Dachau:Haus der Kunst

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Blick ins Atelier von Tadeusz Stupka. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Am kommenden Wochenende kann man in der Stockmann-Villa durch die Ateliers der Maler Herbert F. Plahl, Ralf Hanrieder, Tadeusz Stupka und der Fotografin Lilly Karsten stromern. Zu sehen sind auch Bilder, die im Schwarzlicht leuchten, als wären sie aus Glühfäden gewebt.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die Katzen in Lilly Karstens Wohnatelier freuen sich über die Malerfolie, die so schön unter den Pfoten knistert. Nach 15 Jahren war es mal wieder an der Zeit zu weißeln. Die Fotografin hofft, dass der neue Glanz in ihren eigenen vier Wänden nun auch einhergeht mit einer Rückkehr des alten "Glamours" in der Stockmann-Villa.

Bevor Corona das Dachauer Kulturleben ausknockte, war die Eröffnung der jährlichen Atelierausstellungen der vier Künstler im Haus immer eine große Sause, eine Art "Lange Nacht" der Kunst mit Wein, Salzstangen, Gin Tonic und knarzenden Treppen. Mit fortschreitender Stunde und steigendem Alkoholpegel transzendierte die Veranstaltung immer mehr zu einer Party mit einem bunt gemischten Publikum, die Älteren erinnern sich.

Der Zahlenmagier mit dem feinen Pinsel

Aus dem "Magischen Quadrat" zaubert Ralf Hanrieder immer wieder neue Formen und Strukturen. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Bei Schwarzlicht bekommen die feinstofflichen Bilder auf einmal eine sehr physische und plastische Anmutung. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wenn von Transzendenz und Gin Tonic die Rede ist, kann man gleich zu Ralf Hanrieder überleiten. Seit 28 Jahren arbeitet der Dachauer Künstler schon mit dem "Magischen Quadrat". Mathematiker wissen, was das ist: ein System, nach dem Zahlen so auf einem Schachbrettmuster verteilt werden, dass Zeilen, Spalten und Diagonalen immer dieselbe Quersumme ergeben.

Scherzhaft nennt Hanrieder seinen künstlerischen Modus operandi daher auch "Malen nach Zahlen". Verbindet man der Reihe nach die Ziffern des Magischen Quadrats, erhält man etwas, das aussieht wie das "Haus des Nikolaus" nach einem Hurrikan. Die windschiefen Sternmuster sind die Urpartikel, aus denen Hanrieder die Formen seiner Bilder webt. Das klingt erst mal abstrakt, ist im Resultat aber immer wieder spektakulär.

Diesmal ist der Blickfang in Hanrieders Atelier ein großformatiges Gemälde. Das Motiv erinnert an einen poppigen Wandvorhang mit barockem Faltenwurf. Das Thema der Ausstellung "Feinstofflich" kann man hier ganz wörtlich nehmen. Oder auch als Hinweis auf das Feinstoffliche, das ja auch immer verborgen unter der Oberfläche von Hanrieders Werken schlummert.

Was sich dem Auge hier als "Stoff" präsentiert, ist letztlich nichts anderes als aneinandergereihte Signaturen, die vor Energie beben. Seine Farben mischt Hanrieder selbst unter Verwendung besonderer Pigmente, daher ihre Strahlkraft. Verstärkt wird diese noch dadurch, dass der Künstler in seinen feinen Pinselstrichen Komplementärfarben wie geladene Teilchen aufeinander knallen lässt.

Wer noch tiefer blicken will, sollte sich die Bilder bei Schwarzlicht zeigen lassen. Dann erscheint der Stoff wie aus Glühfäden gewebt. Doch so eindrucksvoll das Resultat ist: "Der künstlerische Prozess ist für mich eigentlich das Wichtigste", sagt Hanrieder.

Herbert F. Plahl mit neuen und alten Arbeiten in seinem Atelier. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Mehr Weiß und reduzierte Formen kennzeichnen die neueren Arbeiten Plahls. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Herbert Felix Plahl ist der Altmeister in der Stockmann-Villa, weit über 30 Atelierausstellungen hat er hier schon gezeigt. Dazwischen war er immer viel unterwegs in der Welt, in China, Südamerika und Indien. Licht und Farben dieser Orte findet man in seinen Bildern seit jeher wieder, auch die für diese Kulturkreise typischen Formen und Strukturen, die Kegel der Berge Asiens, die Architektur der Tempel und Pagoden. Plahl setzt diese gestalterischen Elemente immer wieder neu zusammen zu einer flirrenden Traumwelt zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Für lange Fernreisen reicht die Kraft inzwischen nicht mehr, jetzt muss Plahl aus der Erinnerung schöpfen, und selbst die ist inzwischen nicht mehr die allerbeste. Auf der Leinwand macht sich das in einem neuen Stil bemerkbar: Flächiger sind seine Bilder geworden, nicht mehr so wimmelig und filigran, der Strich ist breiter, die Farben oft kräftiger, manchmal auch mit ungewohnt viel Weiß auf der farbig grundierten Leinwand. Herbert Plahl ist auf seine alten Tage noch einmal in eine neue künstlerische Phase eingetreten.

Das Atelier als künstlerisches Labor

Tadeusz Stupka bringt immer wieder neue Ideen auf die Leinwand. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Tadeusz Stupka malt meist eher gegenständlich, Ausnahmen bestätigen die Regel. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Tadeusz Stupka hat das kleinste Atelier in der Stockmann-Villa, was noch stärker auffällt, weil es bis in den letzten Winkel vollgestopft ist mit Gemälden. Zu sehen sind sie hier in allen Variationen, schwungvoll tanzende Paare in Schwarzweiß, erotische Liebesspiele bunter Silhouetten, Farbexplosionen en gros und en detail, Stadtansichten, in denen man noch den konstruktiven Strich des studierten Architekten erkennen kann.

Stilistisch legt Stupka sich nicht fest, "hybrid" zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion verortet er sich selbst. Nach den Regeln der Kunstvermarktung wäre es schlauer, sich ein echtes Markenzeichen zuzulegen, etwas "Stupkaeskes", aber dem hibbeligen Künstler mit der grauen Mähne und den schneeweißen Sneakers schwirren immer viel zu viele Ideen durch den Kopf. Es gibt so viel Neues, was man noch ausprobieren könnte. "Ich mache keine Kunst für das Publikum", sagt der Maler mit dem feinen polnischen Akzent, "aber ich habe natürlich auch nichts dagegen, wenn die Leute meine Bilder kaufen."

Sein Atelier ist seine kreative Experimentierwerkstatt, als Arbeitstitel für seine Ausstellung wählt er nicht von ungefähr das Wort "Labor". Derzeit laboriert Stupka viel mit "Pouring", einer Technik, bei der Acrylfarben vergossen werden und ineinanderlaufen, wodurch sich reizvolle Marmorierungen ergeben. Beliebt ist Pouring vor allem bei Hobbykünstlern.

So einer ist Stupka natürlich nicht, deshalb kombiniert er diese von Zufällen bestimmte Technik auch gezielt mit einer akkurat gemalten Ansicht des Mühlbachs am Fuß der Dachauer Altstadt. Von der Uferböschung ergießen sich die Gehölze in schlierigen Farben über die Szenerie, der ausgreifende Ast eines Baums schwappt regelrecht ins Bild. Das ist dynamisch und gibt dem Laub eine nicht gerade naturalistische, aber dafür sehr interessante Struktur. "Mit dem Pinsel könnte man das gar nicht machen", sagt Stupka.

Malen mit der Fotolinse

Sieht aus wie ein Gebirgszug in Mittelerde, sind aber die Alpen in Südtirol. (Foto: Lilly Karsten/Lilly Karsten Photography)

Nebenan hat Lilly Karsten ihr Wohnatelier. Sie ist gewerbliche Fotografin, betätigt sich aber auch schon seit vielen Jahren als Fotokünstlerin. Ihre Motive findet sie meist auf Reisen, manchmal auch auf einem Bergpass, wo man wegen der unübersichtlichen Straßenverhältnisse besser nicht aussteigen sollte. Aber was tut man nicht alles für die Kunst, und das Ergebnis spricht ja für sich: Wie eine finstere Felsenburg ragt das Südtiroler Bergmassiv aus einem gischtenden Wolkenmeer.

Das Spiel der Wellen an einem menschenleeren polnischen Ostseestrand ist aufgelöst in einer wattigen Langzeitbelichtung, alles leuchtet im changierenden Farbenspiel sonnenwarmer Pastelltöne. "Es sieht aus wie gemalt", sagt Karsten, während die "Chefkatze" der Wohnung ihren flauschigen Kopf an Lilly Karstens Arm reibt. Früher hat es sie geärgert, wenn jemand so etwas über ihre Fotos sagte. Aber es stimmt ja, manche Lichtstimmungen könnten auch aus dem Malkasten stammen. So auch die Aufnahme eines dramatischen Abendhimmels über dem Dachauer Schloss. Die Wolken scheinen lichterloh zu brennen, so leuchtend ist das Orange.

Gut, ein bisschen trickst sie schon manchmal. Dann wird eine störende Fahne von einem Balkon wegretuschiert, des "Farbkonzepts" wegen, oder der Mond über Dachau an eine Stelle über den Schlossberg verpflanzt, wo er sonst nie stehen würde. "Ich halte das für legitim", sagt die Fotografin. Ihre Bilder lügen nicht, sie flunkern nur ein bisschen.

In Zeiten, in denen die Nachrichten nur noch Bilder von Krieg, Terror und Elend liefern, will Lilly Karsten die Welt von ihrer schönen Seite zeigen, das Positive teilen, auch das Schöne, das, was man direkt vor der Haustür finden kann. "Ich bringe ein bisschen von der Welt nach Dachau und ein bisschen von Dachau in die Welt." Jetzt müssen nur noch viele, viele Leute kommen.

Atelierausstellung in der Stockmann-Villa in Dachau, Münchner Straße 38, Freitag, 10. November. Vernissage am Freitag, 10. November, ab 19 Uhr. Geöffnet auch Samstag, 11. November, 15 bis 21 Uhr und Sonntag, 12. November, 13 bis 18 Uhr

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