Dachau:Rock über die Helfer von Auschwitz

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Vor dem Wachturm des ehemaligen Konzentrationslagers tritt die polnische Post-Rock Band "Besides" im Innenhof des Klosters Karmel Heilig Blut auf. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die polnische Post-Rock Band "Besides" lässt die Mauern erzittern und das Kopfsteinpflaster im Innenhof des Klosters Karmel Heilig Blut in Dachau erbeben. In den Songtexten geht es um Menschen, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens, den Häftlingen im Konzentrationslager Auschwitz geholfen haben.

Von Petra Neumaier, Dachau

Dasselbe Thema, dieselbe Melodie, gespielt von Violinen und Cello. Harmonisch, sanft, leicht. Heile Welt. Dann - urplötzlich - das Schlagzeug. Die Bässe. Das Chaos. Und von einem Moment auf den anderen erzählt die Anfangsmelodie, gespielt mit den gleichen Instrumenten, eine ganz andere Geschichte. Eine der Angst, der Verzweiflung, der Trauer. "Hannah" heißt das Lied der polnischen Post-Rock Band "Besides", die am Samstag im Innenhof des Klosters Karmel Heilig Blut, den Wachturm des ehemaligen Konzentrationslagers im Rücken, lautstark ihr neues Album vorstellte: Es heißt "Bystanders" und ist all jenen Menschen gewidmet, die - unter Einsatz ihres eigenen Lebens - den Gefangenen im Konzentrationslager Auschwitz geholfen haben.

Ordensschwestern votierten einstimmig für das Rockkonzert

Bei der Veranstaltung werden auch 33 Jahre Künstlerfreundschaft und sieben Jahre Landkreispartnerschaft zwischen Dachau und Oświęcim gefeiert. Der Innenhof des Klosters ist schnell gefüllt. Überall Händeschütteln, fröhliches Wiedersehen: Man kennt sich nach so vielen Jahren, hat so viel Verbindendes erlebt und gefunden. Nicht nur wegen der beiden Konzentrationslager, deren grausame Vergangenheit die beiden Orte teilen. Gekommen sind rund 150 Gäste, darunter Organisatoren, Landrat Stefan Löwl (CSU) und sein polnischer Kollege Andrzej Skrzypiński, Kreisräte, Künstler aus Polen und Dachau, Jugendliche aus "der ganzen Welt" der beginnenden 36. Internationalen Jugendbegegnung.

Bernadetta Czech-Sailer, rechte Hand des Dachauer Landrats, Mit-Organisatorin und Betreuerin der Gäste, strahlt. Auch für sie ist das bevorstehende Konzert an diesem außergewöhnlichen Ort ein ganz besonderer Moment. Denn es war ihre Idee, die Band aus dem befreundeten Landkreis einzuladen und das Konzert in diesem Innenhof stattfinden zu lassen. Doch sie wagte es kaum zu hoffen, dass ihre Idee realisiert wird. Ihre Dankbarkeit gegenüber den Ordensschwestern sei entsprechend groß, wie auch die ihres Chefs: "Lassen Sie uns die Lebensfreude, das Leben und die Freundschaft feiern", sagt Löwl in seiner Rede - ohne die Schrecken des Ortes und die damit verbundenen Leiden der Menschen zu vergessen. Auch sein polnischer Amtskollege ist voller Vorfreude. "Über 1000 Kilometer bin ich gefahren, um das Konzert der Band aus meiner Heimat zu hören", witzelt er, der viele Wege in, mit und aus der Vergangenheit für begehbar hält. Dazu zählt er auch das Konzert "seiner" Heimat-Band, der er eine internationale Zukunft voraussagt.

In den sonst so stillen Innenhof bringt "Besides" eine gewaltige Geräuschkulisse. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Vier große Boxen, drei E-Gitarren, ein Schlagzeug, drei Violinen, ein Cello. Und ganz viele Geräusche, Töne, Stimmen aus dem Off: Ob die 14 Ordensschwestern mit einer solch gewaltigen Geräuschkulisse gerechnet haben, als sie einstimmig dafür votierten, die Band in ihrem sonst so stillen Innenhof auftreten zu lassen? Ihren Gesichtern ist die Antwort nicht abzulesen. Lächelnd bis konzentriert verfolgen sie das Konzert, das die Mauern erzittern und das Kopfsteinpflaster zuweilen beben lässt. Nur eine von ihnen zieht sich ins Haus zurück, die Finger in die Ohren gesteckt. Doch sichtlich amüsiert beobachtet sie durch das Fenster die Gäste, die begeistert das Konzert aufnehmen und später nicht müde werden, weitere Zugaben zu fordern. So etwas hat das Kloster in seinen bald 60 Jahren wohl noch nicht erlebt.

Krankenschwester Hannah versorgte Häftlinge heimlich mit Nahrungsmitteln

Intensiv sind die Klänge, eindringlich die Melodien. Mitreißend die Kombination der klassischen und modernen Instrumente und Kompositionen. Zunächst zögerlich, kommt immer mehr Bewegung in das Publikum - außerhalb der beiden Regenschauer, die es unter das Dach des Kreuzganges treibt. Köpfe bewegen sich im Takt, Hände klopfen den Rhythmus auf den Oberschenkeln. Jedes andere Rockkonzert hätte vielleicht einen unsensiblen Beigeschmack an einem so sensiblen Ort gehabt. Doch in diesem Fall ist es anders. Die sensationelle Band macht nicht nur Musik. Sie erzählt Geschichten, erinnert, auf dass nicht vergessen wird. Und sie verbindet Menschen. Ohne gesungene Worte. Einfach nur mit Musik, die oft mehr sagen kann. Dennoch schade, dass die Geschichten hinter den Stücken verborgen bleiben. Die Gänsehaut wäre noch größer gewesen.

Doch im Internet sind die Inhalte nachzulesen. Die Geschichte von Hannah, sie war Krankenschwester, versorgte Häftlinge heimlich mit Nahrungsmitteln und steckte sich nach der Befreiung mit Tuberkulose an: 23 Jahre wurde sie nur alt. Oder die Geschichte der Bergarbeiter, die ihren Häftlingskollegen immer wieder etwas zu Essen oder Nachrichten zusteckten. Berührend auch die Geschichte des Postbeamten, der für seine Hilfsbereitschaft geköpft wurde. Sogar den Kindern, die traumatisiert überlebten, ist ein Lied gewidmet.

Alles andere als besinnlich ist das letzte Lied, in dem das Motiv "O Tannenbaum" musikalisch eine trügerische Rolle spielt. Denn das Stück erinnert an den Heiligen Abend 1940, als die Deportierten getötete Mitgefangene unter den Baum gelegt bekommen hatten. All diese und andere Geschichten spielen sich die Musiker von der Seele. Gefeiert vom Publikum, das mitgerissen wird von der Musik und dem Gefühl, dass mehr dahinter verborgen sein muss. Wie der polnische Landrat schon sagte: "Es gibt viele Wege".

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