Kultur in Dachau:Singen wie im Friseursalon

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Die "A Cappella Company" ist Dachaus erster Barbershop-Frauenchor. Geprobt wird schon seit eineinhalb Jahren, nur mit Auftritten hat es bisher noch nicht geklappt. Seine Ursprünge hat der Gesang in der schwarzen US-Kultur. Im Vordergrund steht der Spaß.

Von Carla Behnke, Dachau

Zugegeben, sie geben ein schon ein eigenwilliges Bild ab: 19 Frauen, die an Tischen quer durch den Raum verteilt sind, sie ratschen, lachen, tauschen Blätter aus. Dann tönt eine Fahrradklingel. Wie die Schulkinder stehen alle an ihrem Platz, alle Augen sind auf Mareike Meise gerichtet. Sie grinst. Und legt los. Hier, im Pfarrheim von Sankt Jakob in Dachau, steht die A Cappella Company Dachau, der erste Barbershop-Frauenchor der Stadt, und singt sich die Seele aus dem Leib.

Barbershop ist ein vierstimmiger A-cappella-Stil, also Gesang, der vollkommen ohne Begleitung durch Instrumente aufgeführt wird. Er geht darauf zurück, dass vor allem in den 1920er Jahren in den USA Schwarze selten Zugang zu Aufnahmegeräten und Instrumenten hatten. Also sangen sie in Barbershops, damals große soziale Treffpunkte, beliebte Radiolieder und ersetzten Instrumente durch Harmoniestimmen. Die Wurzeln des Musikstils sind aber auch in früheren Sklavenliedern und Gospels zu finden. Die Besonderheit ist hier, dass Barbershop Obertonmusik ist. Das Prinzip dahinter ist, dass es zu jedem Ton mindestens einen Oberton gibt, der mitschwingt. Sehen kann man das etwa, wenn man bei einer Gitarre die tiefste Seite zupft und eine andere Seite mitschwingt; "Frequenzen, die sich gegenseitig triggern" nennt Meise, musikalische Leiterin und Gründerin des Chors, das. Im Barbershop wird mit diesen zusätzlichen Frequenzen gespielt. Daher sind die Stimmen auch sehr viel enger gesetzt als in der klassischen Musik üblich. Die höchste Stimme ist maximal zwei Oktaven, eher noch eineinhalb Oktaven von der Bassstimme entfernt, in "close harmony". Die meisten Menschen nehmen diese Töne nicht bewusst wahr, wenn sie nicht, wie im Barbershop, darauf trainiert sind. "Aber dein Gehirn hört die Obertöne mit, und man nimmt das wahr als eine große, starke Energie und eine gewisse Lautstärke, die man von so einem kleinen Chor nicht erwarten würde."

Und tatsächlich: Die 19 Frauen, die bei der Probe sind, klingen, als ob sie doppelt so viele wären. Normalerweise sind es 26, die hier singen, dies ist das dritte Mal, dass sie live im Pfarrheim von Sankt Jakob proben können. Seit Januar 2020 singen sie gemeinsam. Die jüngste Sängerin ist 24, die älteste "mindestens Ü60", sagt Sabrina Feuchtmüller und lacht. Sie ist erster Vorstand des Chores und übernimmt Verwaltung und Organisation, damit Meise sich auf die musikalische Gestaltung konzentrieren kann. Normalerweise seien sie "ziemlich vollständig" bei Proben, erzählt sie.

Die A Cappella Company Dachau ist einer der wenigen Chöre, die es auch zu Lockdown-Zeiten geschafft haben, zu proben. Dafür haben sie Jamulus, eine spezielle Software für Sänger, genutzt, um jede Verzögerung der Übertragung zu eliminieren. Einige Millisekunden Unterschied zwischen Schnipsen und dem Einsatz einer Sängerin könnten den Rhythmus völlig durcheinanderbringen. Dank dieses Programms war es ihnen auch möglich, relativ schnell wieder den Faden aufzunehmen, erzählt Feuchtmüller, "auch wenn es nicht immer einfach war, sich dann noch einmal zwei, drei Stunden vor den PC zu hocken und zu singen."

Mareike Meise kommt aus Dachau, hat am Ignaz-Taschner-Gymnasium ihr Abitur gemacht und damals schon gesungen. Nach ihrem Studium in Wirtschaftsinformatik hat sie sich in München umgesehen, wo man am besten neue Leute kennenlernen könnte. Nach einigem Suchen stieß sie auf die Harmunichs - den ältesten Barbershop-Chor Münchens. Mit ihm ging es schon ein Jahr später direkt zur deutschen Meisterschaft, die der Chor auch zum ersten Mal seit Jahren gewann. Seitdem ist sie dabei und hat sich immer weiter fortgebildet. Als Meise nach einigen Jahren mit ihrer Familie nach Dachau zurückzog, beschloss sie, ihren eigenen Chor zu gründen. Von Anfang an waren um die 30 Sängerinnen dabei. "Anscheinend habe ich da echt einen Nerv getroffen", sagt die 41-jährige.

Im Barbershop sind die meisten Chöre nach wie vor reine Männer- oder Frauenchöre, auch wenn sich dies inzwischen langsam ändert. Die A Cappella Company Dachau besteht ebenfalls nur aus Frauen, allerdings hauptsächlich, weil Mareike darüber aus eigener Erfahrung schlichtweg mehr weiß. "Ich bin keine Profimusikerin, das sage ich auch allen, die neu dazukommen. Ich habe mir sehr viel angeeignet, und für alles andere holen wir Coachings. Aber es ist ein gemeinsamer Weg." Dazu kommt, dass gemischte Chöre noch nicht lange aktiv sind. Barbershop in Germany e.V., kurz BinG, der Verein, der auch die deutsche Meisterschaft ausrichtet, wurde erst in den 1980er-Jahren gegründet. Er war der erste weltweit, bei dem auch gemischte Chöre auftraten. Andere Organisationen zogen nach. Entstanden ist das Ganze eigentlich aus Spaß: Die Bassistin des Quartetts Rachengold war kurz vor dem Wettbewerb krank geworden. Also zog sich Roger, der Mann der Sopranistin, kurzerhand Minirock und Perücke an und trat als Bassistin Rogerina auf. Das Quartett gewann die Meisterschaft und stellte prompt den Antrag, auch als gemischter Chor antreten zu dürfen. Und warum auch nicht? Problem bei der Umsetzung ist nur, dass es schwierig ist, Noten für gemischte Barbershop-Chöre zu finden oder anzupassen. Außerdem gibt es nach wie vor wenig Materialien wie Teach Tracks, an denen man lernen kann. Also ist Meise bei dem geblieben, was sie schon kannte.

Was ihr am meisten Spaß dabei macht, ist die Gemeinschaft. "Der Anspruch im Barbershop ist sehr, sehr hoch, aber es ist ein Laiengenre," beschreibt sie es. Natürlich gebe es einige Profimusiker und Sänger, die sich "verkünsteln". Aber generell erzählt Meise von einem Chor, den sie in Australien besucht hat und mit dem sie spontan gemeinsam singen konnte. Von Pole Cats, Liedern, die jeder kennt, und von Afterglows nach Shows, wo auch Freunde und Publikum herzlich willkommen sind und wo Sänger sich gegenseitig Tags, einige Takte kurze Melodien, beibringen. "Da kennt man ein gemeinsames Lied oder man singt Tags bis zum Umfallen, bis in die Morgenstunden." Solche Erfahrungen konnten die Mitglieder der A Cappella Company bis jetzt noch nicht machen, weil Wettbewerbe in letzter Zeit ausfallen mussten. Seit Gründung waren zwei Auftritte eingeplant, die leider beide ins Wasser gefallen sind. Trotzdem haben sie Spaß: Für die eine ist das Schöne, dass alle aus ganz verschiedenen Bereichen kommen, für die nächste die Familiarität im Chor. Wieder eine andere Sängerin freut sich: "Ich habe vorher immer nur im Auto gesungen und jetzt kann ich mit Leuten singen, und es klingt auch noch gut."

Langsam kann man allerdings wieder planen, und so konnte kürzlich auch der erste Event stattfinden: ein Chorwochenende. "Barbershop zeichnet sich dadurch aus, dass es sehr, sehr viel mit Bühnenshow zu tun hat. Das ist glaube ich der Hauptunterschied zu klassischen Chören. Wir singen ohne Noten, und Performance gehört mit dazu." Und genau an der wurde an dem Wochenende intensiv gearbeitet. Ein befreundeter Coach kam dazu, es gab einen Atem-Workshop, es folgte ein kleines Konzert für Freunde und Familie. Auch andere Chöre waren eingeladen.

Nächstes Ziel ist die deutsche Meisterschaft 2022 in Dortmund. Nicht einmal unbedingt, um zu gewinnen. Die Bewertung orientiert sich daran, wie unterhaltsam der Chor ist, und die Juroren geben präzise Tipps zur Verbesserung. Bei einer Wertung von 80 Prozent, dem Wert der amtierenden Meister, gibt es Standing Ovations. Unter einem bestimmten Prozentsatz "würde ich vielleicht keinen Eintritt verlangen", sagt Meise lachend. Es geht also vielmehr um die Einschätzung - und natürlich darum, andere Chöre zu treffen.

© SZ vom 26.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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