Kabarett in Bergkirchen:Subversiver Einsatz der Waffe Wort

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Sebastian Schlagenhaufer (Bild) und Ramon Bessel lassen den tiefen Sinn, den Mut, die Wut, aber auch die Verzweiflung ihrer Kollegen während der Zeit der Nazi-Diktatur wieder aufleben, geben ihnen Gesicht und Stimme. (Foto: Toni Heigl)

Sebastian Schlagenhaufer und Ramon Bessel treten in der Alten Schule Lauterbach mit "Operation HEIL!Kräuter - Kabarett im Dritten Reich" auf.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Mit Humor, Witz und Satire gegen Terror und Krieg? Geht das überhaupt? Ja - und wie. Das zeigten am Samstagabend Sebastian Schlagenhaufer und Ramon Bessel in der Alten Schule Lauterbach mit "Operation HEIL!Kräuter - Kabarett im Dritten Reich". Mit dem Titel hat es eine besondere Bewandtnis. "Der Herr Hitler kann froh sein, dass er nicht Kräuter heißt. Sonst müssten wir immer Heil Kräuter rufen", hat Karl Valentin 1946 gesagt. Da waren viele der bekannten und unbekannten Kabarettisten, die teils unter Lebensgefahr mit Worten gegen die Nazi-Diktatur gekämpft hatten, im Exil oder von den braunen Schergen ermordet worden.

Schlagenhaufer und Bessel werfen in ihrem Programm mehr als Schlaglichter auf diese Persönlichkeiten. Mit Songs, Gedichten, Worten und in kleinen Szenerien zeigen sie, wie subversiv diese Künstler die Waffe Wort eingesetzt haben, wie sich weit über die Bühnen hinaus die flotten Sprüche mit dem todernsten Hintergrund verbreitet haben. Ihnen gelingt es, oft mit vollem Körpereinsatz, den tiefen Sinn, den Mut, die Wut, aber auch die Verzweiflung ihrer Kollegen aus schlimmeren Zeiten nachzuempfinden, ihnen Gesicht und Stimme zu geben. Das machen sie übrigens an einem besonderen Ort: Die ehemalige Lauterbacher Schule, heute ein Bürgerhaus, war während des NS-Regimes eine Ausbildungsstätte für künftige Hitlerjugend-Führer - und wurde zudem als Lager für alle möglichen Lebensmittel genutzt.

"Das hat jeder gewusst"

Die 86-jährige Josefine Hadamek erinnert sich noch genau, wie nächtens Zwangsarbeiter Zutaten für die Fleischverarbeitung auf Schubkarren nach Dachau transportieren mussten. "Das hat jeder gewusst", sagt sie noch vor Beginn der Vorstellung. Und dann spannt das Duo Schlagenhauer und Bessel einen weiten Bogen. Mit kenntnisreicher Lust singen, spielen und erzählen die beiden Kabarettisten etwa vom Sprachkünstler Werner Finck und seiner legendären Berliner "Katakombe". Die war den Nazigrößen Göbbels und Göring schnell mehr als ein Dorn im Auge. Finck bewegte sich auf dünnem Eis, immer beobachtet von Spitzeln.

1935 ließ Goebbels die "Katakombe" schließen. Anlass war Fincks Sketch "Beim Schneider", ein Meisterstück kaum versteckter Verhöhnung. Da bleibt das Lachen im Halse stecken, wenn es heißt "Ich habe neuerdings eine ganze Menge (Anzüge) auf Lager" sagt der Schneider. Und der Kunde antwortet: "Aufs Lager wird ja alles hinauslaufen". Fink wurde verhaftet, kam ins KZ Esterwegen. Die "Katakombe" musste wegen "Vergehens gegen das Heimtückegesetz" schließen. Finck kam wieder frei, meldete sich freiwillig zum Wehrdienst, um einer weiteren Verhaftung zu entgehen - und überlebte.

Der österreichische Kabarettist Erich Grünbaum starb im KZ Dachau

Erika Mann musste bereits 1933 mit ihrem Kabarett "Pfeffermühle" in die Schweiz und später in die USA emigrieren. Ihr Lied "der Prinz von Lügenland" mit angemessenem Pathos von Ramon Bessel, dem Mann am Klavier, zu Gehör gebracht, könnte ebenso gut gewisse aktuell agierende Politiker nicht nur in Deutschland beschreiben, so entlarvend aktuell schildert es die Folgen von Fake News und "Alternativen Wahrheiten". Für die österreichische Kabarettszene wurde die Situation gleichfalls immer gefährlicher. Auch für das Multitalent Fritz Grünbaum, dessen aufrüttelndes Gedicht "Böse Zeiten" so schnell nicht mehr aus dem Kopf verschwindet. Grünbaum wollte nach dem Einmarsch der NS-Truppen in Österreich fliehen, wurde gefasst und starb schließlich 1941 im KZ Dachau. Erschütterung ist im Publikum zu spüren, weil das für gewöhnlich so ferne Schicksal jüdischer Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus plötzlich so nahe ist. Echt gruselig wird es bei "Leben und Lieben im Dritten Reich". Hinter dem so harmlos daherkommenden Titel und der gemütvollen Heurigenmusik versteckt sich das erbarmungslose Lebensborn-Konzept, eine der vielen Perversionen der Nazis in Sachen "arische Menschen".

"Englisch inhalieren", war das Stichwort für das verbotene Hören des britischen Senders BBC. Dort gab es mehr als vierhundert Sendungen mit dem schönen Titel "Briefe des Gefreiten Hirnschal" von Robert Ehrenzweig, einem österreichischen Sozialisten und Kabarettisten, den die Nazis ins Londoner Exil gezwungen hatten. Das war eine der wenigen Informationsmöglichkeiten über den wahren Verlauf des Krieges. Das gilt bekanntlich teilweise auch in Sachen der aktuellen "militärischen Spezialoperation" Russlands. Ebenso lässt sich Martin Millers "Der Führer spricht" aufs Heute übertragen. Den Machtfantasien Hitlers in diesem Glanzstück stellt das Kabarett-Duo Putins Rede zur Teilmobilmachung in Russland an die Seite - und die Parallelen sind erschreckend. Bleibt der tröstliche Schluss dieser erkenntnisreichen Veranstaltung: "Wir können dankbar sein, dass wir in einem Land leben, in dem jeder seine Meinung äußern darf", sagt Schlagbauer. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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