Knobloch stellt Autobiografie vor:Eine Kämpferin, die versöhnen will

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Mit "In Deutschland angekommen" hat Charlotte Knobloch ein Buch geschrieben, das allerdings mehr schildert als ein Einzelschicksal. (Foto: Jakob Berr)

Sie überlebte den Krieg versteckt bei Bauern in Franken, später kämpfte sie für eine jüdische Zukunft in Deutschland: Charlotte Knobloch hat ihr sehr persönliches Buch in München vorgestellt. Es ist eine komplizierte Geschichte, doch sie endet tröstlich.

Von Jakob Wetzel

Nicht umdrehen, nicht auffallen, nicht stehen bleiben. An der Hand ihres Vaters hetzt ein kleines, sechsjähriges jüdisches Mädchen durch München. Es ist der 9. November 1938, Gewalt und Geschrei beherrschen die Straße, jüdische Geschäfte werden geplündert, die Synagogen brennen. Das Mädchen kennt die Straße genau, es ist ihr Schulweg. Sie ist zu Hause und doch auf der Flucht.

Das Mädchen von damals ist Charlotte Knobloch, heute 80 Jahre alt, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und die große alte Dame des Judentums in Deutschland. Sie erzählt von dieser Nacht in ihrer Autobiografie - von ihr und von dem langen, schwierigen Versuch, ihre Flucht hinter sich zu lassen und wieder nach Hause zu finden. "In Deutschland angekommen" hat sie ihr Buch genannt, sie hat es mit dem Schriftsteller und Journalisten Rafael Seligmann verfasst. Am Sonntag stellt sie ihre Autobiografie im Jüdischen Gemeindezentrum am Sankt-Jakobs-Platz vor.

Ein Schicksal, stellvertretend für viele

"In Deutschland angekommen" ist ein persönliches Buch, aber es schildert weit mehr als ein Einzelschicksal. Es erzählt die Geschichte einer Beziehung: zwischen einer Münchnerin, verfolgt von ihren Mitbürgern, und ihrer Heimat, dem Land der Täter. Es ist ein Schicksal, stellvertretend für viele. Und es ist eine komplizierte Geschichte, heikel und widersprüchlich. Sie ist noch nicht zu Ende.

Charlotte Knobloch überlebte Krieg und Völkermord versteckt bei Bauern in Franken, allein. Der Vater war verschleppt worden, die Mutter, eine Konvertitin, hatte die Familie wegen des antisemitischen Drucks im nationalsozialistischen Deutschland im Stich gelassen. Nach dem Krieg kehrte der Vater heim, nur widerwillig begleitete ihn die Tochter zurück nach München. Sie spürte nur den Wunsch, die Stadt wieder zu verlassen, am besten so rasch wie möglich.

Doch der Wunsch blieb unerfüllt. Charlotte heiratete in München Samuel Knobloch aus Krakau. Das Paar wollte anfangs in die USA auswandern, doch dann kündigte sich Nachwuchs an. Die Emigrationspläne wurden erst verschoben, dann aufgegeben. Ihr Vater, Fritz Neuland, wollte ohnehin bleiben, er wurde eine der prägenden Gestalten der wiedergegründeten Kultusgemeinde. So arrangierte sich die Familie im "Land der Mörder", wie es hieß. Doch wie die anderen jüdischen Einwohner blieben sie zunächst unter sich, vermieden Kontakt zu ihren nicht-jüdischen Nachbarn. Erst in den 80er Jahren wagten sie zaghaft Kontakt mit ihrer Umwelt.

Und Charlotte Knobloch kämpfte fortan für eine neue jüdische Gegenwart und Zukunft in Deutschland, als Bürgerin ebenso wie als Funktionärin. Seit 1985 leitet sie die Münchner Kultusgemeinde, mit ihrer herzlichen, aber bestimmten Art. Von 2006 bis 2010 war sie Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, seit 2005 ist sie Ehrenbürgerin Münchens. Doch ihren wohl größten persönlichen Erfolg erlebte sie 2006: die Eröffnung des neuen Jüdischen Gemeindezentrums. Die Juden Münchens feierten ihre Gottesdienste fortan im Herzen der Stadt, nicht mehr in einem Hinterhof - auch wenn sich die Besucher der Synagoge namentlich anmelden müssen, der Weg ins Gemeindezentrum führt durch Schleusen und Sicherheitskontrollen. Auch das gehört zu dieser komplizierten Beziehung.

Bekenntnis zu München

Knoblochs Autobiografie endet tröstlich, sie ist ein Bekenntnis zu München und zu Deutschland, sie plädiert sogar für einen aufgeklärten deutschen Patriotismus. Doch angekommen zu sein ist eine Gewissheit, die sie sich und ihrem Heimatland erst abringen musste, in langen Jahren, in denen der Zweifel nie völlig verschwunden ist. Im vergangenen September etwa, als in Deutschland über religiös motivierte Beschneidung von Jungen debattiert wurde, da fühlte sich Charlotte Knobloch wieder fremd in ihrem Land. Sie war entsetzt, von der Schärfe der Kritik, und auch von der Selbstverständlichkeit, mit der sie antisemitische Klischees in die Debatte einziehen sah. Alte Wunden brachen auf.

In Deutschland war sie angekommen - aber war sie auch zu Hause? "Wollt Ihr uns Juden noch?", fragte Knobloch in der Süddeutschen Zeitung, sie sprach von Resignation, und sie wusste nicht, wie solide der Boden war, auf dem sie stand.

Zuletzt klang sie versöhnlicher, das "erträgliche Land" nannte sie Deutschland an selber Stelle, sie fühle sich gewollt, spüre den Willen zu hoffen. Charlotte Knobloch lässt sich auch von schweren Tiefschlägen nicht leicht von ihrem Kurs abbringen. Doch der Stachel sitzt tief, das verschweigt sie nicht.

Zu überraschend sei der jüngste Rückschlag gewesen, sagt Knobloch am Sonntag, ein Schlag aus dem Nichts. Es gehört wohl auch zu den Eigenheiten der Beziehung zwischen Deutschland und Charlotte Knobloch, dass es eine letzte Gewissheit nicht geben wird.

© SZ vom 15.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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