SZ-Serie: "Dachau entdecken":Marmor, Stein und Eisen spricht

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Bildhauerin Gertrude Oehm-Rudert hat den Trachtenfabrikanten Wallach ein Denkmal gesetzt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei einem Rundgang von der Altstadt zur Unteren Stadt kommt man an zahlreichen Orten vorbei, die viel von der Kunst- und Zeitgeschichte Dachaus erzählen können. Am besten macht man die Tour mit einer fachkundigen Gästeführerin wie Karin Schwenke.

Von Andreas Förster, Dachau

Hinter vielen Straßennamen steht eine ganze Lebensgeschichte. So gibt es in Dachau Süd sechs Straßennamen, die nach den Widerstandskämpfern benannt sind, die beim Dachauer Aufstand kurz vor Kriegsende getötet wurden. Eine dramatische Lebensgeschichte verbirgt sich auch hinter dem "Wallachweg". Dieser Namensgebung liegt eine hochspannende Dachauer Familiengeschichte zugrunde, die nach der Machtergreifung der Nazis allerdings eine schreckliche Wendung erfuhr.

Max Wallach leitete von 1920 bis 1938 das von ihm und seinen Brüdern Julius und Moritz gegründete Wallach-Werk, eine Stofffabrik in der Oskar-von-Miller-Straße, Ecke Hermann-Stockmann-Straße. Als Juden traf sie der Nazi-Terror mit voller Wucht: Ihr Besitz wurde enteignet, Max und seine Frau starben 1944 im KZ Auschwitz. An der Stelle der Fabrik steht heute die Wohnanlage Wallachpark. Um die Ecke, in der Oskar-von-Miller-Straße 1, erinnern zwei Stolpersteine an das Schicksal von Max und Melly Wallach.

Stolpersteine in der Stockmann-Straße 10 erinnern an jüdische Dachauer Bürger, die von den Nazis deportiert wurden. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Gästeführerin Karin Schwenke präsentiert ein typisches Wallach-Stoffmuster. (Foto: Andreas Förster)

Vor der Wohnanlage erinnert die Bronzeskulptur "Trachtenpaar", 1985 von Gertrude Oehm-Rudert gefertigt, an das Stoffwerk, das die Familie Wallach in Dachau betrieben hat. Allerdings wissen nur wenige, dass der Siegeszug des Münchner Dirndls dieser aus Westfalen stammenden Tuchmacherfamilie zu verdanken ist, die um 1900 nach München umgesiedelt war.

Anfang des vergangenen Jahrhunderts lieferten die Wallach-Brüder von der Residenzstraße in München aus ihre in Dachau handgenähten Trachten an die Höfe in Europa. Noch bis in die 1980er Jahre wurden in den Dachauer Wallachwerken - nach dem Krieg erstritt Moritz Wallach sein Eigentum zurück - Textilien gewebt und von Hand bedruckt. "Meine Oma hat noch diese Stoffe", wirft eine Besucherin ein, als Karin Schwenke einige Muster herumzeigt.

Die Geschichte der Familie Wallach ist Teil der Führung "Von unten nach oben - Orte und Plätze der Kunst- und Zeitgeschichte auf dem Weg von Dachau-Süd in die Altstadt". Besagter Weg führt - insgesamt etwa zwei Kilometer lang - über die Stockmann-Straße mit ihren Künstlervillen sowie entlang der Münchner Straße, der sogenannten Unteren Stadt, und den Karlsberg hoch bis vor die Gemäldegalerie, an deren Fassade die Namen der sechs getöteten Widerstandskämpfer auf einer Gedenktafel eingraviert sind.

In der Stockmann-Straße stehen noch heute viele der alten Künstlerhäuser. (Foto: Niels P. Jørgensen)

In der Stockmann-Straße geht es vorbei am Künstlerhaus von Carl Thiemann (1881-1966) mit seinem großen, schattigen Garten. Das Haus werde gelegentlich mit Goethes Gartenhaus in Weimar verglichen, sagt Karin Schwenke, weil es aufgrund der Anfang der 20er Jahre herrschenden Materialnot kleiner ausfallen musste als geplant. 1954 ging es an die Stadt Dachau. Heute lebt und arbeitet darin die Künstlerin Ulla M. Scholl, Tochter der Bildhauerin Ulla Scholl (1919-2011). Auch die Künstlervillen von Hugo Hatzler, August Pfalz, Georg Jauss und Max von Seydewitz liegen in der Stockmann-Straße.

Die Stolpersteine vor der Hausnummer 10 tragen die Namen von Hans und Vera Neumeyer sowie Julius Kohn. Drei Juden von insgesamt 16, die damals in Dachauer Stadtgebiet wohnten. Hans Neumeyer gab als früh erblindeter Mann bis zuletzt im Ghetto in Theresienstadt Musikunterricht. Die Stockmann-Straße war seine letzte offizielle Wohnadresse. Zuvor hieß sie Hindenburg-Straße, verrät Schwenke. Nach Kriegsende, 1946, wurde sie umbenannt.

Mittlerweile ist bekannt, dass der Namensgeber, Museumsgründer Hermann Stockmann, gewissermaßen an der Vertreibung der Familie Neumeyer beteiligt war - als Gutachter für ihr geraubtes Hab und Gut. Auch das unterschlägt Karin Schwenke bei ihrer Führung nicht.

Städteverschönerung der 50er- und 60er-Jahre

Die nächste Station ist die Münchner Straße, in der gleich an mehreren Häuser künstlerisch gestaltete Fassaden zu entdecken sind. Die Reliefs und Sgraffitos sind optisch durchaus interessant, doch die meisten Passanten konzentrieren sich auf den Einkauf und rennen - nicht selten unwissend - daran vorbei.

Dieser Teil der Führung ist dem Thema "Kunst am Bau" gewidmet. Laut Schwenke legte die Kunst-am-Bau-Regelung in den 1950er und 60er-Jahren öffentlichen Bauträgern nahe, vor allem ortsansässige Künstler und Kunsthandwerker mit der Fassaden- oder Innenraumgestaltung zu beauftragen. "In Dachau waren es vor allem Richard Huber und Wilhelm Dieninghoff, die den Stadtraum mitgestalteten", sagt Schwenke.

Dieser Teil der Tour beginnt mit der Sparkasse in der Münchner Straße 41, über deren Eingang seit 1954 das mächtige Relief "Werkegerechtigkeit" von Erich Grund angebracht ist. Es ist ein Begriff aus der reformatorischen Theologie, wonach der Einzelne vor Gott "gerechtfertigt" ist, wenn er gute Werke tut.

Die Fassade an der Volksbank in der Münchner Straße hat Richard Huber gestaltet. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Hier muss man genau hinschauen: der Heimatdichter Ludwig Thoma in einer Kutsche an der Wand über dem Lampenladen "Lichtquelle". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Schräg gegenüber, an der Fassade der Metzgerei Vinzenzmurr, befinden sich der "Fries mit Tierherden, Metzger und Dachauer Stadtwappen" von Erich Horndasch und R. Waidmann aus dem Jahr 1960, sowie an der dem Bahnhof zugewandten Seite das Natursteinmosaik "Metzger mit Schlachtschüssel und Kuh" von Wilhelm Dieninghoff aus dem Jahr 1950. Das Sgraffito-(Wandbild-)Dekor des Fenstererkers mit Dachauer Paar stammt von Herbert Felix Plahl und ist aus dem Jahr 1972. Alle wurden ursprünglich für Willibald Schöpf angefertigt, der hier jahrzehntelang seine Metzgerei betrieb. Von Plahl befindet sich am Dachauer Forum, dem ehemaligen Samenhaus Mühle in der Ludwig-Ganghofer-Straße 4, auch das attraktive Sgraffito "Blumen" auf Höhe der Fenster im Obergeschoss.

Mosaik über dem Vinzenzmurr in der Münchner Straße. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Dekor im Hundertwasser-Stil an der Bäckerei Denk mit Gockelfigur von Heinz Eder. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ein weiteres Beispiel eines für die 60er Jahre typischen Mosaiks befindet sich an der Fassade des Lampengeschäfts "Licht Quelle". Es zeigt Ludwig Thoma in Dachau 1894. Darunter ist eine bronzene Erinnerungstafel angebracht. Von Richard Huber findet sich an der Fassade der Volks- und Raiffeisenbank in der Münchner Straße 14 das Sgraffito "Merkur" vorne zur Straße und seitlich ein zweites, das darauf hinweist, dass sich an dieser Stelle einst das Gasthaus "Münchner Hof" befand. Ein weiteres besonders gestaltetes Gebäude ist das Hundertwasser-Haus des früheren Stadtrats und Backstubenbetreibers Peter Denk in der Münchner Straße 11, das 2013 im Geiste des Wiener Künstlers und Architekten Friedensreich Hundertwasser entstanden ist.

Weiter geht es zum Moorbad Dachau, einem ehemaligen Sanatorium für die bessere Gesellschaft, in dem sich seit 2008 eine private Wirtschaftsschule befindet, dann über die Amperbrücke und dort vorbei an der aus Muschelkalk gefertigten "Christophorus"-Skulptur von Walter von Ruckteschell bis zur Gedenktafel an der Gemäldegalerie. Dort schließt sich der Kreis.

In der Serie "Dachau entdecken" stellt die SZ Dachau Themen und Geschichten vor, die die Gästeführerinnen auf ihren Rundgängen durch die Stadt behandeln.

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