Corona in Dachau:Erneuter Stillstand

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Der sogenannte Lockdown light trifft auch den Landkreis Dachau hart. Behörden und Polizei werben um Verständnis für ihr Handeln, Betroffene kritisieren die Maßnahmen als unverhältnismäßig. Ein Überblick

Von Benjamin Emonts, Dachau

Masken tragen alle. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) tüftelte am Mittwoch mit den Ministerpräsidenten bereits seit Stunden an einer neuen Corona-Strategie, als im Dachauer Landratsamt erstmals vor Pressevertretern die Koordinierungsgruppe "Pandemie" zusammentraf. Als beschlossen gilt nun, dass von Montag an bis Ende November alle Amateursport- und Kulturveranstaltungen ausfallen, Bars und Restaurants müssen schließen und persönliche Kontakte auf ein Minimum reduziert werden. Wie aber sind Bürger, Ärzte und Behörden im Landkreis für den "Lockdown light", wie ihn Landrat Stefan Löwl (CSU) bezeichnet, gewappnet? Ein Überblick über Maßnahmen und Reaktionen.

Mehr Kontrolle

Drei Organe sind dafür verantwortlich, die Einhaltung der Corona-Regelungen zu kontrollieren: Das Landratsamt, die Ordnungsämter der Gemeinden sowie die Dachauer Polizei. Erstere sind personell jedoch bereits stark ausgelastet, sodass sie nur vereinzelt Schwerpunktkontrollen durchführen können. Landrat Stefan Löwl setzt deshalb besonders auf die Hilfe der Polizei, die wegen der ausfallenden Veranstaltungen noch ausreichend Kapazitäten hat. Polizeichef Thomas Rauscher kündigt an, dass die Streifenbesatzungen mit noch mehr Nachdruck kontrollieren und Verstöße ahnden würden. Unterstützung bekämen die Dachauer Beamten zeitweise von der Bereitschaftspolizei oder der Kripo Fürstenfeldbruck. Vier bis sechs Dachauer Polizisten stünden zudem auf Abruf, um das Contact Tracing Team des Landratsamts zu unterstützen. Schwere Verstöße, etwa von Maskenverweigern, meldet die Polizei ans Landratsamt, das ein Ordnungswidrigkeitsverfahren einleiten und ein Bußgeld von 250 Euro verhängen kann. Allein in der vergangenen Woche hat die Polizei im Landkreis 40 Verstöße registriert.

Kulturnotstand

"Ich sehe nicht dunkelrot, sondern schwarz für die Kultur", sagt der Dachauer Kulturamtsleiter Tobias Schneider. Die neuen Maßnahmen träfen die Falschen, denn die Hygienekonzepte der Kulturveranstalter seien mit die besten gewesen. Psychologisch sei das für die Kulturschaffenden schwer zu verarbeiten, weil sie den Lockdown als "Ungerechtigkeit" empfänden. Neben Künstlern und Musikensembles, so befürchtet Schneider, werden nun auch Veranstaltungstechniker, Grafiker und andere kulturnahe Berufe ihre Existenzkämpfe verlieren. Anzeichen dafür gibt es bereits. Janet Bens vom Hoftheater Bergkirchen hatte Mitte der Woche betont, dass ein erneuter Lockdown die Zukunft des Theaters ernsthaft in Gefahr bringen würde.

Schnellere Testergebnisse

Verantwortliche aus verschiedenen Bereichen des Lebens trafen sich parallel zu den Verhandlungen in Berlin am Mittwoch zu einer Sitzung, um abermals über Corona-Maßnahmen zu beraten. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nach Einschätzung der Experten herrscht ein diffuses Infektionsgeschehen im Landkreis: Man habe zwar keine lokalen Hotspots, aber viele verschiedene Infektionsquellen, die sich häufig nicht mehr nachvollziehen ließen. Eine gute Nachricht vor diesem Hintergrund ist: Der Landkreis Dachau hat 5400 Schnelltests bekommen, die nun an ambulante Pflegedienste verteilt und für lokale Ausbrüche aufbewahrt werden sollen. Allerdings bringen diese Tests nach den Erfahrungen der Dachauer Ärzte in zehn bis 20 Prozent der Fälle fälschlicherweise negative Testergebnisse hervor, weshalb sie lediglich zu raschen Ersteinschätzungen dienen sollen. Leichte Sorgen bereitet das Corona-Testzentrum am Volksfestplatz in Markt Indersdorf, das bis zu 380 Abstriche pro Tag nimmt. Es wurde Kritik laut, dass dort zu langsam getestet werde und das Personal zu häufig wechsle. Besonders in den Abendstunden bildeten sich zuletzt lange Warteschlangen, weil das Personal nicht hinterherkam. In der Auswertung der Tests kam es außerdem zu erheblichen Verzögerungen und Wartezeiten von bis zu fünf Tagen, weil das zuständige Labor in Augsburg überlastet ist und sich nach einer Panne neu sortieren musste. Bei Nachprüfungen in einem Krankenhaus hatte sich herausgestellt, dass 58 von 60 Tests aus dem Labor irrtümlicherweise positiv ausgefallen waren. Die Kapazitäten an der Teststrecke in Indersdorf sollen nun durch mehr Personal oder längere Öffnungszeiten zeitnah erhöht werden. Momentan ist nur eine von zwei Fahrbahnen in Betrieb, obwohl das Personal für beide Spuren geplant war. Besonders die Datenaufnahme, die viel Gründlichkeit erfordere, beanspruche mehr Zeit als gedacht, sagt Landrat Löwl.

Maskenpflicht im Freien

Die Maskenpflicht an öffentlichen Plätzen könnte nun auch im Landkreis Dachau kommen. Eine entsprechende Allgemeinverfügung hat das Landratsamt bereits vorbereitet für den Fall, dass der Inzidenzwert von 100 erreicht wird. In Dachau würde die Maskenpflicht dann voraussichtlich am Bahnhofplatz, in der Münchner Straße, am Schloss, in Teilen der Altstadt und am Sparkassenplatz greifen. Betroffen wäre auch Karlsfeld. Dort soll die Maskenpflicht an den Zu- und Abgängen des Bahnhofs sowie im Bereich der Tankstelle und des Bäckereigeschäfts Ihle als auch am Marktplatz gelten. In Markt Indersdorf wäre der Weg vom Bahnhof zum Gymnasium und vom Kreisverkehr an der Dachauer Straße bis zur Realschule betroffen.

Offene Schulen

Als überschaubar gilt das Infektionsgeschehen an Schulen und Kindertagesstätten im Landkreis. Am Mittwoch befanden sich insgesamt zehn Klassen aus sechs verschiedenen Schulen in Quarantäne. Besonders auf dem Schulgelände verhielten sich die Schüler in der Regel diszipliniert. Ab der ersten Klasse gilt inzwischen eine Maskenpflicht auch am Sitzplatz, was bei Eltern von Grundschülern massive Proteste hervorgerufen hat. Sorge bereiten den Verantwortlichen aber vor allem Kontakte auf dem Hin- und Rückweg zur Schule. Stichproben hätten gezeigt, dass Schüler teils aus derselben Flasche tranken, sich Zigaretten teilten und sich umarmten. An den drei Gymnasien des Landkreises ist es zunehmend ein Problem, dass zweig- oder sprachgemischte Klassen keinen regulären Unterricht mehr in Fächern wie Französisch, Physik oder Latein abhalten können, weil es feste Klassenverbände geben muss. Auf Initiative von Peter Mareis, Schulleiter am Josef-Effner-Gymnasium, sollen Eltern in einem Schreiben des Landratsamts zufolge nochmals inständig um ihre Unterstützung bei der Bekämpfung der Pandemie gebeten werden. Ein großes Bündnis aus Politikern, Ärzten, Schulleitern und Künstlern soll den Appell unterschreiben.

Ärztliche Versorgung

Am Donnerstag protestierten Pflegekräfte vor dem Helios-Amper-Klinikum für mehr Lohn. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die medizinische Versorgung im Landkreis ist trotz der steigenden Fallzahlen bislang gesichert. Die Bereitschaftspraxen der Kassenärztlichen Vereinigung haben noch ausreichend Kapazitäten; Schutzausrüstung sei genügend vorhanden. Auch die Lage im Helios Amper-Klinikum gestaltet sich noch einigermaßen entspannt. Von den aktuell 30 Intensivbetten, die für Corona-Patienten zur Verfügung stehen, waren, Stand Donnerstag, zwei belegt. Unzufriedenheit macht sich indes beim Pflegepersonal des Krankenhauses breit. Etwa 20 Mitarbeiter haben am Mittwoch vor dem Krankenhaus wegen schlechter Arbeitsbedingungen demonstriert. Das Personal fordert mehr Geld. Bereits am Dienstag hatten sie dem Landrat eine Petition für eine Ballungsraumzulage mit 6500 Unterschriften vorgelegt.

Zugesperrte Lokale

"Für uns ist das ein gnadenloser Lockdown, der die Branche in den Ruin treibt", sagt Michael Groß, Dachauer Kreisvorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands. Viele Betriebe werden den neuerlichen Lockdown nicht überleben, davon ist er überzeugt. Obwohl die Infektionszahlen in der Gastronomie verschwindend gering seien und die Wirte viel Geld für ausgeklügelte Hygienekonzepte ausgegeben hätten, würden sie durch den "Aktionismus" der Politik nun abgestraft. Tatsächlich dürften nun zahlreiche Betriebe vor dem Aus stehen. Bereits in den vergangenen Wochen war die Zahl der Gäste wegen der Angst vor Ansteckung und der Sperrstunde dramatisch eingebrochen. Auch ohne Lockdown steht Bars wie dem Dachauer Rauchfang das Wasser schon jetzt bis zum Hals.

© SZ vom 30.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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