Bouldern:Allein unter Tausenden

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Auf der Münchnerin Monika Retschy lastet beim Weltcup-Finale im Olympiastadion ein besonderer Druck. Seit sie Deutschlands Nummer eins ist, sind die Erwartungen noch gestiegen. Trotzdem hat sie gelernt, mit der einzigartigen Atmosphäre bei ihrem Heimspiel klarzukommen

Von Maximilian Ferstl

Monika Retschy findet an kleinsten Vorsprüngen Halt, sie schwingt sich Überhänge hinauf, manchmal springt sie am Fels sogar, wenn ein Griff außer Reichweite ist. Wie eine Spinne klettert sie vier Meter hohe Wände empor. Das kann sie so gut wie nur wenige auf der Welt. Und doch wollen das oft kaum Leute sehen. "In China waren zehn Menschen in der Halle", erinnert sich Retschy an die Wettkämpfe in Chongqing und Haiyang. Sie lacht. Monika Retschy kann sehr zweideutig lachen.

Einerseits ist da Unverständnis: Nur zehn von 1,36 Milliarden Chinesen wollen die besten Kletterer der Welt sehen? Andererseits ist da die Vorfreude. Die Gewissheit, dass es an diesem Wochenende ganz anders sein wird. Nicht zehn, sondern Tausende werden zuschauen, wenn sie im Olympiastadion klettert. Dort findet das Weltcup-Finale statt. Viele werden speziell auf Retschy schauen. Zum einen, weil die 23-Jährige die beste deutsche Starterin ist. Sie liegt in der Gesamtwertung auf Rang elf. Zum anderen, weil sie, viel wichtiger noch: Münchnerin ist.

Spinnenmenschen: Kletterer beim Boulder-Weltcup unterm Münchner Olympia-Zeltdach. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Jan Hojer aus Frankfurt könnte sogar seinen Titel verteidigen. Aktuell ist der Frankfurter Dritter, knapp hinter Adam Ondra und Jongwon Chon. Ein Erfolg am Samstag würde ihm wie im Vorjahr den Weltcup-Gesamtsieg sichern. Trotzdem ist es Retschy, die Münchnerin, die auf der Pressekonferenz über das Finale redet.

Olympiapark, Restaurant Coubertin: Monika Retschy blickt zu Matthias Keller. Der Weltcup-Organisationschef steht vor einer Stellwand des Deutschen Alpenvereins, spricht über den "einzigartigen Wettkampf" im Olympiastadion: "Das bestätigen alle: die Trainer, die Athleten, die Helfer. Am Finalabend scheint die untergehende Sonne durch das Glasdach - das gibt es nur hier." Zumindest an sonnigen Tagen.

Dann tritt Retschy vor. Sie ist in dieser Weltcup-Saison weit gereist, nach Nordamerika (Toronto, Vail), nach China. Nun also München, das Heimspiel. Irgendwie passte es hier nie so recht. Erfolgreich war Retschy stets in der Ferne, Vierte bei der Europameisterschaft in Innsbruck, Platz fünf - ihr bestes Weltcup-Ergebnis - im fernen Chongquing. In München scheiterte sie oft früh. Vor allem in den ersten Jahren sei sie "sehr, sehr schlecht" geklettert. Zu groß sei der Druck gewesen, es den vielen Bekannten im Publikum unbedingt zeigen zu wollen. "Jeder fragt: Wie fühlst du dich? Bist du in Form? Es gibt viele Interviewanfragen. Das ist natürlich schön, lenkt aber ab."

Monika Retschy findet an kleinsten Vorsprüngen Halt und schwingt sich Überhänge hinauf. (Foto: imago/Plusphoto)

In den vergangenen zwei Jahren lief es besser. 2014, als unter dem Glasdach die WM ausgeklettert wurde, schrammte Retschy als Siebte einen Platz am Finale vorbei. "Da habe ich gespürt, dass ich es kann." Und dieses Jahr? Das Finale wäre "natürlich Wahnsinn", sagt sie. Aber man könne jederzeit in der Quali scheitern. Wie in Toronto, direkt nach der starken EM, oder in Haiyang, nur eine Woche nach dem besten Ergebnis ihrer Karriere. Nur die besten 20 qualifizieren sich am Freitag (Beginn 8 Uhr) für das Halbfinale (Samstag, 11.30 Uhr). Viel komme auf die Tagesform an, sagt Retschy, und ob die Routenschrauber die eigenen Vorlieben träfen. Sie bemüht sich, die Erwartungen zu dämpfen.

Abgesehen von ihren Auftritten im Olympiastadion kletterte Retschy bislang unter dem Radar der großen Öffentlichkeit. Juliane Wurm war die Beste im Lande, Weltmeisterin, Europameisterin. Doch Wurm trat vor wenigen Wochen zurück, nun ist Retschy Deutschlands Nummer eins. Ob das nicht mehr Druck bedeute? "Noch fühle ich mich nicht so", antwortet Retschy. Sie finde es eher "ein bisschen komisch, allein auf Wettkämpfe oder Lehrgänge zu fahren". Wurms Anwesenheit habe ihr bislang oft "unheimlich geholfen".

Allein ist sie nicht im Olympiastadion. 170 Athleten werden starten, etwa 50 aus Deutschland. Schafft es Retschy wie in China ins Finale (Samstag, 18.30 Uhr), werden ihr nicht zehn, sondern 5000 zujubeln.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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