Ausstellung in Dachau:Ansichten einer Hose

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In Anton Wirthmüllers Reihe "Kernzone Rot" kann man vor lauter Farbe die verwendeten Objekte oft nur noch mit Mühe identifizieren. (Foto: Toni Heigl)

Unter dem Titel "Flexible Areale" zeigen Annegret Bleisteiner und Anton Wirthmüller in der Neuen Galerie ungewöhnliche Installationen, bei denen es sich eigentlich um Malerei im Raum handelt.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Annegret Bleisteiner ist in der Münchner Kunstszene schon lange bekannt für ihre farbenfrohen Installationen. Aus quietschbunten Kunststoffbändern kreiert sie geometrische Objekte, die sie oft noch mit persönlichen Fundstücken aus Plastik anreichert: ein Spektakel zwischen großer Kunst und Wegwerframsch. Der in Berlin lebende und arbeitende Künstler Toni Wirthmüller ist ebenfalls kein Unbekannter. In Odelzhausen aufgewachsen und in Dachau zur Schule gegangen sorgt er mit seinen vielschichtigen Textil-Assemblagen - er selbst bezeichnet sich ironisch als "Schicht-Arbeiter" - schon seit geraumer Zeit für viel Oho und Aha im Kunstbetrieb.

Die beiden haben bereits in Maastricht und München gemeinsame Ausstellungen bestritten. Jutta Mannes vom Zweckverband Dachauer Galerien und Museen hat das kongeniale Duo nun zu ihrem dritten Streich nach Dachau geholt, und man darf gespannt sein, ob das Publikum von der Wucht der künstlerischen Ideen überwältigt, angenehm irritiert oder schlichtweg überfordert sein wird. Langweilig ist diese Schau mit dem dehnbaren Titel "Flexible Areale" jedenfalls nicht. Was man hier zu sehen bekommt, oszilliert zwischen Schönheit und Verstörung, persönlichem Statement und Projektionsfläche.

So unterschiedlich die Werke der beiden Künstler auf den ersten Blick wirken, eines haben sie gemeinsam, wie Ausstellungsmacherin Jutta Mannes erläutert: "Beide kommen aus der Malerei." Bleisteiner etwa verwende "Plastikbänder wie Buntstifte": In waagerechten Streifen aneinandergereiht ergeben sie bunte Flächen, die sich mal als plane Wandverkleidung, mal als dreidimensionale raumhohe zeltartige Objekte in den Ausstellungsraum integrieren. Das sieht sehr schick aus, vor allem, wenn die Sonne schräg durch die Fenster fällt und die Plastikbänder zum Strahlen bringt. Fast wie gemalt schaut das dann aus, was, wie gesagt, ja auch kein Zufall ist.

"Angriff auf das geübte Auge"

Für eine Frau sei die Malerei eigentlich "ein schlechter Bezugspunkt", hat Bleisteiner einmal zu Protokoll gegeben, weil die Malerei halt doch "überwiegend männlich geprägt" sei. Als feministische Künstlerin lässt sie sich davon nicht abschrecken. Bleisteiner mischt kräftig mit. Besser gesagt: Sie mischt ordentlich auf. "Bei mir geht es auch immer um einen Angriff auf das geübte Auge des Kunstbetrachters", formuliert sie ihren Ansatz. "Schöne Bilder werden genug gemalt. Bei einer Installation muss auch immer noch so ein kleiner Stachel dabei sein."

In früheren Ausstellungen hat Bleisteiner die Ästhetik ihrer Installationen oft konterkariert durch eine Flut gesammelter Kunststoffobjekte. Das ist nicht nur plakative Darstellung der verschwenderischen Überfülle unser Konsumwelt, sondern auch kritische Selbstreflexion. Bleisteiner sehe sich ja auch selber als "Kind des Kunststoffzeitalters", erzählt Kuratorin Jutta Mannes. Diese Ambivalenz zum schönen und im Alltag so praktischen Plastik, das sich zugleich pestilenzartig in Meeren, ja sogar menschlichen Blutbahnen verbreitet, findet ihre adäquate Ausdrucksform in einer gewissen Doppelbödigkeit und Ironie. "Bleisteiner macht immer wieder Installationen, die absurde Versuchsanordnungen sind", sagt Mannes.

Annegret Bleisteiner verwendet Kunststoffbänder wie Buntstifte. (Foto: Toni Heigl)
"Endless Wave" ist ein Wortschwall auf Plastikbändern von Annegret Bleisteiner. (Foto: Toni Heigl)

Das illustriert ihre zweite große Installation dieser Ausstellung, "Endless Wave" anschaulich. Dabei handelt es sich um einen durch den ganzen Raum wogenden Strom parallel angeordneter schwarzer und weißer Plastikbänder, die sich wie ein hübscher kleiner Wasserfall nach wenigen Metern bildlich auf dem Boden ergießen. Beschriftet sind die Bänder mit einer fortlaufenden Beschreibung des Projekts "Endless Wave". Ewig ist hier nur der Textschwall. Die Plastikwelt verspricht mehr als sie halten kann.

Die "Fragmente der Erinnerung" baumeln an einem Fleischerhaken

Farbig geht es auch bei Toni Wirthmüller zu, bei dem klar die Farbe Rot dominiert, was manchen Arbeiten den Anschein des Rohen und Blutigen gibt. Am beunruhigendsten tritt diese Wirkung in seinen "Fragmenten der Erinnerung" von 2018 zutage: An einem Fleischerhaken hängt wie der Kadaver eines Schlachttiers ein mit roter Farbe bespritztes sackartiges Gebilde, an denen mehrere Enden mit dickem Tape abgebunden sind, sodass sich die Form herausstehender Knochen andeutet.

Das "begehbare Bild" von Toni Wirthmüller besteht aus mehreren Schichten von Textilien. (Foto: Toni Heigl)
Auch alte Familienfotos integriert Wirthmüller in seine Arbeit. Hier ein Gruppenbild mit drei Antons der Familie. (Foto: Toni Heigl)

Verspielt, fast heiter sind dagegen seine collagenhaften Bildobjekte, in denen aufgetrennte Hosen und Hemden zu Leinwänden mit Taschen und Knöpfen werden, die mit Drucken alter Familienfotos kombiniert werden. Die Leinwand ist schließlich ein Textil, warum also sollte man nicht umgekehrt auch das Textil als Leinwand verwenden?

Die aufsehenerregendste Arbeit dieser Ausstellung dürfte aber zweifellos die Installationen mit dem Titel "Kernzone Rot - Decoding" sein. Auf den ersten Blick mutet diese raumgreifende Installation an wie ein chaotisches Bühnenbild, das in rotes Scheinwerferlicht getaucht ist. Boden und Wände sind mit Textilien bedeckt, Säcke, Matratzen, aufgetrennte und flächig zerschnittene Hemden und Hosen, leere Verpackungsformen, eine Holzplatte, die mit einer Netzstrumpfhose bespannt ist; die leeren Beinhüllen hängen schrumpelig von den Ecken wie zwei traurige Exemplare erschlaffter Männlichkeit.

Rot angeleuchtet ist hier übrigens gar nichts, das wirkt nur so, Wirthmüller hat die gesamte Anordnung textiler Stücke in rote Farbe getränkt: in knalliges Echtrot und ein etwas kühleres Magenta, was diesen Raum vor dem Auge immer wieder flächig verschwimmen lässt. Sieht man das Ganze aus der Perspektive des Malers, wie Wirthmüller das tut, ergibt sich eine andere Perspektive, nämlich dass diese Installation im Grunde genommen nichts anderes ist als ein riesiges "begehbares Bild". Was jetzt aber auch nicht heißen soll, dass jeder Besuch nach Lust und Laune und womöglich noch mit seinen schmutzigen Straßenschuhen in dieses Bild einfach hinein latschen darf.

Der Künstler präsentiert eine Art "Wallfahrtsstätte"

Früher hat Wirthmüller vor allem mit den Farben Blau und Schwarz gearbeitet, seit zwei Jahren, also etwa so lange wie die Corona-Pandemie die Welt schon in ihrem Würgegriff hält, ist Wirthmüllers Schaffen in eine "Rote Periode" eingetreten. Die Wärme, die Nähe, das Körperliche habe in dieser Zeit des Abstandhaltens und Sich-Absonderns wohl eine stärkere Bedeutung erlangt, lautet Mannes' Lesart, und wie sollte man in dieser flirrenden Rotlichtszenerie nicht eine sublime Erotik vermuten? Der Künstler liefert dem Betrachter genügende Andeutungen in dieser Richtung - aber eben auch unzählige andere. Eindeutig ist hier gar nichts. Dieser Raum bleibt ein "Vorstellungs-Raum".

Für Anton Wirthmüller ist es aber weitaus mehr als das. "Für ihn ist das so eine Art Wallfahrtsstätte", sagt Jutta Mannes. In der Installation zeige er "Dinge, in denen eine persönliche Geschichte eingeschrieben" ist: seine alten Turnschuhe, die er im Atelier immer trägt - rotgefärbt, Hosen und Hemden, die er oder Freunde von ihm getragen haben - rotgefärbt - ein alter Mehlsack der Wirthmühle - rotgefärbt, dazu die auf Textilien gedruckten Detailaufnahmen seiner Hände.

Nicht alles liegt am Boden oder hängt an den Wänden, manche Textilien sind auf Stöcken und Stäben aufgepflanzt, sodass die Werkstücke wirken wie Fahnen einer Prozession. "Es ist eine sehr persönliche Arbeit", sagt Mannes. Immer wieder integriert Wirthmüller auch Textildrucke alter Familienfotos in seine Arbeiten. Eines zeigt den Künstler als kleinen Pimpf mit Vater und Großvater. Alle drei heißen: Anton Wirthmüller. Ein profanes, aber anrührendes Bild der Dreifaltigkeit.

Flexible Areale. Installationen von Annegret Bleisteiner und Toni Wirthmüller. Neue Galerie Dachau. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und Feiertag 13 bis 17 Uhr. Zu sehen bis 17. Juli.

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