Architekturforum Dachau:"Das hat die selbsternannte 'Stadt der Künste' nicht verdient"

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Die "Visionen" der Wonbaugesellschaft Isaria für das MD-Gelände sehen vielversprechend aus. Aber sind sie auch realistisch? (Foto: Isaria)

Das Architekturforum Dachau geht mit der Stadtverwaltung hart ins Gericht: Anders als diese suggeriere, seien die neuen Pläne für die Bebauung des MD-Geländes kein großer Fortschritt in Sachen Nachhaltigkeit und Wohnqualität. In einem Offenen Brief fordert der Verein nun umfassende Nachbesserungen.

Interview von Gregor Schiegl, Dachau

Die Wohnbaugesellschaft Isaria, die das 17 Hektar große MD-Gelände am Fuß der Altstadt zu einem neuen Stadtteil entwickeln soll, ist voll des Lobes für die neuen Planungen der Stadt. Mit dem jüngsten Stadtratsbeschluss habe Dachau einen vorbildlichen und wichtigen Schritt in die Zukunft gemacht: "Das neue Mühlbachviertel wird ein herausragendes Stadtquartier werden, das auch hinsichtlich Klimaschutz und Nachhaltigkeit neue Maßstäbe setzen wird." Das Architekturforum Dachau sieht das völlig anders: Bei der Präsentation im Stadtrat habe man der Öffentlichkeit ein "einseitiges, geschöntes Bild der amtlichen Planung" vermittelt, kritisiert der von lokalen Architekten und Künstlern getragene Verein in einem Offenen Brief an Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) und den Stadtrat. Im Vorfeld hatte Architekt und Stadtplaner Emil Kath seitens des Architekturforums eine Konzeptstudie vorgelegt, die zeigen sollte, wie ökologische und soziale Qualität in dem Quartier auch bei hoher Bebauungsdichte möglich wäre. An diesem Ziel hält das Architekturforum nach wie vor fest.

Herr Kath, Oberbürgermeister Florian Hartmann hat das Architekturforum und insbesondere Ihre Arbeit im Bauausschuss des Stadtrats öffentlich sehr gelobt. Ihre Konzeptstudie habe wertvolle Anregungen für die Planungen der Stadt geliefert. Eigentlich müssten Sie jetzt doch hochzufrieden sein?

Emil Kath: Leider nein. Der Öffentlichkeit und damit auch den Bürgern wurde die Möglichkeit genommen, sich ein realistisches Bild von der amtlichen Planung und ihren Folgen zu machen. In der Sitzung wurde ausschließlich über deren Vorzüge gesprochen. Wir hatten eigentlich erwartet, dass Planer und Stadtbauamt auch darlegen, welche Problempunkte es nach wie vor gibt.

Nach Aussage des OB sind viele Punkte, die Sie angemahnt hatten, schon in die neue Planung eingeflossen.

Das sehen wir nicht so. Wir haben für das amtliche Konzept einen Faktencheck durchgeführt und dabei weiterhin eine Reihe von Problemen festgestellt. Sie reichen von Fragen der Verkehrserschließung, der Verkehrssicherheit, dem Grundwassermanagement bis hin zur Baustruktur, der städtebaulichen Verknüpfung und der Wohnqualität und der ökologischen Nachhaltigkeit.

Aber eine zentrale Forderung des Architekturforums wurde doch erfüllt? Der Grünzug ist jetzt größer.

Das war ja nicht nur unsere Forderung, dieser Wunsch wurde schon lange vorher in den Bürger-Workshops formuliert, diese Forderung gab es auch in vielen Stadtratsfraktionen. Und man muss sehen, wie die Vergrößerung des Grünzugs zustande kam, nämlich indem private Grünflächen verringert wurden. Das eine geht zu Lasten des anderen.

Die Konzeptstudie von Emil Kath sieht einen zentralen, druchgängigen Stadtpark von der Amper bis zum Mühlbach vor. Die Verengung an der Ostenstraße soll die Lärmbelastung des Durchgangsverkehrs im neuen Viertel verringern. (Foto: Emil Kath/Architekturforum Dachau)

Zumindest was die öffentlichen Grünflächen betrifft, haben Sie sich durchgesetzt. Laut Stadt sind die geplanten Grünflächen nun "gleichwertig" und auch in der Größe vergleichbar mit dem Stadtpark, den Sie gefordert haben.

Auf dem Stand der uns zur Verfügung stehenden Unterlagen kommen wir zu einem ganz anderen Ergebnis. Danach ist die Fläche des von uns vorgeschlagenen Stadtparks wesentlich größer - um mehrere Tausend Quadratmeter - und vor allem läge er an der richtigen Stelle: zentral, wo er hingehört und auch mit dem richtigen Zuschnitt.

Nach der Überplanung rückt die Bebauung nun teilweise näher zusammen, das schafft Platz für Grün in der Fläche. Dieser Ansatz müsste doch in Ihrem Sinne sein?

Aber so, wie es nun geplant ist, entstehen andere Probleme. Die westlichen Gevierte wurden zusammengeschoben, dadurch ergeben sich noch geringere Abstände zwischen den Gebäuden. Die Häuser haben vier Geschosse. Das sind 12 bis 13 Meter Höhe - und bis zum nächsten Haus sind es keine zwölf Meter! Welchem Bewohner ist so eine permanent verschattete Wohnung zuzumuten - mit Blick auf eine Hauswand oder auf den Esstisch des Gegenübers? Kommen hier die Sozialwohnungen hin? Wohnwert unterster Standard, für teures Geld? Wem soll das dienen? Hingegen sind massive fünf- bis sechsgeschossige Wohnblöcke an der Amper in dieser Lage deplatziert. Geworben wird mit dem Begriff "Flussaue". Ein wertvoller potentieller öffentlicher Erholungsraum wird somit zur Kulisse für Luxuswohnungen. Das kann doch nicht im öffentlichen Interesse sein! Wir stellen uns ein Konzept vor, das mit einem zentralen Stadtpark einen Kontrast zur urban verdichteten Altstadt herstellt und nicht ein banales Wohngebiet, wie in Dachau in den vergangenen Jahren schon genug andere entstanden sind.

Das Modell zur Bebauung des ehemaligen MD-Geländes von der Amperseite aus gesehen. (Foto: Toni Heigl)

Der OB sagt, sowohl die Planungen der Stadt wie der Entwurf des Architekturforums hätten ihre Stärken und Schwächen. Das klingt, als habe es einen gründlichen Abwägungsprozess gegeben.

Wir haben nach Kritik an unserem Entwurf noch einmal neu überarbeitete Pläne bei der Stadt eingereicht und diese Schwächen beseitigt. Diese Entwürfe konnten aber aus Zeitgründen nicht mehr berücksichtigt werden. Mit unserem Faktencheck legen wir die Schwächen der amtlichen Planung offen. Wir haben aber den Eindruck, dass es daran kein Interesse gibt, und es jetzt vor allem schnell gehen soll, getreu dem Motto "Augen zu und durch!" Man will sich keine Zeit mehr nehmen, um neu nachzudenken, aber das müsste man tun, um das Optimale zu erreichen.

Wenn die Planungen der Stadt jetzt noch einmal um mehrere Jahre zurückgeworfen werden, wäre das auch nicht ideal. Die Planungen laufen schon seit 2007. Irgendwann muss man ja auch mal zu Potte kommen.

Die Zeitverzögerung und der Aufwand, die man vermeiden möchte, sind die Hauptargumente, die immer vorgebracht werden. Das wird aber überschätzt. Nach unserer Einschätzung könnten wir dadurch maximal ein Jahr verlieren. Viele Erkenntnisse, die bereits erarbeitet wurden, gelten ja nach wie vor. Spätestens wenn das Quartier in Betrieb gegangen ist, also vielleicht in zehn Jahren, würden all die Probleme, die wir angesprochen haben, offen zutage treten. Aber dann wäre es zu spät. Es sind grundlegende Änderungen am Entwurf nötig. Es so zu verwirklichen, hat Dachau, die selbsternannte "Stadt der Künste", nicht verdient.

Wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass die Planung schon sehr ausgereift sei. Die Isaria führt sogar ins Feld, dass schon an der Ausführungsplanung gearbeitet werde, um sofort nach dem Satzungsbeschluss mit dem Bau beginnen zu könne.

Wir haben bei der Vorstellung des Vorentwurfes sehr schön aufbereitete Pläne und unrealistische Schaubilder gesehen. Hier wirbt man mit Mitteln, die nicht angemessen sind, man erzeugt in der Öffentlichkeit ein völlig falsches Bild. Die Machbarkeit des ganzen Konzeptes ist auch noch lange nicht bewiesen.

Wieso, wo liegt denn das Problem?

Ein Entwurf ohne umfassendes Stellplatzkonzept ist längst nicht ausgereift. Bei einem Stellplatzbedarf von bis zu 2000 Stellplätzen oder mehr wird eine Grundfläche von 52 000 bis 60 000 Quadratmetern benötigt. Eine Riesenfläche, die man erst einmal unterbringen muss. In der Sitzung wurde erklärt, dass dieses Thema noch nicht genau untersucht sei, aber genau das war eine Aufgabe, die vom Stadtrat schon vor zwei Jahren gestellt wurde. Eine Lösung haben wir immer noch nicht gesehen.

Immerhin gibt es klare Zielvorgaben. Die Idee der "Schwammstadt", eines der fundamentalen Ziele im modernen Städtebau, soll nach dem Beschluss der Stadträte die weiteren Planungen leiten. Ist es nicht genau das, was das Architekturforum gefordert hat: Dass man sich in dem Bauprojekt für die Herausforderungen des Klimawandels rüstet?

Was ist denn eine "Schwammstadt"? Man versteht darunter in erster Linie eine Siedlung mit großen offenen Bodenflächen, auf denen das Regenwasser ungehindert bis zur Grundwasserebene versickern kann. Nur diese Böden speichern genügend Feuchtigkeit und sorgen durch Verdunstung für Abkühlung. Im Zusammenklang mit Großbäumen, die nur dort gut verwurzeln und gedeihen können, und mit intensiver Begrünung kann ein gutes Stadtklima entstehen. Tiefgaragen, die großflächig den Boden versiegeln, dürfen den natürlichen Grundwasserstrom nicht behindern. Ein Nachweis dürfte bei der geplanten Größenordnung nicht so leicht zu führen sein, zumindest nicht ohne größeren Aufwand. Das alles ist das Gegenteil von dem, was dem heutigen Standard einer Schwammstadt entspricht. Es ist nicht klimaneutral. Nicht nachhaltig. Nicht gesund. Aber aufwändig, reparaturanfällig und sehr teuer.

Emil Kath vom Architekturforum sieht bei den Planungen zum MD-Gelände immer noch großen Nachbesserungsbedarf. (Foto: Toni Heigl)

Die Isaria verspricht eine tolle Surfwelle am Mühlbach...

Für Dachau wäre das sicherlich eine schöne Bereicherung. Aber ob eine Surfwelle in der Praxis mit dieser Wassermenge und dieser Höhenlage überhaupt realisierbar ist, ist auch noch nicht dargelegt, wir sehen da Schwierigkeiten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es lediglich ein hilfreiches Werbeargument.

Wie soll es denn nun weitergehen? Was genau sind Ihre Erwartungen an die Stadt?

Das Projekt hat sich festgefahren. Wir hoffen, dass die Stadt einen grundlegend neuen stadträumlichen Ansatz wagt, die Qualitäten zu finden, die Dachau an dieser Stelle einzigartig und zukunftsfähig machen. Der Faktencheck, den wir gemacht haben, könnte dabei als Leitlinie dienen. Und ich betone ausdrücklich: Wir verfolgen keine wirtschaftlichen oder politischen Interessen. Als gemeinnütziger Verein fühlen wir uns verpflichtet, fachlich gesicherte Positionen nach den aktuell geltenden Regeln der Technik, der Baukunst und der Stadtbaukunst zum Wohle aller einzubringen.

Den Offenen Brief und den Faktencheck im Detail gibt es auf der Seite www.architekturforum-dachau.de . Dort ist auch Emil Kaths Konzeptstudie abrufbar.

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