Gerichtsprozess:"Straftaten gesammelt wie andere Sticker"

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Der Fall des 18-jährigen Karlsfelders wird vor dem Dachauer Amtsgericht verhandelt. (Foto: Toni Heigl)

Das Amtsgericht Dachau verurteilt einen 18-Jährigen wegen Körperverletzung. Der Karlsfelder hatte einen Jugendlichen am Indersdorfer Bahnhof verprügelt. Aktuell sitzt er bereits wegen anderer Delikte im Gefängnis - dort muss er nun länger bleiben.

Von Morris Zalesjak, Dachau

In Handschellen wird der Beschuldigte von zwei Polizisten in den Verhandlungsaal geführt. Der 18-Jährige trägt Vollbart, die langen Haare sind nach hinten gegelt. Er sitzt bereits seit ein paar Monaten in einer Jugendvollzugsanstalt wegen früherer Delikte ein. Vor dem Dachauer Amtsgericht muss er sich nun wegen vorsätzlicher Körperverletzung verantworten. Das Gericht brummt ihm dafür schließlich noch weitere sieben Monate im Gefängnis auf.

Die Tat, wegen der er an diesem Donnerstagmorgen auf einem Holzstuhl im Sitzungssaal sitzt, spielte sich im Spätsommer des vergangenen Jahres in der Nähe des Bahnhofs Markt Indersdorf ab. Das Opfer, ebenfalls ein Jugendlicher, ist bei dem Gerichtsprozess nicht anwesend, Richter Christian Calame verließt dessen schriftliche Stellungnahme.

Mit der Faust ins Gesicht geschlagen

Er sei damals auf der Straße von einer größeren Gruppe angesprochen und in einen Streit verwickelt worden, heißt es darin. Nach einem Austausch von Beleidigungen habe der Angeklagte dem Opfer mehrere Male mit der Faust ins Gesicht und auf den Hinterkopf geschlagen. Als das Opfer schließlich versucht zu flüchten, sei ihm so stark in den Brustkorb getreten worden, dass es zu Boden sackte und mehrere Minuten nach Luft rang.

Eine zentrale Frage, die nun vor dem Amtsgericht verhandelt wird, ist die, ob der Angeklagte allein gehandelt hat oder nicht. Schließlich heißt es in den Aussagen des Opfers und seines Freundes, der in der Tatnacht vor den Angreifern geflohen war, es habe sich um eine größere Gruppe gehandelt. Aus diesem Verdacht, dem gemeinschaftlichen Handeln, wie es im Gesetzestext heißt, basiert der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung. Für den bereits in Jugendhaft sitzenden Karlsfelder würde dies laut dem Gericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens dreieinhalb Jahren oder mehr bedeuten.

"Außerdem war ich zu der Zeit voll auf Lachgas"

"Sie wissen jetzt, wo die Reise hingehen kann", sagt der Richter nach dem Verlesen der Anklage. Ob der Angeklagte dem Gericht die Namen seiner Mittäter nennen könne, will er wissen. Der Angeklagte verneint, er wolle sich vorerst nicht zu den Vorwürfen äußern. Kurze Pause. Die Verhandlung wird für ein Rechtsgespräch zwischen Angeklagtem und seiner Anwältin für 15 Minuten unterbrochen, als sie wieder hereinkommen, ist er doch bereit, von der Tat zu berichten.

"Das stimmt so, was passiert ist", sagt der 18-Jährige unumwunden und fügt an, dass er allein gehandelt habe. "Es tut mir leid." Das ist ein Geständnis - doch Richter Calame reicht das noch nicht. Er habe sich beleidigt gefühlt, räumt der Angeklagte daraufhin weiter ein. "Außerdem war ich zu der Zeit voll auf Lachgas." Die Gruppe, mit der er unterwegs gewesen sei, sei allerdings "20 bis 30 Meter" entfernt gewesen. Zugeschlagen und getreten habe nur er. Die gefährliche Körperverletzung ist ohne weitere belastende Zeugen vom Tisch, Staatsanwaltschaft und Verteidigung einigen sich auf den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung.

Die Kosten des Verfahrens muss der 18-Jährige nicht tragen

Vor der Beweisaufnahme wird die Vergangenheit des Angeklagten noch einmal zum Thema. Der 18-Jährige habe "Straftaten gesammelt wie andere Sticker", sagt Richter Calame. Drogenhandel, Raub, Diebstähle und mehrere Körperverletzungsdelikte zählen zur Vergangenheit des jungen Mannes. Dafür muss er aktuell bereits eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verbüßen.

Die Staatsanwaltschaft schlägt vor, die Haftstrafe auf insgesamt drei Jahre zu verlängern, die Verteidigung plädiert auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Die Verfahrenskosten, da sind sich beide Parteien einig, müssen nicht vom Angeklagten übernommen werden. Auch, weil er bei seinem Malerjob im Gefängnis gerade einmal 1,61 Euro pro Stunde verdient.

Am Ende lautet das Urteil zwei Jahre und zehn Monate, also sieben Monate zusätzliche Haft. Calame begründet die Entscheidung des Schöffengerichts damit, dass der Angeklagte den Eindruck mache, als hätte er "noch überhaupt nichts verstanden". Wäre der Vorstrafenkatalog des 18-Jährigen nicht so dick, wäre die Strafe wahrscheinlich noch zur Bewährung ausgesetzt worden. Richter Calame schließt die Urteilsbegründung mit den Worten: "Ich hoffe, dass Sie es irgendwie schaffen, da rauszukommen, und ein normales Leben führen können."

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