SZ-Serie: München natürlich:Corona-Ausgangsbeschränkungen sind ein Segen für Münchens Gänse

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Eine Graugans mit ihren Jungen (Foto: Silke Sorge)

Die Tiere können nun weitgehend ungestört brüten. Im Englischen Garten gibt es allerdings ein Problem.

Von Thomas Anlauf

Silke Sorge ist beruhigt. Vor fünf Tagen haben zwei Grauganspärchen im Nymphenburger Schlosspark Nachwuchs bekommen. Inzwischen haben auch die Nonnengänse zu brüten begonnen. Und im Botanischen Garten nistet in diesem Jahr ein Paar Kanadagänse. Um den Nachwuchs der seltenen Streifengänse steht es allerdings in diesem Jahr schlecht. "Die brüten nur am Kleinhesseloher See", sagt die Biologin. Doch der ist seit November von der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung erstmals seit 1986 abgelassen worden, die Streifengänse sitzen auf dem Trockenen. Sollte der See nicht bis spätestens Ende der Woche wieder mit Wasser gefüllt sein, "fällt für die Gänse die Brutzeit wohl aus", befürchtet Sorge.

Vier Gänsearten leben in München, die einen brüten hier, andere fliegen eigens zur Mauser bis zu eintausend Kilometer her, um hier ihr Gefieder zu erneuern. "Der Kleinhesseloher See ist ein überregional bedeutsames Mausergebiet", sagt Silke Sorge. Sie gilt in München als Expertin, was Gänse angeht, selbst angesehene Biologen bescheinigen ihr, so ziemlich jede Gans in der Stadt persönlich zu kennen. Man glaubt es sofort, wenn sie aufzuzählen beginnt: "In Winter sind hier 46 Nonnengänse, aber ich vermisse derzeit sechs Stück. Um die Nonnengänse mache ich mir im Moment die meisten Sorgen." Die Population der Streifengänse wiederum schwankt zwischen 22 und 30, Graugänse kommen in München am häufigsten vor. Vor zehn Jahren waren es schätzungsweise etwa eintausend Gänse, "eventuell sind es heute auch ein paar mehr", sagt Silke Sorge.

Die vier in München vorkommenden Gänsearten kommen sich normalerweise nicht in die Quere. Die Graugänse beispielsweise ziehen zu Hunderten im Hochsommer aus Mittelfranken nach Blutenburg und in den Schlosspark. "Da geht die Jagdzeit los - und die sind ja nicht blöd", sagt die Gänseexpertin. In München werden die Tiere üblicherweise nicht gejagt und hier finden sie in den weiten Parkanlagen genügend Nahrung. Anschließend fliegen viele Graugänse weiter zur Donau und schließlich wieder nach Mittelfranken, bis sich das Schauspiel im Jahr darauf wiederholt. Auch bei der Mauser scheinen sich die Gänse zeitlich zu arrangieren. Während Graugänse von Mitte Mai bis Mitte Juni am Kleinhesseloher See sitzen und ihre Schwungfedern abwerfen, mausern sich die Kanadagänse zwischen Mitte Juni und Mitte Juli in München. Dann sind die Tiere vier Wochen lang flugunfähig und sind auf Orte angewiesen, an denen sie nicht angegriffen werden.

Der kleine See im Englischen Garten mit seinen drei Inselchen ist ohnehin ein wichtiger Platz für Gänse. Streifengänse etwa brüten dort und watscheln dann mit ihrer Brut zum Teehaus. "Manche gehen aber weiter bis zum Tierpark Hellabrunn", sagt Silke Sorge. Doch das ist für die Gänse lebensgefährlich. Die Familien watscheln dann unerschrocken über die Prinzregentenstraße und werden wenn sie Glück haben von der Polizei oder Feuerwehr über die Straße geleitet. Doch auch dann sind die Gänse noch nicht in Sicherheit. Da die Strömung der Isar für die Gössel zu stark ist, werden die Gänseküken von der Strömung weggerissen und landen womöglich im Wehr. Also bleibt nur der beschwerliche Fußweg. Im Gänsemarsch geht es am Ufer entlang immer weiter nach Süden in Richtung Hellabrunn. Radler, Fußgänger und Erholungssuchende an der Isar können die Gänse ziemlich stressen. Silke Sorge, die seit fast zwei Jahrzehnten die Gänse in München beobachtet, hat festgestellt, dass die seit mindestens zehn Jahren nicht mehr heil im Tierpark ankommen. Warum die Gänse die Strapaze auf sich nehmen, ist der Biologin eigentlich ein Rätsel.

Auch wenn es sehr friedlich aussieht, wenn zu viele Spaziergänger in der Nähe von Gänsen sind, geraten die Vögel leicht in Stress. Der Bestand der Nonnengänse, die im Schlosspark brüten, nimmt kontinuierlich ab. So haben sie laut Silke Sorge seit 2012 keine Gössel mehr großziehen können. Die Kleinen sterben oft schon nach wenigen Tagen. "Auch die Gänseeltern sind von dem vielen Publikum so stark genervt, dass sie in den Kanal springen und sich nicht mehr raustrauen." Für viele Gänse sind die Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Gefahr deshalb ein Segen. Während die Münchner an sonnigen Tagen im Schlosspark spazieren, ist es nebenan ruhig. Dort schnattern nur ein paar Gänse im geschlossenen Botanischen Garten.

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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