KZ-Gedenkstätte Dachau:Gegen das Vergessen des Grauens

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Hedi Bäuml präsentiert die Vita des ehemaligen Häftlings Johann Baptist Hugl und zündet anschließend eine Kerze an. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Acht Biographien sind in das Gedächtnisbuch für die Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau aufgenommen worden, darunter sind ein Fußballtrainer des späteren FC Bayern, ein polnischer Wanderfriseur und ein Priester, der vom Papst selig gesprochen wurde. Ehrenamtliche stellen deren Lebensgeschichten vor.

Von Martin Wollenhaupt, Dachau

Ein Fußballtrainer, ein Religionslehrer und der polnische Schutzpatron der Pfadfinder. Es sind unterschiedliche Biografien, die doch eines vereint: Diese Menschen wurden alle zum selben Ort verschleppt. Sie alle waren inhaftiert im Konzentrationslager Dachau. Eine Lebensstation, bei der - auch das ist allen gemein - ihr Name aus der Geschichte getilgt werden und ihnen die Individualität geraubt werden sollte, unwiederbringlich. Eine Nummer bekamen sie, die den Namen ersetzen sollte, eine Nummer nur, die zu einem Körper machen sollte, was ein Mensch ist.

"Namen statt Nummern" heißt die Veranstaltung, mit der sich der "Trägerkreis Gedächtnisbuch" gegen das Ausradieren der Individualität wehrt - seit 1999, jedes Jahr aufs Neue, am Tag der Errichtung des Konzentrationslagers Dachau am 22. März, auch in diesem Jahr. Bei der Veranstaltung werden die Biografien ehemaliger Häftlinge vorgestellt, zur Erinnerung an die Lebensgeschichten der Opfer. Weil es das Grauen nicht gibt, ohne die Menschen, die es erleiden. 90 Jahre ist es an diesem Mittwoch her, seit die ersten Menschen in das KZ verschleppt wurden.

Ein Gedächtnisbuch soll an diese Menschen erinnern, um acht Biografien wird es dieses Jahr ergänzt. Jahr für Jahr wird es dicker, durch Ehrenamtliche, die auf Spurensuche gehen, ein Puzzleteil ans andere fügen, ein ganzes Leben rekonstruieren. Die acht Lebensgeschichten sind diejenigen polnischer und deutscher Häftlinge. Wer sie sind, davon erzählen Ehrenamtliche am Mittwoch in der Klosterkirche Karmel Heilig Blut neben der KZ-Gedenkstätte.

Mitglieder hatten schriftlich zu bestätigen, dass sie "arischer Herkunft" seien

Zu den ehemaligen Häftlingen, die an diesem Abend vorgestellt werden, gehört Otto Beer. Er war Jugendfunktionär des Münchner Sportclubs, der später der FC Bayern werden sollte. Dort baute er eine Fußball-Schülermannschaft auf. 1935 führte der FC Bayern einen sogenannten "Arierparagrafen" ein. Die Mitglieder hatten schriftlich zu bestätigen, dass sie "arischer Herkunft" seien. Beer hatte jüdische Wurzeln, er wurde aus dem Verein ausgeschlossen. 1938 wurde er in das KZ Dachau verschleppt, wo er Kurt Landauer traf, mit dem er in Block 8 untergebracht war. Beer wurde am 25.11.1941 in Kaunas ermordet.

Johann Baptist Hugl war Schreinergehilfe und Graphologe, im KZ wurde er Arbeitszwangs-Häftling. Zum Kriegsende, an seinem Geburtstag, wurde er befreit. Danach heiratete er seine Frau 1947 ein zweites Mal. Dem israelitischen Religionslehrer Leo Kahn blieb es verwehrt, seine Liebe ein zweites Mal zu bestätigen. Zusammen mit seiner Frau Mina und der achtjährigen Tochter Hannelore wurde er am 24. März 1942 im Ghetto Izbica ermordet.

Gitarre und Gesang von Kathrin Krückl und Marcus Steinlechner erfüllten die vollbesetzte Kirche. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Rechercheergebnisse zur Lebensgeschichte von Karl Frey trägt eine Schülergruppe der Johann-Turmair-Realschule Abensberg vor: Karl Frey, Kaufmann, Leichtathlet und Kommunist, flüchtet aus dem Außenlager der Gestapo München und tritt danach in Kriegsverbrecherprozessen auf.

Von Teodor Makieła erzählen sein Sohn und sein Enkelsohn, die an diesem Abend nach Dachau gekommen sind. Makieła war Besitzer eines Friseursalons und später Betreiber eines Pressekiosks. Er überlebte, ebenso Wacław Fogler. Er war polnischer Wanderfriseur, Soldat und musste im KZ Dachau als Lagerfriseur arbeiten.

Er sorgte sich um die Kranken - das sollte sein Todesurteil sein

Franciszek Przybylski, Waisenkind und später polnischer Arbeiter, in Dachau besser bekannt als Franz Brückl, blieb nach seiner Befreiung in München und unterstützte die Erinnerungsarbeit als Zeitzeuge. Stefan Wincenty Frelichowski wurde von seinen Freunden "der Spaßvogel" genannt, sein Optimismus soll ansteckend gewesen sein. Er war Pfadfindergruppenleiter und -seelsorger und wurde 1937 zum Priester geweiht. Nach seiner Inhaftierung nahm er in den Konzentrationslagern Stutthof, Sachsenhausen und Dachau Beichten ab, hielt die Heilige Messe ab und half Mitgefangenen - entgegen der Lagervorschriften. Als unter den Häftlingen Typhus ausbrach, sorgte er sich um die Kranken. Das sollte sein Todesurteil sein. Er steckte sich an und starb mit 32 Jahren, nur wenige Wochen vor der Befreiung des Lagers. 1999 wurde er von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen. Seit 2003 ist er Schutzpatron der polnischen Pfadfinder.

Gitarre und Gesang von Kathrin Krückl und Marcus Steinlechner erfüllen die vollbesetzte Kirche, Kerzen werden angezündet, Opfer für Opfer, Docht für Docht. Sie flackern, werfen ihr Licht auf Bilder, aus denen Gesichter schauen, denen man einst nicht mehr zudachte, Licht zu sehen.

In den Bänken sitzen eine Schülergruppe, der Enkel eines ehemaligen Häftlings, ein Bayern-Fan - sie alle wehren sich gegen das Vergessen. Gegen das Vergessen von Menschen, die sich Zeit und Ort teilten, teilen mussten. Gegen das Vergessen von Wacław Fogler, Johann Baptist Hugl, Karl Frey, Stefan Wincenty Frelichowski, Teodor Makieła, Leo Kahn, Franz Brückl und Otto Beer.

Die Gedächtnisblätter sind über die Homepage des Gedächtnisbuchprojektes zugänglich und liegen im Gesprächsraum der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte zur Einsicht aus.

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