Dachau:Von Angesicht zu Angesicht

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Stadt Dachau, Bürgerversammlung Altstadt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Rund 80 Menschen kommen zur ersten gut besuchten Bürgerversammlung seit Pandemiebeginn. Über einen erfrischend normalen Abend.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Als Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) seinen Bericht schließt und sich die Besucher der Bürgerversammlung an diesem Dienstagabend im Thoma-Haus zu Wort melden können, hebt Ludwig Stöckl als Erster die Hand. Er spricht ins Mikro und stellt sich vor, obwohl ihn die meisten kennen dürften: Ludwig Stöckl, Juwelier mit Geschäft in der Augsburger Straße, "ich bin der Beendiger der Einbahnstraße in der Altstadt", sagt er.

Stöckl hatte gegen die Einbahnstraßenregelung in der Altstadt geklagt, weil er Umsatzeinbußen befürchtete. Daraufhin kippte ein Gericht die Regelung, weil die Stadt aus juristischer Sicht zu wenig Daten vorweisen konnte, um die Einbahnstraße zu rechtfertigen. Der Rest ist, nun ja, Dachauer Stadtgeschichte. Die Stadträte sahen sich gezwungen die Regelung wieder aufzuheben, die erst seit Oktober 2021 galt. Seit Mitte März fließt der Verkehr wieder in beide Richtungen. Es war das zweite Mal, dass die Einbahnstraße in der Altstadt floppte. Bereits 2003 stampfte der Stadtrat nach Protesten der Dachauer Geschäftsleute die Maßnahme ein.

Doch Stöckl sieht seine persönliche Mission offenbar als noch nicht erfüllt an. In der Bürgerversammlung fragt er, ob der OB und die Verwaltung seine E-Mails erhalten hätten, in denen er noch vor Einführung der Einbahnstraße auf fehlende Verkehrsdaten hingewiesen hätte. Hartmann entgegnet, dass man im Rathaus Stöckls E-Mails kenne, dass man aber damals der Argumentation der Polizei gefolgt sei, welche die Einbahnstraße aus Aspekten der Verkehrssicherheit befürwortete. Hartmann, der das Ende der Einbahnstraße bedauert, gratuliert Stöckl sogar zu seinem Erfolg und sagt: "Wir nehmen das sportlich." Doch Stöckl bleibt hartnäckig. Immer wieder fragt er: "Sind Sie meinem Hinweis nachgegangen?" Es entwickelt sich ein Wortgefecht zwischen Hartmann und Stöckl, das mehr als zehn Minuten dauert. Sie werfen sich die immer gleichen Argumente an den Kopf. Viele Besucher sind genervt, schütteln den Kopf. "Jetzt ist mal Ruhe", ruft eine Frau.

Liefern sich ein Wortgefecht über die geplatzte Einbahnstraße: Juwelier Ludwig Stöckl und... (Foto: Niels P. Jørgensen)
SPD-Oberbürgermeister Florian Hartmann. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Ulrike Baumgartner erkundigt sich nach dem Stand der Planungen für die Wohnungen am Udldinger Hang. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die erste "echte" Bürgerversammlung der Stadt Dachau seit Pandemiebeginn vor zwei Jahren beginnt mit lauten Tönen. Vorm Ludwig-Thoma-Haus bläst die versammelte Stadtkapelle Marschmusik in den Dachauer Frühlingshimmel, während die Besucher der Versammlung an ihnen vorbeilaufen. Rund 80 Menschen sind gekommen. Es freue ihn riesig, "endlich alle wieder zu einer ganz normalen Bürgerversammlung begrüßen zu dürfen", sagt Hartmann. So sei es ihm "hundertmal lieber" als in den vergangenen zwei Jahren. 2021 plante die Stadt eine digitale Veranstaltung, doch aufgrund technischer Probleme musste sie abgebrochen werden. Beim zweiten Versuch funktionierte alles. Hartmann sprach in eine Kamera, seine Rede wurde per Livestream übertragen. Die Dachauer sahen von zu Hause aus ihrem OB zu, einen Austausch gab es nicht. 2020, im ersten Corona-Jahr, ging die Versammlung zwar in Präsenz über die Bühne. Doch es kamen nur 28 Besucher ins Thoma-Haus, die Infektionsgefahr schreckte viele ab. Die Stimmung sei fast gespenstisch gewesen, erinnert sich Hartmann. Kaum einer hätte gewagt, mit seinem Sitznachbarn zu reden. Jetzt, im April 2022 sitzen die Menschen oben im Saal an Sechser-Tischen beisammen. Viele unterhalten sich angeregt, die meisten tragen keine Masken.

Es ist die erste von insgesamt fünf Bürgerversammlungen. Sie ist gedacht für die Einwohner der Altstadt und der Stadteile Udlding, Webling und Mitterndorf. Die Termine für die restlichen Viertel folgen in den nächsten Wochen. Hartmann schneidet in seinem Bericht die wichtigsten Themen an: Corona ("Wir sind finanziell relativ gut durch die Krise gekommen"), Ukraine ("fantastische Hilfsbereitschaft" der Dachauer), der immer teurer werdende Neubau des Hallenbads ("eine lange, traurige Geschichte für sich"), Mangel an bezahlbaren Wohnraum ("Ziel einer Stadt muss es sein, allen Bürgerinnen und Bürgern bezahlbaren Wohnraum zu bieten"), der geplante Bürgerbiergarten auf dem ehemaligen Gelände der Schlossbergbrauerei (Eröffnung voraussichtlich im "Frühsommer 2023) und natürlich das Fiasko um die Einbahnstraße in der Altstadt.

Doch neben der Einbahnstraße bewegen die Besucher auch andere Themen, etwa der oft durch Müll und Fäkalien beschmutzte Spielplatz in der Nähe der Klosterschule oder der geplante Bau von 30 sozialen Mietwohnungen durch die Stadtbau GmbH am Udldinger Hang, einem städtischen Grundstück. Ulrike Baumgartner will wissen, wie der Stand der Planungen sei. Sie habe Gerüchte gehört, dass die Stadt das Grundstück verkauft habe. Auch Hartmann kennt das Gerücht, kann es aber entkräften. "Das Grundstück wird nicht verkauft", sagt Hartmann. Jede städtische Fläche sei viel zu wertvoll, um sie zu verkaufen. Für das Bauprojekt am Udldinger Hang gebe es erst grobe Ideen. Stadtbaumeister Moritz Reinhold rechnet damit, dass frühestens 2026 dort Wohnungen entstehen könnten.

Ein anderes Thema sind die E-Roller in Dachau. Laut Ordnungsamt gibt es davon 280 Stück von drei unterschiedlichen Anbietern im ganzen Stadtgebiet. Die Roller würden "vogelwild und kreuz und quer" in ganz Dachau parken und Gehwege blockieren, beschwert sich ein mittelalter Herr. Hartmann erklärt, das Fatale sei, dass die Anbieter keine Genehmigung bräuchten. Hauptamtsleiter Josef Herrmann erzählt, dass die Stadt mit den Anbietern in Kontakt sei. Man wolle nun abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Sollte sich die Lage nicht bessern, werde die Stadt überlegen, ob man wie in München auch extra Parkflächen für die Scooter ausweise. Diese wäre gleichwohl ein "Riesenaufwand für die Kommune", so Hartmann.

Nach zwei Stunden ist die Bürgerversammlung vorbei. Schnell werden Stühle gerückt, die Tische leeren sich. Vereinzelt suchen Bürger noch das Gespräch mit Hartmann oder Verwaltungsmitarbeitern.

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