Dachau:Im Dienst am Nächsten

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1946 macht sich Margarete Franzen als erste Fürsorgerin der Caritas zu Fuß auf den Weg zu hilfsbedürftigen Menschen. Heute ist der Dachauer Wohlfahrtsverband ein modernes Kompetenzzentrum

Von Petra Schafflik, Dachau

Wenn Margarete Franzen mit ihrem schweren Rucksack vor der Tür stand, war die Freude stets groß. Lebensmittel, Kleidung und Decken verteilte die patente Frau, die sich als erste Fürsorgerin der Caritas von 1946 an in Stadt und Landkreis um Hilfebedürftige kümmerte. Die Krypta unter der Pfarrkirche Sankt Jakob in der Dachauer Altstadt fungierte als Caritas-Zentrale, von dort aus transportierte Franzen die Spenden zu Fuß zu den Familien. Die Not war groß: Allein 12 000 Vertriebene und Flüchtlinge lebten damals in Durchgangslagern und Notunterkünften. Die Caritas-Fürsorgerin war den Menschen ein Lichtblick, "die Hausbesuche machten den Familien immer Freude", notierte Franzen in einem ihrer ersten Monatsberichte. Aus dem Dienst von Margarete Franzen, wie ihn die Chronik schildert, hat sich über die Jahre das Dachauer Caritas-Zentrum entwickelt. Diese Einrichtung, die jetzt ihr 70-jähriges Bestehen feiert, präsentiert sich als soziale Anlaufstelle mit spezialisierten Fachangeboten, 300 qualifizierten Mitarbeitern und ebenso vielen engagierten ehrenamtlichen Helfern. Gleich geblieben ist seit den Anfängen das Ziel, dem Nächsten ganz individuell zu helfen.

Hermann Koeniger baute die Werkstatt für Behinderte auf. (Foto: Orthen)

Nöte, Krisen und Sorgen der Landkreisbürger haben sich verändert, die Caritas hat ihr Angebot stets den sich wandelnden Bedürfnissen angepasst. Bereits 1946 wurde soziale Beratung angeboten, die sich aus Spenden finanzierte. Die Caritas-Fürsorgerin unterstützte die Bürger bei Rentenanträgen und der Familienzusammenführung in den Nachkriegsjahren. Als von 1962 an Fritz Koeniger die Leitung der Dachauer Caritas übernahm, geriet die Situation von Familien mit behinderten Kindern in den Blick. "Viele Eltern, die ihr Kind nicht in ein Heim geben wollten, fragten nach Möglichkeiten der Förderung", erinnert sich Koeniger. Doch offene Einrichtungen für Mädchen und Buben mit Handicap gab es im Landkreis damals nicht. Und Angebote in München waren wegen der komplizierten Anfahrt für die meisten unerreichbar. "Vom Dachauer Bahnhof mit dem Zug, dann ein Stück mit der Trambahn und weiter noch zu Fuß, das konnten die wenigsten Mütter mit ihren Kindern leisten." Ein Fahrdienst musste her. Mit einem geliehenen Bus und Freiwilligendienstleistenden als Fahrern fing es an, 1970 wurde mit Spendengeldern ein eigener Bus gekauft. "110 Kinder haben wir in die verschiedensten Einrichtungen gefahren", erinnert sich Koeniger.

In Dachau entstand die erste Kurzzeitpflege Deutschlands

Dann setzte ein Umdenken ein, offene Behindertenangebote wurden im Landkreis initiiert. Auch die Caritas engagierte sich mit einer Heilpädagogischen Tagesstätte und der Werkstatt für Behinderte, die Koenigers Bruder Hermann aufgebaut hat. Neben vielen individuellen Notlagen beschäftigte bald ein neues Thema den gelernten Sozialarbeiter Koeniger: Als sich die Ordensschwestern in den Gemeinden aus der ambulanten Krankenpflege zurückzogen, tat sich eine Lücke auf. Also gründete die Caritas eine Sozialstation, die ambulante Pflegekräfte vermittelte. Aus dem Bedarf der Menschen heraus entstand auch die erste Kurzzeitpflege Deutschlands. Die wurde von 1984 an im Pfarrheim Mariä Himmelfahrt immer in den Sommerferien installiert, um pflegende Angehörige wenigstens für einige Wochen im Jahr zu entlasten. Koeniger legte mit seinem Bruder Hermann selbst Hand an, um den Gemeindesaal mit mobilen Wänden in ein Pflegeheim zu verwandeln, Fachkräfte und ehrenamtliche Helferinnen betreuten die Pflegebedürftigen mit viel Engagement. Ein enormer Aufwand, aber auch eine wichtige Entlastung der Familien. "Das war eine gute Aktion und die Initialzündung für die Kurzzeitpflege, die heute Kassenleistung ist."

Später wurde für Menschen mit psychischen Belastungen ein Angebot aufgebaut. Mit der Beratungsstelle für psychische Gesundheit, zu der eine Tagesstätte und spezielle Arbeitsplätze dazu kamen. Auch Koenigers Nachfolger - Rosemarie Wechsler und Axel Hannemann - folgten stets dem Prinzip, dass die Caritas den gesellschaftlichen Wandel aufnimmt, Bedürfnisse der Menschen erkennt und bedarfsgerechte Unterstützung bietet. Unter diesem Leitspruch steht auch weiterhin die Arbeit des Sozialverbands. "Wir möchten die Lebenssituation aller von Armut betroffenen Menschen im Landkreis nachhaltig verbessern helfen", sagt Heidi Scheitl, die im August als neue Kreisgeschäftsführerin die Leitung des Dachauer Caritas-Zentrums übernommen hat. Herausforderungen und Chancen erkennt sie im Bereich Asyl und Migration. Darüber hinaus möchte Scheitl den Bereich Kindertageseinrichtungen ausbauen, "weil hier ein hoher Bedarf besteht". Auch für Ältere sollen passgenaue Projekte entwickelt und bereitgehalten werden. "Dafür möchten wir zum Beispiel unsere Angebote für Menschen mit Demenz ausbauen."

Zunächst wird jetzt aber gefeiert. Auch das Jubiläumsfest widmet sich dem Wandel der Aufgaben über die Zeit: "Not sehen und handeln" - unter diesem Motto wird beim Festakt am Montag, 24. Oktober, von 18 Uhr an im Pfarrsaal von Sankt Jakob, eine Podiumsdiskussion aller ehemaligen und aktuellen Geschäftsführer stehen.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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