Hoftheater Bergkirchen:Die Retterin der Stundenblumen

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Der vor Lebenslust strotzende Gigi (Tobias Zeitz) umschwärmt das Mädchen Momo (Sarah Giebel). (Foto: Toni Heigl)

Die Sommeraufführung von "Momo" war ein Riesenerfolg. Jetzt hat Regisseur Herbert Müller das Stück für die Bühne gekürzt. Das Publikum ist bei der Premiere begeistert.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Selbstoptimiererinnen, Kontrollfreaks oder Karrieresüchtige, aber auch Helikopterväter und Single-Mütter wissen ein trauriges Lied vom sogenannten Zeitmanagement zu singen, das sie irgendwann in einem völlig überteuerten Kurs gelernt haben. Es klappt mehr oder weniger, doch geht es viel zu oft mit dem Verlust von Lebensqualität und Lebensfreude einher. Die Zeit wird zur Diktatorin, heute unterstützt von diversen Gerätschaften, die scheinbar endgültig die Herrschaft übernommen haben - von der gefürchteten Künstlichen Intelligenz gar nicht zu reden.

Was das mit den Menschen macht, hat Michael Ende in seinem großartigen Roman "Momo" schon vor 50 Jahren aufgeschrieben, zu einer Zeit also, in der von Smartphone, Meetings und Burnout noch nicht die Rede war. Vita Huber hat daraus ein Theaterstück gemacht, das das Hoftheater Bergkirchen im vergangenen Sommer auf großer Bühne, mit viel "Personal" und riesigem Erfolg aufgeführt hat. Nun ist Winter. Und die Bühne des Hoftheaters misst gerade vier mal vier Meter. Unmöglich also, alle Protagonisten unterzubringen.

Eine dichte, eindrucksvolle Inszenierung

Regisseur Herbert Müller hat daher das märchenhafte Stück noch einmal bearbeitet und gekürzt. Ausstatterin Ulrike Beckers hat die Kulissen angepasst. Die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler haben ihre wechselnden Rollen und Charaktere neu erarbeitet, eine großartige Leistung. So ist eine dichte, eindrucksvolle Inszenierung entstanden, fast ein Kammerspiel, das junge und ältere Menschen zum Nachdenken über das eigene Leben, über den Umgang miteinander, über Liebe und Respekt einlädt. Am vergangenen Samstag war die begeistert gefeierte Premiere.

Alles beginnt in einem verfallenen Amphitheater, dem Treffpunkt der kleinen Leute aus dem Viertel. Eine Stimme aus dem Off (Herbert Müller) nimmt das Publikum mit auf die unglaubliche Reise von Momo und ihren Freunden. Doch zunächst hat der vor praller Lebenslust nur so strotzende Gigi (Tobias Zeitz in Hochform) seinen großen Auftritt. Er schmettert ein mitreißendes "Azzurro" und unterhält seine Nachbarn mit fantasievollen Geschichten - bis plötzlich Momo auftaucht.

Momo hat eine seltene Gabe

Sarah Giebel ist das Mädchen mit der warmen Stimme, dem unschuldigen Lächeln, dem wachen Blick und dem zugewandten Wesen - abgerissene Klamotten hin oder her. Friseur Fusi (Ansgar Wilk als Paragrafenreiter, der seine gute Seele gekonnt zu verbergen weiß) will Momo ins Heim abschieben, doch seine Nachbarn gewinnen den Disput. Momo bleibt, lebt im Amphitheater, jeder kümmert sich um sie - und sie kümmert sich um jeden. Denn sie hat eine selten gewordene Gabe: Sie kann zuhören. Alles in Butter also, bis eines unschönen Tages ein grauer Mensch, eine Frau im strengen Business-Outfit, mit dominanter Attitüde und stahlharter Stimme auftaucht.

Jessica Dauser spielt diesen auf Effizienz und Gewinnmaximierung gedrillten weiblichen Kotzbrocken so überzeugend, dass einen das Gruseln überkommt. Die ausgefuchste Zeitdiebin macht eine sekundengenaue, abgrundtief böswillige Rechnung auf, wie viel Zeit Herr Fusi mit Besuchen bei seiner alten Mutter und dem gelähmten Fräulein Dari verschwendet, Zeit, die er besser in ihre Zeitsparkasse investieren sollte. Herr Fusi fällt prompt auf die Betrugsmasche herein und lebt fortan nach dem Motto: Zeit ist Geld.

Die Schauspieler und Schauspielerinnen des Bergkirchener Hoftheaters spielen teils wechselnde Rollen. Hier stehen Ansgar Wilk, Sarah Giebel, Tobias Zeitz und Lucca Rabenstein auf der Bühne. (Foto: Toni Heigl)

Aus dem netten Friseur wird der unerbittliche, selbstverliebte Chef der Zeitsparkasse im grauen Anzug. Er schafft es, die Zeit sämtlicher Menschen zu stehlen. Nur zwei von ihnen leisten Widerstand: der Hallodri Gigi und die unerschütterlich an das Gute glaubende Momo; Gigi umschwärmt Momo auf seine unbeholfene Art und zaubert Romantik à la 1000 und eine Nacht auf die Bühne. Doch auch er verfällt irgendwann den Grauen, wird ihr Instagram-Influencer und legt einen unfassbar guten Werbe-Rap hin.

Das Mädchen Momo dagegen bleibt standhaft: Sie bemitleidet die Automatenfrau Bibigirl (eine völlig schräge Lucca Rabenstein im total verrückten Outfit), denn "was dieser vollkommenen Puppe fehlt: Man kann sie nicht lieben". Doch die Grauen treiben auch Momo immer mehr in die Enge. Bis in letzter Sekunde die Schildkröte Kassiopeia (Lucca Rabenstein) auftaucht. Sie ist keine gemächlich durch die Gegend walzende Vertreterin ihrer Art, vielmehr ein von Kopf bis Fuß roter Wirbelwind, der nur zu gerne an einer Gurke knabbert.

Im Nirgendhaus regiert Meister Hora

Kassiopeia führt Momo ins Nirgendhaus. Dort regiert Meister Hora, der Herr der Zeit. Im Hoftheater ist das eine wahre Meisterin, eine elegante Frau, die über den Dingen zu schweben scheint. Jessica Dauser spielt dieses ätherische Wesen mit großem Einfühlungsvermögen und zarten Gesten. Meisterin Hora kennt das Geheimnis der Grauen, die den Menschen ihre Zeit stehlen müssen, um die geheimnisvollen Stundenblumen zu ergattern. Diese lagern sie in riesigen Bunkern, drehen aus ihnen dicke Zigarren, die sie pausenlos rauchen müssen, um zu überleben. Momo und Kassiopeia gelingt es, die Grauen zu überlisten. Sie geben den Menschen ihre Zeit zurück. Was diese damit anfangen, ob jetzt alles wieder azzurro, also himmelblau, wird, bleibt ihnen überlassen. Momo jedenfalls hat nun alle Zeit der Welt für eine zarte Romanze mit Gigi.

Weitere Vorstellungen: Samstag, 16. Dezember um 20 Uhr, Montag, 1. Januar 2024, um 17 Uhr.

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