Prozess:Chance statt Strafe

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Gericht stellt Verfahren wegen Unterschlagung einer Bankkarte ein

Im Jugendstrafrecht geht es darum, erzieherisch zu wirken - nicht strafend. Der Jugendliche soll so therapiert werden, dass er eine Chance auf ein normales Leben erhält. Und diese bekommt der junge Mann, der sich wegen Diebstahls vor dem Amtsgericht verantworten muss.

Laut Anklage soll er eine Bankkarte gestohlen haben. Heraus kam dies durch einen Zufall: Der 19-Jährige hatte seinen Geldbeutel mit der fremden Karte verloren. Ein Finder gab das Portemonnaie bei der Polizei ab. Und die wunderte sich über die Karte, die als gestohlen gemeldet war. Der Besitzer hatte die Karte versehentlich in einem S-Bahn-Automaten stecken gelassen. Vor Gericht stellt sich der 19-Jährige unwissend. Vorsitzender Richter Daniel Dorner fragt mehrmals, wie der Angeklagte an die Karte gekommen sei. Der 19-Jährige antwortet erst nach gutem Zureden der Jugendgerichtshilfe. Dann beteuert er, es nicht zu wissen. Es könnte sein, dass ein Freund sie ihm gegeben hätte. Er sei damals unter Drogen gestanden. Jedoch habe er nicht versucht, mit der Karte Geld abzuholen. Und nie hätte er derartige Folgen vermutet. Für Richter Dorner ist dies ein Anlass, ihn zu ermahnen, ehrlich zu sein und Fundsachen künftig abzugeben. Er habe ja seinen Geldbeutel auch wiederbekommen. "Eine fremde Bankkarte hat im eigenen Geldbeutel nichts zu suchen." Statt wegen Diebstahls muss sich der Angeklagte nun wegen Unterschlagung verantworten.

Weil der junge Mann einsichtig ist und einen deprimierten Eindruck auf das Gericht macht, kommt er nicht nur glimpflich davon, er erhält auch ermutigende Worte. Laut Jugendgerichtshilfe ist die Lebenssituation des 19-Jährigen momentan schwierig. Der junge Mann habe zwar eine Ausbildung, jedoch bislang keine Aussicht auf eine Stelle. Nach erfolgreicher Therapie lebe er zurückgezogen von seinem damaligen Freundeskreis und ohne feste Tagesstruktur daheim bei den Eltern, was diesen zunehmend missfällt.

Das Gericht stellt das Verfahren ein und macht folgende Auflage: Der 19-Jährige soll 24 Sozialstunden ableisten und sich so an einen festen Tagesablauf gewöhnen. Nach dieser Entscheidung hellt sich das Gesicht des Angeklagten auf. "Mach ich gern", sagt er und nimmt dankend die Tipps des Staatsanwaltes an, doch nicht nach fünf Bewerbungen aufzugeben. "Schicken Sie 50 bis 100 Bewerbungen raus, maximieren Sie Ihre Chancen."

© SZ vom 13.10.2015 / lela - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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