Freitagnachmittag, 16.30 Uhr. Moritz Klug, 35, Mireya Schories, 16, ihr Bruder Gabriel, 12 und weitere Freunde stehen schon vor dem Tor des Hofgartens. Sie wollen die Ersten sein, wenn um 19 Uhr Einlass ist. In den Kies hat Moritz die Umrisse des Parks gemalt. "Das ist der perfekte Platz", sagt er und deutet mit dem Stock auf eine Stelle: nicht zu nah und nicht zu weit weg von der Bühne - und mit Erweiterungspotential. "Wir werden 15 Personen sein", sagt er grinsend, "da brauchen wir Platz."
Wer wie er schon seit Jahren regelmäßig zum Dachauer Barockpicknick kommt, weiß längst, wo zwischen den Apfelbäumen, Brunnen und bunten Blumenrabatten die besten Plätze sind und dass man früh dran sein muss, um sie zu besetzen. Tatsächlich stehen die Freunde nicht lange alleine an, Tische und Stühle werden vor dem Dachauer Schloss aufgeklappt, die ersten Getränke in die Gläser gefüllt, um das Warten in der tropischen Hitze zu erleichtern. Bis zum Einlass zieht sich die Schlange der Wartenden dann hinauf und fast einmal rund um den Parkplatz.
Korken ploppen, Gläser klirren
Doch dann kommt Bewegung in die Karawane, die sich kaum, dass sie die Wiese betreten hat, in lauter kleine Grüppchen auflöst, bunte Decken werden ausgebreitet, wie durch Zauberhand hängen plötzlich Lampions und Lichterketten in Bäumen. Tischlein decken sich, Tellerchen quellen über vor Köstlichkeiten, Korken ploppen, Gläser klirren, hier probieren, dort kosten. Die Augen der Besucher strahlen und schielen immer wieder neugierig hinüber, was die anderen so an Leckereien aufgetischt haben.
Das große Schmausen ist schon in vollem Gange, als die Munich Brass Connection auf die Bühne tritt. Konrad Müller, Hannes Oblasser (Trompete), Matthias Krön (Horn), Andreas Oblasser (Posaune) und Fabian Heichele (Tuba) zeigen sich gleichermaßen erstaunt und begeistert von den vielen Menschen, dem Ambiente und der einzigartigen Stimmung im Garten der früheren Wittelsbacher Sommerresidenz.
Alphörner im Abendrot
Motiviert legen die fünf Berufsmusiker los und untermalen den Abend mit einem bunten Programm, mal klassisch, mal volkstümlich, mal modern, dann wieder zum Tanz auffordernd. Als die Alphörner ihre tiefen Töne erklingen lassen, just als die Kirchenglocken läuten und die untergehende Sonne die wenigen Schäfchenwolken in fast kitschige Pastellfarben taucht, bekommt man Gänsehaut. Idylle pur, die sich über den herrschaftlichen Park legt.
Als es dunkel wird, verschwinden die Schüsseln und Teller wieder in den Taschen, jetzt ist entspanntes Liegen angesagt mit Blick in die Sterne, vorne spielt die Musik. Als Zugabe gibt es zum Schluss "What a Wonderful World", und so mancher summt aus tiefstem Herzen mit. Es ist wirklich eine wunderbare Welt.
Rein barock ist das Picknick im Schlosspark Dachau übrigens schon lange nicht mehr. Am Samstag, dem zweiten Abend des Picknicks, gehört die Bühne erst einmal Ryan Tennis. Der US-amerikanische Sänger, der seit dem Frühjahr als Ruckteschell-Stipendiat der Stadt in Dachau lebt, hat seine Akustikgitarre umgeschnallt und trällert sich durch seine Hits.
"Hey Rollercoaster", spielt er gleich zum Warmwerden, Tennis singt live, genauso wie Fans ihn von seinen Platten kennen. Gefälliger Pop, ein paar Latin Grooves, afrikanische Rhythmen, dazu klingt er ein bisschen wie der Surfer-Soundtrack-Spieler Jack Johnson mit einem deutlich südamerikanischen Temperamentseinschlag.
"Hello, Dakar!"
Seinen Song "Children of Verona" habe er bei einer Kolumbienreise eingespielt, erzählt er auf der Bühne. Überhaupt ist dieser Stipendiat wohl mehr auf Reisen als in seinem momentanen Wohnort, den er mit liebevollem Akzent fast wie "Dakar" ausspricht statt "Dachau".
Während Ryan Tennis klampft und singt, tanzen die ersten Kinder auf der Wiese vor der Bühne, ein Gefühl von Mittsommer legt sich über den Hofgarten. Ein Coversong ist mit "Sitting in the morning sun" auch dabei, ebenso Tennis' spanischsprachiges Stück "Segundo Piso". Zwischendurch gibt der US-Musiker ein paar Deutschland-Klischees zum Besten: Alles hier funktioniere so gut, sagt er - dabei hat die Bühnentechnik gerade offenbar entschieden, die hinteren Lautsprecher auf der Wiese auszuschalten, um das Publikum in der Mitte des Parks von einem lästigen Halleffekt zu erlösen, der durch die Übertragungsverzögerung entsteht.
Dann versucht Ryan Tennis noch, seine CDs, Shirts und geplante Yoga-Reisen unters Volk zu bringen - und ist kurz danach auch schon wieder von der Bühne verschwunden, vergleichsweise geräuschlos.
Konkurrenz Käsehäppchen
Darauf folgt der Auftritt von Aura, der Band der Saxofoninistin und Klarinettistin Regina Eisner, die in Dachau als Psychotherapeutin arbeitet. Die fünfköpfige Instrumentalkombo liefert die Musik für den Hintergrund der unzähligen Hofgartengespräche. Ein Barockpicknickmusiker darf nicht eitel sein, schließlich konkurriert die Aufmerksamkeit des Publikums hier auch mit Käsehäppchen und Weinschörlchen auf der Picknickdecke. Regina Eisner hat dafür das richtige Motto im Gepäck: "Vogelfrei durch alle Kulturen und Musikstile tingeln", so beschreibt sie ihren Ansatz.
Für den Rest des Abends gelingt es dem weltmusikalischen Quintett, die richtige Untermalung für jeden Sommernachtsträumer zu finden. Mit Saxofon, Klarinette, Klavier, Akkordeon, Schlagzeug, Bass und E-Gitarre erzeugen sie immer wieder eine grundzuversichtliche Mischung aus Tango, Bossa Nova und Chanson, dazu kommt ein bisschen Dixieland und Swing. Mal klingt die Musik wie aus dem Orient, dann wieder wie vom Balkan. Klezmer-Elemente mischen sich mit Schlagerhaftem schließlich bei einer Interpretation von "Bei mir bist du schön".
Ob eine Zugabe gewünscht sei, fragt die Sängerin höflich. Dem verhaltenen Publikumsapplaus wird nachgegangen, die Musik ist leicht und bekömmlich - und dann liegen da ja auch noch reichlich Snacks unterm Sternenhimmel, die weiter die Aufmerksamkeit des Publikums fordern, bis die Ordner mit schwenkenden Taschenlampen die Runde machen. Jetzt heißt es einpacken, der schöne Traum ist vorbei.