Holocaust-Gedenkkonzert:Feuer des Lebens

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Das Holocaust-Gedenkkonzert von Jürgen Rothaug in der ehemaligen MD-Papierfabrik.

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Zwei "Holocaust-Gedenkkonzerte" unter der Schirmherrschaft des KZ-Überlebenden Max Mannheimer veranstaltete der Dirigent und Musikpädagoge Jürgen Rothaug in der ehemaligen MD Papierfabrik in Dachau. Die Besucher der beiden Konzerte erlebten einen - musikalisch betrachtet - überwiegend freudigen Abend von sehr erfreulicher Qualität der Interpretationen. Ideengeber Jürgen Rothaug ging es am vergangenen Samstag und Sonntag nicht um einen künstlerischen Ausdruck des Holocausts und damit um den Leitspruch des "Nie Wieder!". Seine künstlerische Intention richtete sich vielmehr auf die Zeit nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern. Im Zentrum standen die Gefühle, die durch die Befreiung der NS-Opfer und deren Zeit danach angeblich entstanden sind. "Rage to live" - frei übersetzt "Feuer des Lebens" - war das Motto: Der Untertitel "Peace - Hope - Joy" markierte die inszenatorische Gliederung des Konzertabends.

Peace und Hope

Der Friede (peace) war nach dem Holocaust anscheinend das kleinste Thema. Hier diente der Chorsatz "Da pacem Domine" von Arvo Pärt als musikalisch ziemlich statische, dadurch aber ungemein feierlich wirkende Eröffnung eines musikalisch sehr anspruchsvollen Konzerts. Man wandte sich der Hoffnung (hope) zu und blieb bei geistlicher Musik. Viel Mendelssohn war an diesem Abend zu hören, Ausschnitte seiner Vertonung des 42. Psalms bis zum bekannten Terzett der Engel "Hebe deine Augen auf" aus seinem Oratorium "Elias". Rothaug hatte dafür ausgezeichnete Sängerinnen mit wahren Engelsstimmen gewonnen: Carina Ellerhoff, Annette Thomas und Irmi Fröch. Insgesamt sangen und musizierten alle Solisten und Ensembles auf hohem Niveau, angefangen von Rothaugs Chorensemble Cantori und dem Orchester Young People Dachau bis zu T he Fanatics und Gymnasiastinnen aus Indersdorf mit sehr reinen, klaren Mädchenstimmen.

Besonders hervorzuheben sind eine Sinti-Band aus München mit Akkordeon und drei auch solistisch eingesetzten Gitarren, die im zweiten Teil ihren großen Auftritt hatte. Außerdem der junge Pianist Stefan Gröschner aus Dachau, der stellenweise ein ganzes Orchester ersetzte, und nicht zuletzt die Tochter von Carina Ellerhoff, die ihre Mutter erstaunlich sicher auf der Harfe begleitete. Der bevorzugte Einsatz von Musik Mendelssohns war historisch berechtigt. Denn gerade zur Zeit unmittelbar nach dem Holocaust wurde sehr viel Mendelssohn musiziert, der bekanntlich während der Nazi-Herrschaft als jüdischer Musiker verpönt war. Die Aufführungen seiner Werke war im Nationalsozialismus verboten. Der damalige Nachholbedarf spiegelte sich auch in Jürgen Rothaugs Konzert wieder.

Joy

Nach der Pause waren Text und Musik der Freude gewidmet. Die christliche Kirchenmusik kennt keinen freudigeren Gesang als das "Magnificat". Seit vielen Jahrhunderten wird es freudig und festlich vertont. Jürgen Rothaug hat einen Chorsatz aus dem 2005 geschriebenen "Magnificat" von John Rutter gewählt. Dieser amerikanische Komponist hat eine musikalische Sprache gefunden, die verständlich ist, unmittelbar anspricht und die "Magnificat"-Freude in unserer Zeit vielleicht am besten ausdrückt. Noch deutlicher wurde diese Direktheit bei den Sätzen "O be joyful" und "O clap your hands" aus John Rutters "Psalmfest".

"Rage to live"

Jürgen Rothaug hat das Lied "Rage to live" komponiert. Die Werke zuvor intonierten das erstaunlichste Stück dieses Konzerts. Lied und Text reichen in die Nachkriegsgeschichte des Landkreises und des Klosters Indersdorf zurück. Denn damals betreute die Jüdin Greta Fischer bis ins Jahr 1949 Kinder und Jugendliche im Kloster, die den NS-Terror überlebt hatten. Die US-Amerikanerin sprach vom "Rage to live" als Ausdruck deren Lebensmuts. Die Historikerin und Anglistin Anna Andlauer hat diese Geschichte in einer Ausstellung aufgearbeitet, die kürzlich bei UNO in New York zu sehen war.

Von Andlauer stammt auch der Liedtext mit dem Refrain, der einer Aufforderung der jungen NS-Überlebenden an ihre Mitmenschen darstellen soll: "Look in our eyes, tell me what you see." Die Antwort: "Visions of the world - in peace." An der deutschen Erstaufführung in Dachau als Herzstück des Holocaust- Gedenkkonzerts beteiligten sich alle Ensembles und Solisten. Indem Rothaug sein Lied durch Musik von John Rutter einrahmte, betonte er die künstlerische Nähe zu dem Komponisten. Diese Vorgehensweise spricht für seine Qualität, und sie begründete letztlich den Erfolg seines Lieds. "This is my song" nach Musik aus der Suite "Finlandia" von Jean Sibelius war der schließlich beeindruckende Schlussgesang eines Abends, den man nicht mehr als Gedenkkonzert wahrnehmen konnte.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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