Carsharing oder Elektromobilität:Vollbremsung

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Das Münchner Forum und Green City diskutieren die Vision vom "Wohnen ohne Auto". Eines der Ziele ist es, Entwicklungen in der Gesellschaft nicht zu verschlafen

Von Thomas Kronewiter, München

Die Erfolgsgeschichte, die Ina Depprich zu erzählen hat, ist - man kann es gar nicht anders nennen - irgendwie auch eine Leidensgeschichte. Ihr Projekt, "Wohnen ohne Auto 3" in der Siedlung am Ackermannbogen, hält das, was es versprochen hat: Keine der 13 Parteien im Haus an der Petra-Kelly-Straße 25 hat ein Auto. Eine Tiefgarage aber haben die Bewohner sehr wohl: Vier Plätze mussten sie darin schaffen. Da am Ackermannbogen oberirdisch kein Platz für die zusätzlich geforderte Nachrüstmöglichkeit ist, hat die Tiefgarage in Wahrheit aber Platz für acht Autos. Und bei zwei weiteren Stellplätzen musste sich die Initiative vertraglich verpflichten, im Falle eines Scheiterns des Autofrei-Projekts zwei weitere Stellplätze nachträglich abzulösen. "Ein bisschen traurig und teuer", nennt Ina Depprich diese Behandlung durch die Münchner Stadtverwaltung.

Was Depprich an diesem Abend der Autofrei-Initiativen, moderiert vom Diskussionsverein Münchner Forum und von Green City, zu berichten weiß, ist kein Einzelfall. Nicht von ungefähr steht der Abend in der Orange Bar unweit des Hauptbahnhofes unter dem programmatischen Motto "Mehr Rechtssicherheit für autofreie Projekte in München!" Wobei das Ausrufezeichen ganz wichtig ist. Zwar hat der Münchner Stadtrat im vergangenen Juni beschlossen, den Stellplatzschlüssel - also die Zahl der zu schaffenden Parkplätze pro Wohnung - in bestimmten Fällen abzusenken. Doch dass sich die Verwaltung bei der Umsetzung dieser politischen Willenserklärung nicht leicht tut, gesteht Cornelius Mager durchaus ein. Mager steht als Chef der Lokalbaukommission (LBK) im städtischen Planungsreferat nahezu täglich im Kreuzfeuer. Bauherren stadtauf, stadtab wollen möglichst wenige Parkplätze bauen. Denn die sind teuer, besonders in Tiefgaragen, sie treiben die Preise nach oben, was weder Käufern noch Mietern gefällt.

In den neun Teams, die sich mit diesen Fragen befassen, sagt Mager, kämpften die Mitarbeiter mit zwei Seelen in ihrer Brust. Zum einen gelte es, zu verhindern, dass der Parkplatznotstand am Straßenrand noch weiter zunehme. Zum anderen sei genauso bedenkenswert, Zukunftsentwicklungen in der Gesellschaft - von Carsharing über Elektroautos bis hin zum Verzicht auf Autos - nicht zu verschlafen.

Die Lokalbaukommission ist dabei, Regeln zu entwickeln. Sie strebt auch eine frühzeitige Beratung der Bauherren an - damit ein böses Erwachen später vermieden wird. Denn was nütze jede Euphorie bei Bauherren, die aus Überzeugung auf eigene Autos verzichten wollten, wenn Verzögerungen in der Genehmigungsphase den erhofften Preisvorteil aufgrund reduzierten Garagenbaus wieder zunichte machten? Gunhild Preuß-Bayer von der Initiative "Wohnen ohne Auto" verlangt deshalb vehement nach Rechtssicherheit.

Wie man das System pfiffig ausnutzt, ohne Regeln zu verletzen, demonstriert Christian Stupka von der Stattbau München. So habe man vor einigen Jahren am Reinmarplatz in Gern ein Seniorenwohnungsprojekt realisiert, an dem die Genossenschaft Wogeno mit 50 Appartements beteiligt gewesen sei. Unter der Überschrift "Altenwohnen" habe man den Stellplatzschlüssel von Haus aus gedrückt, zudem habe man ein Mobilitätskonzept angeboten. Mit dem gesparten Geld für die nicht gebauten Parkplätze habe man den Bewohnern übertragbare Isarcards, Pedelecs und Lastenräder finanziert, zudem in der Garage die tatsächlich nicht benötigten Stellflächen mit Carsharing-Autos belegt. "Unser Konzept ist es nicht, die Autos zu verbieten, sondern sie unattraktiv zu machen." Dass dies funktioniert, haben Umfragen ergeben. So haben von 30 Haushalten, die vor dem Einzug am Reinmarplatz ein Auto hatten, nur mehr 19 dieses auch behalten.

Kein Lärm und keine Umweltbelastung sind die Visionen von "Wohnen ohne Auto".

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(Foto: Stephan Rumpf)

Bei den Überlegungen, Autos aus der Stadt zu verbannen, spielen auch Carsharing-Modelle eine Rolle.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Auch Lastenräder bieten eine gute Alternative.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Der Parkplatznotstand nimmt weiter zu - die Straßen werden dadurch nicht lebenswerter.

Dass es auf solchen Wegen weitergehen soll, über die wenigen bisher in München realisierten Autofrei-Projekte wie in der Messestadt Riem und am Ackermannbogen hinaus, hat der Münchner Stadtrat im Juni beschlossen. Für den LBK-Chef ist beim nun zu findenden Regelwerk der Fall des Scheiterns ebenso zu berücksichtigen wie die "Wechselfälle des Lebens", etwa wenn neue Mieter kämen, der 18-jährige Sohn plötzlich ein Auto wolle, oder eine Wohnung vererbt werde. Ansonsten aber will man mehr als bisher möglich machen - als begründete Ausnahmen und etwa in Verbindung mit einem Mobilitätskonzept. Dass eine kritische Masse bei der Größe der Anlage dabei hilfreich sein kann, zeigen die Mobilitätskonzepte am Domagkpark und - frisch in der Entstehungsphase - in der Prinz-Eugen-Kaserne. Ein Parkplatz-Management, das tagsüber via Smartphone-App freie Plätze in Tiefgaragen stundenweise Parkplatzsuchenden frei gibt, funktioniert beispielsweise nur ab einer gewissen Garagengröße.

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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