Die letzte Demografieprognose der Stadt Dachau hatte es in sich: Im Jahr 2037 könnten rund 60 000 Menschen in der Stadt leben, so die Vorhersage im Sommer 2020. Das entspräche einem Wachstum von rund 27 Prozent in nur 18 Jahren. Vor allem die stetige Nachverdichtung wurde in der Prognose als Grund für das starke Wachstum genannt. Eine Novelle der Bayerischen Bauordnung (BayBO) erhöht nun das Potenzial für Nachverdichtung - zum Leidwesen vieler Kommunen. Sie wollen sich mit Abstandsflächensatzungen wehren.
Dachaus zweiter Bürgermeister Kai Kühnel (Bündnis) schätzt, dass sich durch die Novelle das Potenzial der ungesteuerten Nachverdichtung "um einen Schlag auf 35 Prozent" erhöht und geht auch gleich auf die damit verbundenen Folgen ein: Mehr abgestellte Fahrzeuge im öffentlichen Raum, noch höhere Ausgaben der Stadt für die Kinderbetreuung und entsprechende Infrastruktur, und auch die Abwasserentsorgung werde mittelfristig an ihre Grenzen stoßen.
Vereinfacht dargestellt, besagt die BayBO in ihrer bisherigen Fassung, dass zwischen zwei Gebäuden ein Abstand eingehalten werden muss, der in seiner Tiefe einmal der Wandhöhe entspricht, mindestens jedoch drei Meter tief sein muss. Im Fachjargon spricht man von 1H. Die Wandhöhe wird von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut berechnet, die Dachhöhe je nach Neigungswinkel voll oder teilweise addiert. Nun jedoch soll dieses Mindestmaß drastisch reduziert werden: Statt bisher 1H gelten ab Inkrafttreten der Novelle am 1. Februar nur noch 0,4H, also 40 Prozent der Wandhöhe. Bei Gewerbebauten genügt sogar das 0,2-fache der Wandhöhe als Abstand. Ziel der Neuregelung soll eine Verringerung des Flächenverbrauchs sein. Allerdings: In Städten mit mehr als 250 000 Einwohnern - also München, Nürnberg und Augsburg - gilt die Regelung nicht.
In der Stadt Dachau und den Gemeinden des Landkreises will man die Neuerung nicht einfach so hinnehmen und greift auf die Möglichkeit der Abstandsflächensatzung zurück. In dieser können die Kommunen individuelle Regelungen festhalten und so zum Beispiel am 1H-Abstand festhalten. Ein noch größerer Abstand kann nicht vorgeschrieben werden. Allerdings ist das Zeitfenster für den Erlass einer solchen Satzung eng bemessen: Erst am 2. Dezember 2020 hat der Bayerische Landtag der Novelle zugestimmt, die bereits am 1. Februar in Kraft tritt. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen auch die entsprechenden Abstandsflächensatzungen beschlossen sein. In Dachau steht das Thema deshalb auf der Tagesordnung des Bauausschusses, der an diesem Dienstag tagt. Moritz Reinhold, Bauamtsleiter der Stadt geht deshalb davon aus, dass es später noch Änderungen gibt: "Viele werden die Regelung pauschal für das ganze Gemeindegebiet beschließen, obwohl Teilgebiete vielleicht später wieder ausgenommen werden."
Auch in Karlsfeld ist die Bauordnung ein Thema
In Karlsfeld berät man sich in der Bau- und Werkausschusssitzung am Mittwoch zu dem Thema. Bauamtsleiter Günter Endres schickt voraus, dass es wohl in Richtung Beibehaltung der 1H-Regel gehen werde. Endres erklärt außerdem, dass durch die Novelle zwar grundsätzlich größere und höhere Gebäude möglich werden, allerdings auch viele andere Faktoren und Regelungen abseits der Abstandsflächen mitspielen. Beispielsweise dort, wo es einen Bebauungsplan gibt, steht dieser grundsätzlich über der Bauordnung. Dass die Novelle aber zu Veränderung führen wird, da ist er sich sicher. Diese Einschätzung teilt auch sein Dachauer Kollege; Reinhold vermutet vor allem neue Dachformen, da die Gebäudehöhe künftig anders berechnet wird.
Zudem ist die Verringerung der Abstandsflächen nicht die einzige Neuerung in der BayBO, ein weiterer zentraler Punkt ist etwa die sogenannte Genehmigungsfiktion. Diese besagt, dass ein Bauantrag automatisch als genehmigt gilt, sofern sich die zuständige Behörde nach drei Monaten nicht gemeldet hat oder anders entscheidet. Grundsätzlich sollen Verfahren so beschleunigt werden, doch Bauamtsleiter Reinhold aus Dachau sieht die Sache kritisch: Da Unterlagen häufig unvollständig eingereicht werden, befürchtet er, dass mehr Anträge als nichtgenehmigungsfähig vorsorglich abgelehnt werden. Werden die Unterlagen vollständig eingereicht, sei der Aufwand für die Behörden aber geringer, da sie genehmigungsfähige Anträge einfach in die Fiktion auslaufen lassen können - zumindest theoretisch, denn: "Jeder Antrag bei uns ist kompliziert", so Reinhold. Der Dachauer Bauamtsleiter sieht jedoch auch Verbesserungen durch die Novelle: Kommunen haben künftig durch Gestaltungsfestsetzungen mehr Möglichkeiten, um zum Beispiel Schottergärten zu verbieten oder Fassadenbegrünung vorzuschreiben.