepasst. Die beiden Stararchitekten haben sich aus dem Projekt längst zurückgezogen, eine Baugenehmigung gibt es bis heute nicht. Aber die Welt hat sich seitdem weitergedreht und auch die Sicht auf das, was wichtig ist und was nicht.

"Damals war es noch kein planerischer Konsens, dass man den Klimawandel mitberücksichtigen muss", sagt Kath. Heute ist das anders. Abgesehen davon: "Es wäre die Chance, etwas grundlegend Neues zu machen", wirbt er. Ein neues Baugebiet nach veralteten Grundsätzen zu entwickeln - er schüttelt fassungslos den Kopf- das ergäbe für ihn keinen Sinn. Gerade auf einem Areal "mit grenzwertig dichter Bebauung", wie sie die Isaria plane, seien Anpassungen jetzt dringend notwendig: mehr Luft, mehr Platz, mehr Licht, mehr Grün. Unterm Strich: mehr Lebensqualität für alle.

Mehr Licht, mehr Luft, mehr Grün

Der von der Isaria als Park vorgesehene Streifen reicht Kath nicht aus, in seinen Augen ist es nicht viel mehr als ein begrüntes Rückhaltebecken für Regenwasser. In seiner Konzeptstudie durchzieht ein Park mit hohen Bäumen das Gelände vom Mühlbach im Norden bis an die Amper im Süden. Um dafür genügend Platz zu schaffen, schlägt Kath kompaktere Baukörper vor. Zwei Varianten hat er dazu ausgearbeitet: Die Wohnhäuser könnten an drei Seiten um jeweils einen Innenhof angeordnet werden, wie man es von Bauernhöfen kennt. Oder man baut Punkthäuser, die zwar deutlicher höher ausfallen würden, aber auch größere Abstände zulassen würden; alle Räume wären heller. Auch in den Sozialwohnungen hätten die Menschen ihren Platz an der Sonne. Und die Isaria käme auch auf ihre Kosten, denn trotz des vielen Grüns bliebe die Geschossflächenzahl genauso hoch wie in der aktuellen Planung.

Die Konzeptstudie von Emil Kath sieht einen zentralen, druchgängigen Stadtpark von der Amper bis zum Mühlbach vor. Die Verengung an der Ostenstraße soll die Lärmbelastung des Durchgangsverkehrs im neuen Viertel verringern. (Foto: Emil Kath/Architekturforum Dachau)

"Unser Konzept ist mindestens genauso wirtschaftlich wie das alte", wirbt Kath. Möglicherweise sei es sogar noch ökonomischer, weil die Planungen "rationaler" seien. Der Vorsitzende des Architekturforums, Christian Stadler, sieht gar die Chance, aus dem neuen Papierviertel am Fuß der Dachauer Altstadt eine Modellsiedlung für "nachhaltige, inklusive und zukunftsfähige Stadtentwicklung" zu machen und scheut dabei auch keine großen Worte: Es wäre "ein leuchtendes Beispiel für die gesamte Region."

Zuspruch und Skepsis bei den Stadträten

"Der Entwurf hat Charme", beschreibt Florian Schiller, Vorsitzender der CSU-Stadtratsfraktion, seinen ersten ersten Eindruck. Er hoffe, dass die neuen, "grundsätzlich interessanten Ideen" mit den laufenden Planungen in Einklang gebracht werden können. Kleinere Verzögerungen werde man dafür gerne in Kauf nehmen, sagt er. "Aber was wir auf keinen Fall wollen, ist ein totaler Reset." Angesichts der gravierenden Unterschiede zur ursprünglichen Planung ist Schiller aber nicht ganz überzeugt, ob es mit ein paar Entwurfsänderungen tatsächlich getan wäre. "Wir haben dazu im Augenblick mehr Fragen als Antworten", räumt er ein.

Der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) lobt das Engagement des Architekturforums, bleibt in der Beurteilung der neuen Konzeptstudie aber zurückhaltend. "Jede Planung hat Licht und Schatten", sagt er, dies gelte sowohl für die Entwürfe der Isaria als auch für die Konzeptstudie des Architekturforums. "Wobei man die beiden Varianten nicht eins zu eins vergleichen kann", wie er betont. Eine Konzeptstudie ist nie so detailliert wie eine Entwurfsplanung. Und meist stecken die Tücken im Detail.

Diese zeigen sich oft erst bei näherer Prüfung. Manchmal sieht man sie aber auch schon mit bloßem Auge. Kaths Idee mit den Punkthäusern kann Hartmann jedenfalls nicht überzeugen: "Das ist ein urbanes Quartier mit Geschäften im Erdgeschoss. Was soll ein Bäcker oder ein Friseur mit einem Laden, bei dem ringsum nur grüne Wiese ist?" Das grundlegende Problem ist für ihn aber ein ganz anderes: Es gebe bereits umfangreiche Gutachten und zahlreiche Abstimmungen mit wichtigen Akteuren, mit der Bahn oder dem Wasserwirtschaftsamt. Eine grundlegend veränderte Planung habe auch darauf Auswirkungen. Hartmann warnt, dass das Projekt um Jahre zurückgeworfen werden könnte, wenn man nun alles wieder neu planen, prüfen und abstimmen müsse.

Die Stadtverwaltung empfiehlt den Mittelweg

Emil Kath, der sich als Stadtplaner mit solchen Dingen eigentlich auskennen sollte, hält diese Sorge für unbegründet. "Ich glaube, dass das auch in einem halben Jahr machbar wäre." Maximal verliere man ein Jahr, was angesichts der bisherigen Planungszeit kaum mehr ins Gewicht falle. Voraussetzung wäre freilich, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Kath und sein Architekturforum müssten dafür wohl noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten.

Die Verwaltung werde in ihrer Beschlussvorlage empfehlen, die Planungen der Isaria weiterzuverfolgen, sagt der Oberbürgermeister. Die Anregungen des Architekturforums sollten in die weiteren Planungen einfließen, zum Teil sei dies auch schon geschehen: Die Versickerungsflächen habe man beispielsweise schon vergrößert. Hartmann ist nun selbst gespannt, wie es weitergeht. "Am Ende liegt die Planungshoheit aber bei der Stadt", sagt er, genauer gesagt bei den Stadträten. "Und von denen bin ich ja auch nur einer von vielen."

Die Sitzung im Bauschuss am Dienstag, 1. Februar, beginnt um 14.30 Uhr.

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