Dachauer Musiksommer:Grossstadtgeflüster vor Kleinstadt-Idylle

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700 begeisterte Menschen erlebten am Samstag die Berliner Band Grossstadtgeflüster beim Dachauer Musiksommer. (Foto: Toni Heigl)

Bei Elektropop feiern 700 Menschen den Dachauer Musiksommer mit der Berliner Band Grossstadtgeflüster. Es wird ein Abend der nickenden Köpfe, geläufigen Texte und ausgelassener Stimmung.

Von Luisa Müller, Dachau

700 Menschen fangen an zu jubeln, als aus dem Off die Stimme von Lead-Sängerin Jen Bender erklingt, noch bevor die Band Grossstadtgeflüster die Bühne betritt. "Auf die Liebe, auf die Freundschaft, auf die Nachbarschaft" beginnt die 43-Jährige zu singen und stimmt einen Song an, der Sätze wie "Ich scheiße auf alles" und "Was ist los mit der Menschheit?" beinhaltet.

Der erste Song "Auf alles" ist sinnbildlich für das, was die Band mit ihrer elektronischen Popmusik verkörpert. Die Texte drehen sich um geistige Freiheit, die eigene Andersartigkeit, aber auch um Liebe und Party. Frontfrau Jen Bender, Keyboarder Raphael Schalz und Schlagzeuger Christian Falk schlagen mit ihren Songs eine Brücke zwischen originellen Texten, großen Gefühlen und hemmungsloser Kritik an der Gesellschaft.

Mit ihrer selbstauferlegten Anti-Haltung begeistern Grossstadtgeflüster seit 20 Jahren tausende Fans. Ganz ohne Drama, aber mit viel Exzentrik. So auch beim Dachauer Musiksommer auf dem Rathausplatz: Als die Band beim ersten Song die Bühne betritt, fliegen die Hände des Publikums augenblicklich in die Luft. Alle wippen im Takt und singen aus voller Kehle mit.

Schon vor Konzertbeginn herrscht ausgelassene Stimmung

Vor der Kulisse der Dachauer Kleinstadt-Idylle steht die Bühne für die Großstädter aus Berlin. In weißer Graffiti-Schrift ist auf schwarzer Leinwand "Grossstadtgeflüster" geschrieben, gegenüber die katholische Kirche St. Jakob. Bereits vor dem Beginn des Konzertes um halb neun ist die Stimmung ausgelassen. Mit Aperol Spritz und Bier sitzen die Besucherinnen und Besucher auf dem Boden, stehen entspannt an den Fressbuden und genießen die warme Sommernacht. Der abgetrennte Bereich auf dem Rathausplatz füllt sich nur gemächlich. Trotz der 700 Feierwütigen würden auch klaustrophobische Menschen genug Platz finden. Grossstadtgeflüster bringen an diesem Abend in Dachau Jung und Alt zusammen, die Kleinsten in der ersten Reihe oder auf den Schultern der Eltern und auch die ältere Generation mischt sich motiviert unter die Menge.

Die Looks sind ebenso bunt, wie die Menschen selbst: Dreadlocks, Netzstrumpfhosen, Biker-Boots, Birkenstocks, schnelle Brillen finden sich im Publikum, ebenso wie Leinen- oder Karo-Hemden und Poloshirts. Waschechte Fans tragen T-Shirts, auf denen Grossstadtgeflüster steht oder Beutel mit dem ikonischen Satz "Ich bin eine Prinzessin, du Ficker" - eine Zeile aus dem Song "Diadem". Einige Fans scheinen aus München zu kommen, wo am Samstagnachmittag der Christopher Street Day stattfand, viele erscheinen mit Regenbogen-Flaggen, bunten Buttons und Glitzer im Gesicht. Dachau ist bunt an diesem Abend.

Auch die kleinsten unter dem Publikum zeigen sich als begeisterte Fans. (Foto: Toni Heigl)
Ausgelassene Stimmung beim Dachauer Musiksommer. (Foto: Toni Heigl)
"Ich habe jetzt jedes Gesicht einmal angeguckt": Sängerin Jen Bender gründete vor 20 Jahren die Band Grossstadtgeflüster. (Foto: Toni Heigl)
Die Stimmung ist ausgelassen auf dem Rathausplatz, viele kennen die Texte Grossstadtgeflüster und Sängerin Jen Bender. (Foto: Toni Heigl)

"Sehr ungewöhnlich hier" ist der erste Satz, den Jen Bender der Menge entgegenbringt. Die Band aus Berlin ist zum ersten Mal in Dachau und offenbar auch zum ersten Mal vor einer derartigen Kulisse. "Wir spielen nicht ständig vor einer Kirche in den Sonnenuntergang", ruft Bender der lachenden Menge entgegen. Später sagt sie "ich habe jetzt jedes Gesicht einmal angeguckt". Ihr Bühnenoutfit ist so unkonventionell, wie die Band selbst. Über einer schwarzen Leggins, trägt sie kurze Nike-Shorts und einen Blazer mit Smileys, Augen und anderen Symbolen. 90 Minuten lang spielen sie 18 ihrer erfolgreichsten Songs. Anders als der Name der Band vermuten lässt, sind die Texte alles, nur nicht geflüstert.

Jen Bender ist das, was man wohl als Rampensau bezeichnen würde. Mal hüpft sie, mal springt sie über die Bühne, nie um einen frechen Spruch verlegen. "Das ist wie ZDF-Fernsehgarten nur viermal so schnell", animiert sie die Menge zum Klatschen. Berliner-Schnauze und viel Herzlichkeit, ihre Bewegungen können als Ausdruckstanz bezeichnet werden. Mal balsamiert sie sich mit der Liebe des Publikums ein oder bewegt sich schlangenartig, lässt die Hüften kreisen, die Arme drehen sich in der Luft. Man merkt schnell, die Band nimmt sich selbst nicht so ernst. Und sie ist vor allem eins: publikumsnah; Immer wieder lässt sie die Kleinsten unter den Besuchern und Besucherinnen in das Mikrofon singen, die sich erstaunlich textsicher zeigen und leiht sich sogar eine Prinzessinnen-Krone aus dem Publikum, als sie das Lied "Diadem" performt.

Konfetti-Kanonen explodieren über den Köpfen

Mehrmals explodieren Konfetti-Kanonen über den Köpfen der Menschen und übergroße Luftballons schweben. Mittendrin wechselt Jen Bender einmal das Kostüm. Für ein Lied wirft sie sich eine orangefarbene Weste über und setzt einen Camouflage-farbigen Hut auf. Als die Band ihr letztes Lied gesungen hat, ertönen aus dem Publikum lautstarke Rufe nach einer Zugabe. Drei weitere Songs spielen Grossstadtgeflüster danach, bevor sie ihr Publikum endgültig verabschieden.

Der Abend endet so, wie er begonnen hat: Laut, ausgelassen und mit fliegenden Händen in der Luft. "Wir haben euch lieb", haucht Jen Bender am Ende in das Mikrofon.

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