Flüchtlingsunterkunft:"Die ganz große Mehrheit der Bewohner ist sehr friedlich"

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Thomas Edelmann sitzt mit Flüchtlingen auf dem Sofa und erkundigt sich nach deren Befinden. (Foto: Toni Heigl)

Als "Kontaktbeamter Asyl" vermittelt Thomas Edelmann bei Problemen in Flüchtlingsunterkünften. Was er dabei erlebt und wie er die Stimmung in der Bevölkerung wahrnimmt.

Porträt von Sebastian Jannasch

Thomas Edelmann ist hier kein Unbekannter. Schon kurz nachdem der 31-jährige Polizist die Luftschleuse der Bergkirchener Traglufthalle passiert hat, ist er von einer Handvoll Bewohnern umringt, die ihn per Handschlag begrüßen. "Everything alright?" Ob alles in Ordnung sei, will der Beamte von den Asylbewerbern wissen. Ja, sagt ein Afghane, alles sei okay. Die neue Unterbringung in der Halle finde er gut. Er verstehe nur nicht, wann der Bus in die Stadt fährt.

Streng genommen fällt das zwar nicht in seinen Zuständigkeitsbereich, aber auch dabei hilft Polizist Thomas Edelmann weiter. Als "Kontaktbeamter Asyl" der Dachauer Polizeiinspektion hat er den Auftrag, sich ständig in den Asylunterkünften des Landkreises umzuhören, Probleme zu erkennen und Konfliktherde möglichst früh zu beruhigen.

"Ich sehe mich als Vermittler und rede mit allen Beteiligten, vor allem den Flüchtlingen, den Helfern, den Kümmerern des Landratsamtes und den Sicherheitsdiensten", sagt der Polizist. Edelmann soll Ansprechpartner für die Sicherheit sein, nicht erst dann, wenn schon etwas passiert ist.

Thomas Edelmann, sportlich, blonde kurze Haare, blauer Kapuzenpulli, ist von der Sachbearbeitung weitgehend freigestellt. Er hat die Uniform ausgezogen, besucht in ziviler Kleidung die Unterkünfte, schreibt Berichte und hält so die Dienststelle kontinuierlich über die Sicherheitslage auf dem Laufenden.

Er ist ein Seismograf für die Stimmung in den Unterkünften und soll als Frühwarnsystem fungieren. "Wenn ich bei einem Besuch den Eindruck habe, dass Spannungen schwelen, sage ich dem Schichtleiter Bescheid", sagt er. Dann sind die Kollegen gewarnt und können später eine Streife zur Kontrolle vorbeischicken.

Früher war er für Fahraddiebstähle zuständig

Während Edelmann beim Besuch in der Bergkirchener Traglufthalle seine Runde dreht, bleibt er immer mal wieder für ein kurzes Gespräch stehen, lässt sich von den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes über die vergangene Nacht informieren, spricht mit dem Caterer und Brandschutzbeauftragten.

Viele Bewohner nutzen das schöne Wetter an diesem Tag, um sich außerhalb des gedrungenen Kuppelbaus die Beine zu vertreten. Ein paar fläzen auf Sofas, alle haben ein Handy in der Hand, es ist die einzige Verbindung in die Heimat, ihre Verbindung nach draußen. Das Mittagessen wird gebracht. Es gibt Lamm mit Aprikosensoße und Reis. Ein Lieblingsgericht der Bewohner.

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Im Aufenthaltsbereich sitzt eine kleine Gruppe von Afghanen. Ob sie bald in eine kleinere Unterkunft kommen, fragt ein 18-jähriger Afghane in gebrochenem Englisch. Thomas Edelmann muss beschwichtigen und erklärt, dass das nicht so schnell gehen wird, weil "the government" mit dem Bauen von Wohnungen nicht hinterherkommt. Sie verstehen das. Ihnen die ganze Wahrheit zu sagen, dass sie wohl viele Monate in der Massenunterkunft bleiben müssen, bringt Edelmann nicht übers Herz.

Seit 14 Jahren ist er bei der Polizei, zuletzt war er für die Bearbeitung der Fahrraddiebstähle verantwortlich. Keine sehr dankbare Aufgabe, denn die Aufklärungsquote ist gering. Sisyphusarbeit ist er also gewohnt. Auch in seiner neuen Funktion als Kontaktbeamter Asyl braucht er Geduld, denn schnelle Erfolge gibt es selten. "Bei vielen Angelegenheiten kann ich natürlich nicht weiterhelfen, etwa wenn es um kleinere Unterkünfte oder eine Arbeit geht."

Aber einen anderen Wunsch der Gruppe will er an den Helferkreis weitergeben: Sie wollen Sport treiben, ein Boxsack wäre toll, sagt ein junger Asylbewerber. "Fußball", sagt ein anderer auf Deutsch. Das versteht Edelmann sehr gut, er selbst ist Stürmer beim SV Sulzemoos.

Den Asylbewerbern fehlt es vor allem an einem: Beschäftigung. Das ist auch relevant für den Polizisten. Denn nur essen und schlafen, das ist auf Dauer frustrierend. Arbeiten dürfen viele nicht. In den nächsten Tagen wird die Traglufthalle weiter belegt: Es wird enger, voller, lauter.

"Wenn 300 Personen dauerhaft auf einem Fleck zusammenleben, stauen sich Spannungen an." Reibereien sind absehbar. "Da hört jemand zu laut Musik oder telefoniert mitten in der Nacht und schon kann unter diesen Bedingungen ein Streit entstehen", sagt Edelmann. Auch Alkohol spielt häufig eine Rolle, wenn Konflikte aus dem Ruder laufen.

In diesen Situationen zahlt sich das vertraute Verhältnis zu den Asylbewerbern aus. "Sie erzählen mir sehr offen, wie es zu einem Streit kam und wer Ärger gemacht hat", sagt er. Im Gespräch versucht Edelmann, den Unruhestifter zur Besserung zu bewegen. "Die ganz große Mehrheit der Bewohner ist sehr friedlich und dankbar, dass sie hier bei uns in Sicherheit sind." Wie überall gebe es aber einige, die Ärger machen und andere dazu anstiften.

Unterkünfte wie die Traglufthalle in Bergkirchen sind teuer, aber man kann viele Asylsuchende unterbringen. Allerdings bleiben die jetzt aus. (Foto: Toni Heigl)

Auch deshalb spricht sich die Polizei dafür aus, in den großen Unterkünften Videoüberwachung einzusetzen. Nicht in den Privatbereichen, aber am Eingang und in den Aufenthaltsbereichen soll die Kamera mitlaufen. "Wir hoffen, damit die Schwelle für Handgreiflichkeiten zu erhöhen", sagt Edelmann.

Eine Auseinandersetzung lasse sich dadurch später besser aufklären. Auch Sicherheitsleute vernimmt Edelmann, wenn sie beteiligt waren. In den Containerunterkünften gebe es dagegen kaum Probleme. "Da kann man auch mal die Tür zumachen und seine Ruhe haben."

Der Polizist hat auch ein Ohr für die Sorgen der Anwohner

Thomas Edelmann glaubt, dass die Konflikte und vereinzelten Schlägereien in den großen Unterkünften Anwohner gegen die Flüchtlinge aufbringen. "Die Stimmung in der Bevölkerung ist zwar nicht gekippt, aber sie hat sich seit vergangenem Sommer verändert", findet er.

Ein Ohr hat er deshalb auch für die Ängste der Anwohner. Nachdem der Polizei immer wieder Gerüchte zugetragen wurden, dass Flüchtlinge aus der Indersdorfer Tennishalle junge Frauen am Bahnhof belästigen sollen, bat sie im Dezember öffentlich um Meldungen.

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Einen Monat lang hat der Fotograf Thomas Dworzak fotografiert, wie Flüchtlinge in ihrer neuen Heimat leben. Er sah, wie den Menschen aus Syrien und Afghanistan viel Hilfsbereitschaft entgegengebracht wurde - aber auch Hass und Gewalt.

Nichts soll unter den Tisch gekehrt werden, aber eben auch nicht aufgebauscht. Doch an den Vorwürfen war offenbar wenig dran. "Wir haben nur sehr vereinzelte Hinweise bekommen, dass Frauen offenbar von Asylbewerbern nach der Handynummer gefragt wurden oder ihnen ein paar Schritte gefolgt wurde", sagt Edelmann.

Er könne verstehen, dass die Frauen sich in dieser Situation unwohl fühlen. Deshalb hat er mit den jungen Männern in der Tennishalle geredet. "Do not touch the girls", fasst die Frauen nicht an und redet auch nicht mit ihnen, wenn sie es nicht wollen, hat er ihnen gesagt. Er denkt, dass sich daran auch fast jeder hält. "Leider reicht es, wenn ein einziger aufdringlich ist, um ein schlechtes Licht auf alle Flüchtlinge zu werfen."

Als Edelmann gefragt wurde, ob er die Aufgabe als Asyl-Streife übernehmen wolle, war er zunächst unsicher. "Jetzt ist es mein Traumjob", sagt er. Selbst dann, wenn der Sicherheitsdienst ihn nach seinem Feierabend bittet, vorbeizukommen, weil es einen Konflikt unter den Bewohnern gibt. Ein ungutes Gefühl habe er nie, wenn er in die Unterkünfte fahre, sagt er.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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