Die Altstadt ist an diesem sonnigen Montagabend in zwei Welten geteilt. An ihrem Gipfel vor dem Rathaus haben sich 200 Menschen versammelt, sie singen und klatschen. Ihre Botschaft lautet: Toleriert Rassismus nicht, egal, ob in scheinbar belanglosen Alltagssituationen, von Institutionen oder von Menschen rechter Gesinnung. Ein Stück weiter unten, im Ludwig-Thoma-Haus, kommen eine Stunde später etwa 60 Menschen zusammen, um einen Vortrag mit dem Titel "Ist das Asylrecht noch zu halten?" zu hören. Veranstalter ist der Kreisverband Dachau-Fürstenfeldbruck der Alternative für Deutschland (AfD). Es spricht Ulrich Vosgerau, Staatsrechtler und Privatdozent an der Universität Köln, der sich zuletzt einen Namen gemacht hat mit der Behauptung, die Bundesregierung habe gegen das Grundgesetz verstoßen, als sie im Sommer 2015 Flüchtende aus Österreich über die Grenze ließ. Eine Interpretation, der führende Juristen, etwa von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof, widersprechen. "Wenn man die nationale Homogenität erhalten will", wird Vosgerau am Ende des Abends sagen, dürfe man die Menschen gar nicht erst ins Land lassen.
Es sind Weltsichten, die hier aufeinanderprallen. Auf der einen Seite die Menschen auf dem Rathausplatz. Sie sind Unterstützer und Mitglieder des Runden Tisches gegen Rassismus, einem Bündnis aus Stadt, Parteien und Wählervereinigungen, Zeitgeschichtsvereinen und KZ-Gedenkstätte, Religionsgemeinschaften, Sozialverbänden, Gewerkschaften und Betriebsgruppen, außerdem dem Kreisjugendring, dem Verein Freiraum und dem Bürgertreff-Ost. Von allen sind Vertreter gekommen, unter ihnen Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), Stadt- und Kreisräte, Repräsentanten der Asylsozialberatung der Caritas und von zahlreichen Helferkreisen. Die Liste ist lang, das Zeichen deutlich.
Fünf Vertreter verlesen ein Positionspapier, das die Mitglieder gemeinsam entwickelt haben. Es ist ein Appell an die Bürger, sich aktiv gegen Rassismus einzusetzen. "Dazu gehören die Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen etwa aufgrund ihres Geschlechtes, ihrer sexuellen Identität, ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihres sozialen Status, ihres Familienstandes." Auf Rechtsextreme und Bewegungen der "Neuen Rechten", der die AfD zugerechnet wird, nimmt das Positionspapier explizit Bezug. Nazi-Schmierereien an Hauswänden und andere Übergriffe gebe es auch im Landkreis immer wieder, heißt es darin. "Sie sind alles andere als dumme Jugendstreiche, sondern ernstzunehmende Bedrohungen und Straftaten." Die "Neue Rechte" versuche durch eine vordergründige Distanzierung von nazistischen Positionen, rechtsradikale Positionen wieder salonfähig zu machen. "Der Runde Tisch wünscht sich eine Gesellschaft, in der man ohne Angst anders sein kann."
Immer wieder gibt es begeisterten Applaus. Der Asylchor Bergkirchen, zu dem Einheimische und Asylsuchende gehören, singt "We are the world, we are the children". Vier Beamte der Polizeiinspektion Dachau beobachten das Treiben mit ein paar Metern Abstand. Mit Ausschreitungen rechneten sie nicht, sagt einer, aber später finde schließlich eine Veranstaltung der AfD statt, da schaue man einfach.
Vor dem Eingang zum Ludwig-Thoma-Haus wirkt die Lage bedrohlicher. Das liegt vor allem an den grimmig dreinblickenden Polizeibeamten, die dort in einer langen Reihe stehen. Fünf von der PI sind dabei, und sogar zwölf vom Bevölkerungsschutz. Etwa 50 junge Menschen sitzen zu ihren Füßen. Jedes Mal, wenn jemand sich durch ihre Reihen hindurch den Weg ins Thomahaus bahnt, rufen sie in Sprechchören. "Nationalismus raus aus den Köpfen", oder "Say it loud, say it clear, refugees are welcome here". Die Lage sei ruhig, sagt Polizeihauptkommissar Björn Scheid. Kurz vorher, noch bevor Besucher das Thomahaus betreten wollten, hätten die jungen Demonstranten versucht, den Weg komplett zu blockieren. Die Polizeibeamten hätten die Menge geteilt und einen Zugang frei gemacht, sagt Scheid. Gewalttätig sei dabei niemand geworden.
Nur wenig mehr Menschen als jene, die vor dem Thomahaus sitzen, hören kurz darauf, wie der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau zum Rundumschlag ausholt. Gegen die Bundeskanzlerin, gegen die Europäische Union, gegen "die Massenmedien". Gewaltenteilung habe es in der Bundesrepublik nie wirklich gegeben, behauptet er, und bedient die von AfD-Politikern gern vorgebrachte Verschwörungstheorie, Deutschland werde von elitären Netzwerken dominiert, in denen Parlamentarier, "durch Stiftungen finanzierte Berufsaktivisten" und Journalisten zusammengeführt würden. Vosgerau ist Wissenschaftler, er hat laut seiner Webseite eine Lehrbefugnis für die Fächer Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Allgemeine Staatslehre und Rechtsphilosophie. Im Thoma-Haus präsentiert er sich als seriöser Vertreter seiner Disziplin. Artikel 16a des Grundgesetzes, in dem das Recht auf Asyl formuliert ist, müsse abgeschafft werden, fordert er seit geraumer Zeit in Gastbeiträgen.
"Das Mittelmeer zu machen"
Je länger sein Vortrag dauert, desto deutlicher wird, wie gerne er sich selbst vor den Karren der AfD spannt - und dass seine Agenda weit über den eigentlichen Kern seines Vortrags hinaus geht. Im Gespräch mit den Zuhörern sagt er Sätze, die genau so von einem Vertreter der Partei stammen könnten. Um zu verhindern, dass Flüchtlinge aus Afrika kommen, müsse man "das Mittelmeer zu machen", sagt er und zieht sogar einen Vergleich zum Ersten Weltkrieg. Niemand habe das Recht, in einem fremden Land eingebürgert zu werden, sagt er an anderer Stelle, deshalb könne Japan seine "nationale Homogenität" erhalten und "Australier dürfen die Leute auf fernen Inseln internieren". Lasse man Flüchtlinge erst ins Land, "habe man alle Menschenrechte am Hals." Er behauptet, Flüchtlinge würden systematisch ihre Pässe vernichten, um der Abschiebung zu entkommen. Und er warnt vor Millionen junger Afrikaner, die in den kommenden Jahren nach Europa kommen könnten: "Wir haben Afrika im Nacken." Vom Staatsrecht und dem ursprünglichen Thema seines Vortrags hat er sich da längst gelöst. Was Vosgerau im Thoma-Haus abliefert, ist reinste AfD-Rhetorik.
Den etwa 60 Zuhörern gefällt, was er sagt. Die meisten sind Männer, nur einer stellt sich als Karlsfelder vor, die anderen kommen aus Freising, Fürstenfeldbruck oder vom AfD-Kreisverband München-West. Es sind weniger als im vergangenen Herbst, als die AfD Dachau-Fürstenfeldbruck den Islamkritiker Hamed Abdel-Samad eingeladen hatte. Der Zuspruch zur AfD hält sich im Landkreis Dachau in Grenzen. Die aber, die da waren, wurden von Vosgerau in ihren Vorurteilen bestätigt.