Proteste gegen Corona-Beschränkungen:Wie eine rechte Straßenbewegung das demokratische Zusammenleben gefährdet

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Mit der Liebe zum Grundgesetz ist es bei vielen Aktivisten nicht weit her - Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker wollen die Stimmung nutzen.

Von Julian Hans, München

Die Grundrechte verteidigen, das Grundgesetz schützen - wer kann da schon etwas dagegen haben? Seit sich im April erstmals kleine Gruppen versammelten, um gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu protestieren, haben die Organisatoren sich die Bewahrung der Demokratie in Deutschland auf die Fahnen geschrieben. Von Anfang an waren aber auch Personen dabei, die in der Vergangenheit keineswegs als Freunde der freiheitlich demokratischen Grundordnung aufgefallen sind, sondern als erbitterte Gegner ihrer Institutionen, ihrer gewählten Vertreter sowie der Werte, auf denen die Gesellschaft in der Bundesrepublik seit 1945 steht.

Auf den Kundgebungen vor zwei Wochen an unterschiedlichen Plätzen in der Stadt nahm außer einigen einfachen Bürgern und etwa einem Dutzend AfD-Abgeordneter auch der Rechtsextremist Karl Richter teil, der bis vor Kurzem für die "Bürgerinitiative Ausländerstopp" im Stadtrat gesessen hatte. Den Szene-Kennern der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München (Firm) fiel außerdem eine Gruppe rechter Hooligans auf, darunter Rick Wegner, der bei Pegida-Veranstaltungen in Bayern als Ordner auftrat. Stefan Schachtl, ein weiterer Pegida-Aktivist mit Verbindungen zur gewaltbereiten Gruppe "Wodans Erben" wurde von der Polizei vorübergehend festgenommen.

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Als vergangenen Samstag die für 80 Teilnehmer angemeldete Veranstaltung auf dem Marienplatz auf 3000 anschwoll, nutzte der AfD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wiehl dieses Podium für einen Auftritt. Erneut waren stadtbekannte Anhänger von Pegida, von der Partei "Der Dritte Weg" und von anderen rechtsextremistischen Splittergruppen anwesend. Von den Teilnehmern, die vorgeblich aus Liebe zum Grundgesetz gekommen waren, gab sich kaum jemand die Mühe, sich von den Extremisten abzugrenzen.

Waren diese in der Vergangenheit mit ihren Aktionen in der Landeshauptstadt weitgehend unter sich geblieben, so treten sie jetzt als Teil einer Bewegung empörter Bürger auf, die von den Veränderungen durch die Pandemie verunsichert und verärgert sind. Die Proteste würden maßgeblich von Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten getragen, urteilt Marcus Buschmüller von der Firm. Es gelinge ihnen, über die Grenzen der eigenen Szene hinaus Menschen anzusprechen. "Dadurch ist eine potente rechte Straßenbewegung entstanden, die das demokratische und weltoffene Zusammenleben der Münchner Stadtgesellschaft gefährdet", heißt es in einer Analyse.

Ein Blick in die Chatgruppen der Bewegung gibt einen Eindruck davon, wie Angst und Verunsicherung mit Verschwörungsmythen angeheizt werden. In der Gruppe "Corona Termine München" auf dem Messenger Telegram finden sich antisemitische Videos mit dem Titel "Die Rothschilds und Soros nutzen die Krise aus". Beiträge des Verschwörungsapostels Ken Jebsen und der nach rechts abgedrehten ehemaligen Tagesschausprecherin Eva Herman werden zu Dutzenden geteilt.

Wer vielleicht wirklich nur von den Maßnahmen gegen Corona verunsichert ist, erkennt die Codes der rechten Ideologen nicht auf Anhieb. Zahlreiche Beiträge schließen zum Beispiel mit dem kryptischen Kürzel "WWG1WGA". Es steht für "Where we go one, we go all" des Verschwörungsmythos "QAnon". Seine Vertreter glauben, dass eine globale Elite Kinder gefangen hält, um aus ihnen ein lebensverlängerndes Serum herzustellen. Prominentester Anhänger dieser Erzählung ist in Deutschland der Sänger Xavier Naidoo, der ebenfalls im Forum gefeiert wird; weniger für seine Musik, mehr für seine tränenreichen Hilfeschreie vor Zwangsimpfung, Bill Gates und einer angeblichen Diktatur in Deutschland.

Die große Kundgebung diesen Samstag hat ein Privatmann angemeldet, der laut Firm zu der losen Gruppe gehört, die in der vergangenen Woche diverse Demos initiiert hat. Seit das KVR die Teilnehmerzahl auf 1000 Personen beschränkt hat, wird auf Telegram wild diskutiert. "Sollen wir nicht einfach drauf scheißen und alle zum Marienplatz und da bleiben", schreibt ein "Mich K" am späten Donnerstagabend. "Theresienwiese dient doch nur dazu, dass die Polizei da problemlos Wasserwerfer auspacken können" (sic). Der Marienplatz dagegen sei ein "Alptraum aus Polizeisicht". Ideen werden diskutiert, in Gruppen durch die Altstadt zu "spazieren" und sich dann spontan zu sammeln. Während einzelne mahnen, sich an die Auflagen zu halten, setzen andere auf Konfrontation. Ein "Bo Bla" schreibt um 21 Uhr: "Wenn wir uns alle unterhaken und gemeinsam vorwärts marschieren, dann bleibt der Polizei nur der Rückzug. Gemeinsam sind wir stark! WWG1WGA".

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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